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# taz.de -- Kommentar Ägypten: Ein mutiger Befreiungsschlag
> Die alten ägyptischen Generäle sind entmachtet. Präsident Mursi hat sie
> elegant weggelobt, das Militär gespalten und sich so eine enorme
> Machtfülle erobert.
Bild: Ägyptens Staatsoberhaupt Mursi (rechts) hat es geschafft, die Militärf�…
Ägyptens oberste und altgedienten Generäle wurden in die Rente geschickt.
Die politische Entmachtung der obersten Militärführung ist für das Land am
Nil das wohl wichtigste Ereignis seit dem Sturz Mubaraks. Es kann gar nicht
überbewertet werden. Erstmals in der neueren Geschichte des Landes hat ein
ziviler Präsident offen eine Entscheidung gegen die Militärs getroffen.
Der mutige Befreiungsschlag des gewählten Präsidenten Muhammad Mursi,
seinen Verteidigungsminister Muhammad El-Tantawi und seinen Stabschef Sami
Anan zu pensionieren, kam für alle absolut überraschend. Denn die meisten
hier hatten geglaubt, dass diese beiden grauen Eminenzen die wahren und
damit unantastbaren Machthaber Ägypten sind.
Mursi hat geschickt agiert. Er hat ausgenutzt, dass wegen der jüngsten
Ereignisse im Sinai, viele Ägypter den Militärs unangenehme Fragen
stellten. Etwa diese: Wo waren eigentlich die Offiziere, als bei einem
Angriff auf einem Posten der Armee 16 Gefreite getötet wurden? Die hatten
ihren Posten verlassen, um anderswo auf feinere Art ihr Ramadanfasten zu
brechen.
Mursi hat es aber auch geschafft, die Militärführung zu spalten und
Mitglieder des obersten Militärrates an deren eigener politischen Absetzung
zu beteiligen. Sowohl der neue Verteidigungsminister Abdel Fattah Al-Sisi,
als auch der neue Stabschef Sidqi Subhi stammen aus dem obersten
Militärrat. Mit ihrer Ernennung haben sie auch zugestimmt, dass sich Mursi
in einer Verfassungserklärung vom Militärrat all jene exekutiven
Kompetenzen zurückholt, die sich der Militärrat in einer von ihm
verkündeten Übergangsverfassung zuvor gesichert hatte.
## Gerichtlich unantastbar
Und Mursi hatte die entlassenen Generäle noch einmal hoch dekorieren und
offiziell zu seinen Beratern gemacht und damit weggelobt. Damit stellt er
zunächst zweierlei sicher: Die pensionierten Militärs bleiben zunächst
gerichtlich unantastbar, ein wichtiger Punkt, damit diese bei ihrer
Entlassung keinen Widerstand der Armee organisieren und womöglich putschen.
Und als Präsidialberater dürfen sie ohne Genehmigung des Präsidenten nicht
ausreisen. Damit sind spätere gerichtliche Schritte gegen sie nicht
ausgeschlossen. Dass das Militär seit der Entlassung nichts unternommen
hat, spricht sehr für diese elegante Taktik des Präsidenten.
Man kann das ganze aus zweierlei Perspektive betrachten. Im Machtkampf
zwischen den Muslimbrüdern und den Militärs, haben die Muslimbrüder nun
gewonnen. Es war aber auch ein Machtkampf zwischen der gewählten und damit
legitimierten Institutionen des obstersten Staatschefs und der nicht
gewählten, intransparenten und nicht zu Rechenschaft zu ziehenden
Institution des Militärrates. Dass der Gewählte diesen für sich entschieden
hat, ist auch ein Sieg in der demokratischen Umwandlung des Landes.
Gefährlich ist dabei freilich die Machtfülle, die der Präsident im Moment
innehat. Mursi hat die volle exekutive und legislative Macht, und das Recht
die verfassungsgebende Versammlung neu aufzustellen, sollte die bisherige
nicht vorankommen. Die große Frage ist, wie verantwortungsvoll er mit
diesem politischen Monopol nun umgeht.
## Über das eigene Klientel hinaus
Mursi braucht eine breite politische Unterstützung, die über sein eigenes
Klientel, die konservativen Muslimbrüder hinausreicht. Dabei ist die
gestrige Ernennung Mahmud Mekkis zum neuen Vizepräsidenten von großer
Bedeutung. Der liberale Richter war in den letzten Mubarak-Jahren das
Aushängeschild der Richter in ihrem Kampf für eine regime-unabhängige
Justiz.
Dessen Ernennung stellt damit auch ein wichtiges Signal in Richtung
liberaler und linker Kreise dar. Nachdem das Militär nun politisch
ausgebotet ist, wird sich die gesamte Aufmerksamkeit des Landes auf das
Schreiben einer neuen Verfassung konzentrieren. Dieser Prozess wird nur
Erfolg haben, wenn er in einem breiten gesellschaftlichem Konsens
stattfindet.
Das ist die nächste große Herausforderung, vor der das Land steht. Erst
dann kann es Neuwahlen zu einem Parlament geben. Erst dann wäre die
Gewaltenteilung und damit die Grundlage für ein demokratisches Ägypten
hergestellt. Ein sicherlich noch steiniger Weg.
Aber ein scheinbar unüberwindlichen Felsbrocken wurde jetzt aus dem Weg
geschafft. Die Türkei hat drei Jahrzehnte gebraucht, um die Generäle aus
der Politik zu entfernen. Ägypten hat die Generäle in nur 18 Monaten
entmachtet. Hoffentlich.
13 Aug 2012
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
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