| # taz.de -- Kolumne Darum: „Du Doppelhitler!“ | |
| > Wir zählen nur die Zyklen, in denen neue Schimpfwörter den Weg zu uns | |
| > finden. Wie die Superschule alles richtig machte und doch das falsche | |
| > dabei rauskam. | |
| Bild: Zum Spielen: Hitler aus Zinn. | |
| Unsere Kinder gehen in die Superschule. Ihr Name tut nichts zur Sache. Wer | |
| in Berlin-Kreuzberg lebt und Kinder hat, die bald in die Grundschule gehen | |
| sollen, hat von der Superschule eh schon gehört. | |
| Plätze sind rar, sie ist antirassistisch und inklusionistisch und trägt den | |
| Namen einer jüdischen Künstlerin. Das verlangt der Superschule viel ab, | |
| denn schon Erstklässler wollen wissen, wer sie war, diese jüdische | |
| Künstlerin. | |
| Dann muss viel erklärt werden; über die Künstlerin und über ihren Tod. Sie | |
| wurde in Auschwitz ermordet. Bevor unsere Kinder auf die Superschule kamen, | |
| sprachen wir mit anderen Eltern darüber. Alle waren begeistert. | |
| Nur einer meinte, vor Jahren sei da mal was vorgefallen. Da hätten die | |
| Superschulenerstklässler wieder mal wissen wollen, wie das war mit der | |
| jüdischen Künstlerin. Und irgendwer habe das auch erklärt, aber wohl zu | |
| knapp oder zu wenig kindgerecht. Jedenfalls hätte ein Elternteil, der sein | |
| Kind mit dem Auto abholte, das auf dem Rücksitz sitzende Kind gefragt, wie | |
| es denn heute in der Superschule so gewesen sei. Schweigen. Die Frage sei | |
| dann lauter wiederholt worden. Statt einer Antwort seien von hinten seltsam | |
| verdruckste Rückfragen gekommen: „Papa – sind wir Juden? Oder kennen wir | |
| Juden?“ Vollbremsung, Verstörung, Angst, Aussprache, Anruf in der Schule, | |
| Entschuldigung et cetera. | |
| Die Superschule wäre nicht die Superschule, wenn sie aus solchen Fehlern | |
| nicht lernte. Nie wieder hat man seither von solch pädagogischem Versagen | |
| gehört. | |
| Die Superschule bringt ihren Superschülern mehr als nur korrekt bei, wie | |
| das damals war mit den Nazis und den Juden. Selbst die Erstklässler | |
| verstehen das, wenn auch nicht in vollem Umfang. Doch bestimmte Worte | |
| bleiben hängen, und diese drehen frei, je länger sie verwendet werden. | |
| Dagegen kann selbst die Superschule nichts machen. | |
| Zuhause zählen wir die Beleidigungen und Schimpfwörter, die sich die Kinder | |
| im Streit herauspressen, schon lange nicht mehr. Wir zählen nur die Zyklen, | |
| in denen neue Beleidigungen und Schimpfwörter den Weg zu uns finden: anale | |
| Phase, doofe Phase, Tierphase, Genderphase, Naziphase. | |
| Manchmal vermischt sich alles. Beim Abendessen hört sich das dann so an: | |
| „Du hast mich nicht ausreden lassen!“ | |
| „Zicke!“ | |
| „Selber Zicke!“ | |
| „Pups!“ | |
| „Riesenpups!“ | |
| „Doofi!“ – | |
| „Nochmehrdoofi!“ … (Atempause, man kann beim Nachdenken über Steigerungen | |
| zusehen) | |
| „Nazi!“ … (Das ist neu, da kann keine prompte Antwort kommen) | |
| „Selber Nazi! Nein, Obernazi!“ | |
| „Hitler!“ | |
| „Doppelhitler!“ | |
| „Du bist Noch-mehr-Hitler für alle Zeit und überall!“ | |
| Da ist dann Schluss, und das ist auch gut so. Ein zeitlich und räumlich in | |
| die Unendlichkeit gesteigerter Hitler, mehr geht nicht. Schöner aber ist | |
| der „Doppelhitler“. 25 Jahre antifaschistische Arbeit haben nicht gereicht, | |
| um auf ein Wort zu kommen, für das ein Kind in seiner Replik weniger als | |
| eine Sekunde braucht. Gelernt ist gelernt, wenn auch auf Schlagworte | |
| verkürzt. Wieder einmal erkennen wir, warum die Superschule Superschule | |
| heißt. | |
| 30 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Maik Söhler | |
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