# taz.de -- Olympiastadt London: Stadt des beißenden Humors | |
> Es gibt keinen besseren Ort für die Sommerspiele: London nimmt alle | |
> Widersprüche und Kreativität der Welt auf, ist gelassen und lässt Neues | |
> entstehen. | |
Bild: Es gibt keine bessere Stadt: London setzt immer einen oben drauf | |
Wer für den olympischen Gedanken eine zeitgemäße Heimat sucht, wird sie in | |
London finden. Keine Stadt der Welt ist besser geeignet, in diesen global | |
unsicheren Zeiten die Olympischen Spiele auszurichten und damit dem | |
zeitlosen Ideal der Völkerverständigung und des friedlichen Wettbewerbs der | |
Nationen eine Bühne zu bieten. | |
London ist die globale Hauptstadt des 21. Jahrhunderts. Es ist eine Stadt, | |
in der alle Kulturen und Völker nebeneinander leben und miteinander | |
auskommen. Es ist eine Stadt, in der der Multikulturalismus nicht nur hohle | |
Sonntagsrede ist, sondern gelebtes Leben jener Generationen, für die es | |
keine Grenzen zwischen Ethnien und Kontinenten mehr gibt. | |
Keine der großen Metropolen der Welt ist geografisch weniger segregiert und | |
mehr durchmischt, im Alltagsleben weniger voreingenommen und mehr tolerant. | |
London ist keine mumifizierte Vitrine, sondern eine lebendige Werkstatt. | |
Die Stadt erschlägt nicht mit musealer Pseudoschönheit und diktierter | |
Hierarchie der Identitäten, sondern bietet eine lebendige Bühne und | |
zugleich ein äußerst kritisches Millionenpublikum für Selbstentfaltung. | |
## Stadt der ständigen Symbiose | |
London ist eine Stadt des beißendes Humors und der wortgewandten Ironie, | |
aber immer mit Höflichkeit und Distanz, und ohne Vorgabe, was man zu | |
schätzen und was man übelzunehmen hat. Nirgendwo sonst nimmt sich ein | |
mächtiges Establishment so sehr zurück gegenüber dem Wildwuchs der | |
Wirklichkeit. In London sprießt ein Eklektizismus und eine gegenseitige | |
kulturelle Befruchtung, vor der andere Städte Angst haben und die | |
zahlreiche Staaten der Welt aktiv bekämpfen. | |
London: Das ist die City der Banken und Börsen, der Hedgefonds und | |
Hochnäsigen, der Offshore-Anleger und Oligarchen, der Milliardenvermögen | |
und Millionenbonusse, der Rasenempfänge und Reitturniere, der Protzvillen | |
und Parks, der Aufschneider und Adligen, der Clubs und Königstöchter. Es | |
ist aber auch die Metropole des permanenten Verkehrskollapses und | |
unbezahlbaren Wohnraums, der Sozialghettos und sozialen Revolten, der | |
Betonwüsten und Brachländer, der Hungerlöhne und Huren, der | |
Zukurzgekommenen und Zugrundegerichteten, der Spekulanten und | |
Schattenwirtschaft, der Bandenkriege und Betrüger. | |
Das Besondere jedoch ist: Wer in einer dieser Welten wohnt, sieht immer | |
auch die andere. London zieht keine Mauern zwischen oben und unten, Weiß | |
und Schwarz, Gut und Böse, Recht und Unrecht. Das eine überlebt, weil das | |
andere auch da ist, mancherorts direkt auf der gegenüberliegenden | |
Straßenseite. London ist eine Stadt der permanenten Reibung und der | |
ständigen Symbiose, aus der immer wieder etwas Neues entsteht und in der | |
kein Milieu einfach den Rest der Welt ignorieren kann. | |
Es ist kein Zufall, dass Karl Marx nach London kommen musste, um zur | |
Erkenntnis zu gelangen, die Geschichte der Menschheit sei die Geschichte | |
der Klassenkämpfe. Es ist auch kein Zufall, dass die besten globalen Medien | |
der Welt alle in London sitzen. | |
## Elitär oder Massenspektakel? | |
Allen düsteren Untergangsprophezeiungen, und von denen gab es in | |
vergangenen Jahrzehnten viele, hat London bislang Hohn gesprochen. Die | |
unbändige Energie dieser wuchernden Stadt geht nie aus. So auch jetzt mit | |
Olympia 2012, dessen gigantisches Programm der Stadterneuerung ein | |
dreißigjähriges Werk der metropolitanen Neuerfindung zu einem | |
beeindruckenden, wenngleich – wir sind schließlich in London – umstrittenen | |
Abschluss führt. Die Herausforderung von Olympia 2012 in London besteht | |
darin, ob dieses Ereignis all diese Vielfalt mitsamt ihres | |
Konfliktpotenzials in sich aufnehmen kann. | |
London, das erfährt die Welt bei jeder Prinzenhochzeit und bei jedem | |
königlichen Begräbnis neu, beherrscht wie keine Stadt, was die Engländer | |
sense of occasion nennen: die Fähigkeit, dem Anlass entsprechend ein | |
perfektes Schauspiel hinzulegen. Dies wird auch in diesen Tagen wieder zu | |
bewundern sein. | |
Aber ob Olympia wirklich Wurzeln schlägt, misst sich daran, ob das ganze | |
Volk sich darin wiedererkennt und aus den Spielen ein unbeherrschbares, | |
dafür umso unwiderstehlicheres Massenspektakel macht – oder ob es eine | |
exklusive, dafür umso langweiligere Angelegenheit der Elite bleibt. Das ist | |
die olympische Frage, auf die London 2012 in den nächsten zwei Wochen eine | |
Antwort geben muss. | |
Davon hängt ab, ob diese wunderbare, nervige, aufregende, anstrengende | |
Metropole ihrem Ruf auch diesmal gerecht wird. | |
26 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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