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# taz.de -- Doku zum Pogrom in Rostock-Lichtenhagen: Zwischen Schweigen und Ver…
> Die Doku „Als Rostock-Lichtenhagen brannte“ entstand gegen drastische
> Widerstände. Bürger wollten sich nicht erinnern, Politiker sagten
> Interviews ab.
Bild: Äußert sich in der Doku überrascht von der Reaktion der Lichtenhagener…
Im August 1992 zeigen hässliche Deutsche, wozu sie fähig sind: In
Rostock-Lichtenhagen wüten mehrere tausend Anwohner tagelang vor der
Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber und einem Wohnheim für ehemalige
vietnamesische Vertragsarbeiter.
Von lautem Jubel begleitet fliegen Steine und Brandsätze in die Wohnungen,
aufgehetzte Bürger grölen rassistische Parolen. Es herrscht Pogromstimmung.
Dass es keine Toten gibt, grenzt an ein Wunder. Zum 20. Jahrestag der
Ereignisse zeigt der NDR die Doku „Als Rostock-Lichtenhagen brannte“.
„Mich hat vor allem interessiert, wie es in diesem ganz normalen
Wohnviertel zu solchen Ausschreitungen kommen konnte“, sagt Autor und
Regisseur Florian Huber. Bei der Beantwortung schlägt er einen sinnvollen
Bogen von der Ausgrenzung von Migranten in der DDR bis zur
Asylrechtsdebatte im wiedervereinigten Deutschland.
Je näher Huber bei seiner Recherche den Ereignissen in Rostock-Lichtenhagen
kam, desto schwieriger wurde die Arbeit. „Schon bei meinen ersten
Gesprächen vor Ort kam ich mir vor wie ein Störenfried“, sagt er. „Die
Ereignisse von damals sind für viele in Rostock so etwas wie das Skelett im
Kleiderschrank: Es ist hässlich und peinlich, und man will es nie wieder
rausholen.“
Viele frühere Politiker und Polizeivertreter sagten Interviews kurzfristig
ab. Manche, etwa der damalige Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern,
Lothar Kupfer (CDU), äußern sich grundsätzlich nicht. Eine Schlüsselfigur
für Huber war Winfried Rusch, damals Abteilungsleiter für Ausländerfragen
im Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern: „Er wollte nur mit
Genehmigung des Innenministeriums sprechen, und nachdem man dort von meiner
Recherche erfuhr, wurde es kompliziert.
## Maulkorb für Mitarbeiter
Es gab eine Art Maulkorb für alle damaligen Mitarbeiter, und man hat mir
untersagt, bereits gedrehtes Material zu verwenden. Erst nach Gesprächen
auf höchster Ebene wurde das alles wieder zurückgenommen.“ Als das
Fernsehteam vom Dach des Sonnenblumenhauses, in dem sich die Aufnahmestelle
und das Wohnheim befanden, das Viertel filmen wollte, gab es Probleme: „Die
zuständige Wohnungsgesellschaft hat uns keine Genehmigung erteilt. Man
fürchtete Imageprobleme und Rufschädigung.“
Zu Wort kommt im Film allerdings der Augenzeuge und Neonazi-Aussteiger Ingo
Hasselbach, der damals mit Kameraden nach Rostock fuhr. Dass „normalste
Bürger“ den Ereignissen applaudierten, bezeichnet er im Film als „verkehrte
Welt“.
Insgesamt vermittelt die Doku einen guten Überblick über die Vorgeschichte
der Ereignisse. Zumindest unglücklich ist aber eine Passage, in der Huber
Asylsuchende zeigt, die in Massen in eine Behörde strömen. Dazu heißt es im
Off-Text, dass sich die Zahl der Asylsuchenden Anfang der 90er Jahre
innerhalb kurzer Zeit vervierfachte. Es hat den Anschein, als würde Huber
die damalige „Das Boot ist voll“-Rhetorik reproduzieren und den Rassisten
von Lichtenhagen ein berechtigtes Motiv zugestehen. „Die
ausländerfeindliche Stimmung hatte mit solchen Bildern und Zahlen, mit
dieser Angstmache zu tun“, sagt Huber dazu. „Ich wollte das Gefühl
transportieren, das viele Bürger hatten. Das heißt nicht, dass ich der
Meinung bin, damals wäre das Land von Ausländern überschwemmt worden.“ Gute
Absicht, schlechte Ausführung.
## Mittel zum Zweck?
Schade ist, dass Huber keine der Asylsuchenden und Vietnamesen vor die
Kamera bekommen hat. Das ist in der empfehlenswerten Doku „The truth lies
in Rostock“ von 1993 anders. Sie bietet auch eine überzeugendere Analyse:
Während Huber erkennt, dass die Pogrome denjenigen in die Hände spielten,
die das Asylrecht ändern wollten, sieht er als Ursache für sie ein Versagen
von Politik und Polizei. „The truth lies in Rostock“ legt den Schluss nahe,
dass es sich nicht um Versagen handelte, sondern um eine Inszenierung,
damit nach der Eskalation in Lichtenhagen die Grundgesetzänderung bezüglich
des Asylrechts vollzogen werden konnte.
Übrigens: In der ARD wird zum Jahrestag keine Doku über die Krawalle von
Lichtenhagen ausgestrahlt. Das ist eigenartig, denn dieser Tiefpunkt der
deutschen Nachkriegsgeschichte ist keine Angelegenheit, die ausschließlich
im Regionalprogramm verhandelt gehört. Wie war das noch mit dem Skelett?
„Als Rostock-Lichtenhagen brannte“, 21 Uhr, NDR.
13 Aug 2012
## AUTOREN
Sven Sakowitz
## TAGS
Stasi
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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