# taz.de -- Kolumne Blicke: Der Deutschlandachtundachtziger | |
> Der „Spiegel“ verniedlicht die Beziehung von Nadja Drygalla zu einem Nazi | |
> und sieht eine „schwierige Geschichte“. Höchste Zeit, mal ein paar Dinge | |
> klarzustellen. | |
Bild: Nicht die richtigen Fragen gestellt? Ruderin Nadja Drygalla. | |
Mit 23 Jahren darf man ein Auto fahren – und also potenziell eine Menge | |
Leben vernichten. Man hat das passive und aktive Wahlrecht und ist voll | |
geschäftsfähig. Man darf heiraten, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen. | |
Man ist, kurz gesagt, erwachsen. | |
Im Fall der Ruderin Nadja Drygalla gilt das alles nichts. Jede Menge | |
selbsternannte Papis und Mamis fanden sich bereit, aus einer völlig klaren | |
Angelegenheit „eine schwierige Geschichte“ (Spiegel – aber weiß der Füh… | |
nicht nur der) zu machen. Dass Drygalla eine junge, dralle, blonde Frau | |
ist, senkte die patschige Paternalismusschwelle noch einmal beträchtlich: | |
Der greift man doch gern unter die Arme gegen eine angeblich hysterische, | |
weil antifaschistische Öffentlichkeit. | |
Also hier zum Mitschreiben: Wer in seinem Umfeld einen Nazi hat, setzt ihm | |
eine Frist zur Läuterung. Wenn er Diskussionsbedarf anmeldet – etwa über | |
technische Details der Gaskammern in Auschwitz –, schickt man ihn in eine | |
öffentliche Bibliothek. Wenn er die Frist verstreichen lässt, ist er, was | |
den persönlichen Kontakt angeht, auf Deutsch gesagt weg vom Fenster. Das | |
ist nicht nur eine Frage der Hygiene; das ist ein erprobtes Mittel, um dem | |
Nazi zu signalisieren, dass Nazismus nicht dorf- und schon gar nicht | |
salonfähig ist. Erwachsen ist, wer Entscheidungen trifft. | |
Wenn also demnächst Ihr Freund seine Eisenstange im Flur abstellt, fragen | |
Sie ihn nicht, wie der Protest gegen die Gedenkveranstaltung für die | |
NSU-Opfer gelaufen ist; Sie antworten auch nicht auf die Frage, wie es beim | |
Rudern so war; sondern Sie weisen ihm die Tür beziehungsweise gehen selbst | |
hinaus. | |
Frau Drygalla sieht das nicht so. Die Distanzierungen ihres Nazilovers | |
Michael Fischer vom braunen Müll sind zwar hanebüchen, sie aber hält | |
„ungeachtet der öffentlichen Kritik“ (dapd) zu ihrem Freund. „Es ist mei… | |
Entscheidung, zu ihm zu stehen. Trotz allem, was passiert ist“, wird sie im | |
aktuellen Stern zitiert. Das wird man ein ideologisch verfestigtes Weltbild | |
nennen müssen. Mit ihrem Kampf für arische Privacy hat Frau Drygalla beste | |
Chancen, zur NPD-Ikone zu werden. | |
Dass der Vorstand des Ruderclubs, in dem Drygalla und Fischer durchdrehten, | |
schon seit Sommer 2010 Bescheid wusste, spricht dafür, in | |
Mecklenburg-Vorpommern lieber für 1 bis 1.000 Jahre das Rudern zu verbieten | |
als die NPD. Die nämlich ist nur so stark, wie man sie sein lässt: was | |
gerade 2.000 Menschen in Pasewalk mit ihrem Protest gegen das Nazitreffen | |
rund um einen Schweinestall im Ortsteil Viereck bewiesen haben. Gemeinsam | |
zeigten sie den Nazis, was eine Sackgasse ist. | |
Das Problem sind nicht die Braunen; die gibt es schon lange, und es wird | |
sie noch eine Zeit lang geben. Das Problem sind die Leute im | |
Vereinsvorstand des „Olympischen Ruderclubs Rostock“, die von Fischer frank | |
und frei gesteckt bekamen, dass er ein Herrenmensch war und das auch zu | |
bleiben gedachte, und die ihm dann „noch eine Chance geben“ wollten | |
(Spiegel). Eine Chance gibt man jemandem, der etwas ändern will. Fischer | |
wollte nichts ändern und trat aus dem Verein aus. Bei Frau Drygalla muss er | |
nicht austreten. | |
16 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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