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# taz.de -- Kampf gegen Dschihadisten: Mursi gibt sich hart
> In Ägypten melden die staatlichen Medien Erfolge im Kampf gegen die
> Terrorgruppen im Nordsinai. Doch vor Ort herrschen Zweifel an den
> Militäraktionen.
Bild: Das Militär vermutet palästinensische Extremisten hinter den Anschläge…
NORDSINAI taz | „Es gab hier keine Militäraktion“, sagt Mohammed Ghanem.
Der 40-Jährige steht vor der kleinen Moschee in Tuma nahe der Stadt
al-Arisch im Norden des Sinai. Laut Staatsmedien wurden im Umland der
Ortschaft 20 Bewaffnete bei einem Helikopterangriff getötet. Mehrere
Nachbarn kommen hinzu. Auch sie zucken nur mit den Schultern. „Die
Staatsmedien sagen diese Dinge bloß, damit die Menschen denken, Mursi
unternimmt etwas“, sagt er im Hinblick auf den ägyptischen Präsidenten.
Auch im Nachbarort überwiegen die Zweifel. „Wir haben hier keine Helikopter
gesehen“, sagt Mohammed Saleh und deutet über die vereinzelten Häuser im
Wüstensand. „Doch, doch, es wurden 20 Terroristen getötet“, ereifert sich
einer der Männer neben ihm. Auf die Frage, wer denn gestorben sei, wo und
von welchem Stamm sie wären, hat er keine wirkliche Antwort. „Sie kamen von
außerhalb“, sagt er halblaut. Die Mehrheit der Menschen im Sinai sind
Beduinen. Stammes- und Familienbeziehungen sind eng. Die Anwesenheit von
Fremden bleibt kaum unbekannt.
Den staatlichen Medien zufolge bekämpfen die Sicherheitskräfte erfolgreich
terroristische Gruppen im Nordsinai, nachdem bei einem Angriff auf die
ägyptisch-israelische Grenze 16 Soldaten getötet wurden. Regierungsstellen
beschuldigen unter anderem Kämpfer aus dem Gaza-Streifen, an dem Angriff
beteiligt gewesen zu sein. Als Antwort darauf ließ Mursi den Übergang
zwischen Ägypten und Gaza schließen. Zusätzlich versprach er, die mehreren
hundert Schmuggeltunnel, die die beiden Länder verbinden, zu zerstören.
Doch auch in der Grenzstadt Rafah ist nichts von der Regierungsoffensive zu
sehen.
„Hier wurden keine Tunnel zerstört“, sagt Mohammed. Er und andere
Tunnelbesitzer sitzen in einer Seitenstraße unweit der Grenze im Schatten.
Wegen der angespannten Situation haben sie ihre Arbeit eingestellt. Doch
beunruhigt sind sie nicht. „Wir warten hier, bis sich die ganze Aufregung
gelegt hat“, sagt er und zeichnet gut gelaunt ein kleines Muster in den
Sand. „Und in zwei bis drei Wochen machen wir weiter.“
Schätzungen zufolge gibt es 600 bis 1.000 Tunnel im Grenzgebiet. Angesichts
der ständigen Schließungen der offiziellen Grenzübergänge sind sie
lebenswichtig für die Wirtschaft in Gaza. „Schau hier“, sagt ein anderer
Schmuggler und macht drei Handabdrücke in den Sand und zeichnet Linien
dazwischen. „Es gibt so viele Tunnel in Rafah, du findest alle paar Meter
einen.“
Einer der Männer steht auf und geht hundert Meter zwischen einigen Häusern
entlang. Auf einem unbebauten Grundstück klaffen zwei gut sichtbare Löcher
im Boden. Davor liegen einige Seile und Plastikkanister. „Einer ist für
Zement, der andere für Benzin“, sagt er mit einem Grinsen und streicht sich
über den Bart. „Die Polizei und das Militär wissen, wo die Tunnel sind“,
sagt Mohammed. „Aber sie haben noch nie wirklich etwas unternommen.“
## Staatsbürger zweiter Klasse
Der Sinai wird schon seit Jahrzehnten von der Regierung in Kairo
vernachlässigt. Große Investitionsprojekte gibt es nur in den
Touristenorten im Süden. Das Geld verdienen meist Investoren aus Kairo und
dem Ausland. Die Beduinen fühlen sich benachteiligt.
Während der Revolution Anfang 2011 verschwanden dann auch die
Sicherheitskräfte. Beobachter sprechen seitdem von einem Sicherheitsvakuum
auf dem Sinai. Die Beduinen, die meist nur Unterdrückung seitens des Staats
erlebt haben, fühlen sich hingegen sicherer.
Die zusätzlichen Truppen und Panzer, die jetzt auf den Straßen des Sinai zu
sehen sind, rufen bei ihnen nur schlechte Erinnerungen wach.Vor acht Jahren
wurden bei einem Anschlag im Ferienort Taba 34 Menschen getötet.
Sicherheitskräfte nahmen daraufhin wahllos über 3.000 Menschen fest. „Wir
werden den Sicherheitskräften helfen, die Männer zu finden, die den
Grenzposten angegriffen haben“, sagt Heitham al-Feisal, ein hochrangiger
Geistlicher. „Aber wir bitten die Regierung, nichts zu überstürzen und
einfach Leute festzunehmen.“ Al-Feisal und andere Mitglieder der
salafistischen Organisation Gamaa Sunna haben am Samstagabend eine
Konferenz organisiert. Etwa 400 Teilnehmer aus dem Nordsinai sind gekommen,
um zu diskutieren, wie sie auf die aktuellen Entwicklungen reagieren
sollen.
„Die Sicherheitskräfte sind nur willkommen, wenn sie uns respektieren und
sich nicht verhalten wie unter Mubarak“, sagt al-Feisal. Sonst, so die
Meinung der Anwesenden, werden sie sich gegen die Übergriffe wehren.
12 Aug 2012
## AUTOREN
Raphael Thelen
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