| # taz.de -- Umweltminister spricht über Single-Dasein: 140 Kilo Abweichung | |
| > Auf eine dicke Scheibe Käse mit Helmut Kohl: Peter Altmaier will über | |
| > Essen sprechen – stattdessen geht es aber wieder mal um Sex. | |
| Bild: Lippenspalte, Gaumenspalte, Sex: Mit nichts von alldem will Altmaier iden… | |
| Spätestens seitdem Umweltminister Peter Altmaier der Bild am Sonntag | |
| Einblicke in sein Privatleben gegeben hat – „Doch der liebe Gott hat es so | |
| gefügt, dass ich unverheiratet und alleine durchs Leben gehe“ –, stellt | |
| sich mancher die Frage, ob womöglich etwas mit seiner „sexuellen | |
| Orientierung“ nicht ganz in der Norm sei. | |
| Bereits zuvor war in einer taz-Kolumne über eine spezifische Orientierung | |
| spekuliert worden, in einem späteren Text danach gefragt – das wurde in- | |
| und außerhalb der taz-Redaktion heftig diskutiert. Dabei wollte Altmaier in | |
| der BamS eigentlich nur über Essen und Politik reden – und unternimmt nun | |
| im aktuellen Stern einen neuen Versuch: Er erzählt zum Beispiel von den | |
| dicken Scheiben Käse, die er einst mit Helmut Kohl verzehrte. Doch dann, | |
| völlig unvermittelt, nehmen die Fragesteller Kurs auf den Bereich unter der | |
| Gürtellinie: „Wenn sie so allein unterwegs sind und Sie sehen eine | |
| glückliche Familie: Mann, Frau, zwei Kinder. Wird ihnen da nie weh ums | |
| Herz?“ | |
| Eben noch im freundlichen Gespräch über die unter der Kleidung verborgene | |
| Leibesfülle, er spricht selbst von „140 kg“, wird der Minister in die | |
| heterosexuelle Zwangsmatrix hinabgezogen, mit Männer und Frauen | |
| konfrontiert, die kopulieren, damit hernach – inter faeces et urinam – | |
| Kinder geboren werden. Aber natürlich ist dies nur der Auftakt, denn | |
| spannender als die heterosexuelle Orientierung jener PolitikerInnen und | |
| Personen des öffentlichen Lebens, die tagein und tagaus mit aller | |
| Selbstverständlichkeit verhandelt wird – von der neuesten Liebe innerhalb | |
| des gesellschaftlich akzeptierten Rahmens bis zum Nachwuchs –, interessiert | |
| natürlich, wie bei Fußballern, die Abweichung. | |
| ## Ein Gleichnis | |
| Peter Altmaier aber sagt, er möchte nicht „als Politiker über meine | |
| sexuelle Identität definiert oder wahrgenommen werden“, er beharrt darauf, | |
| schlicht allein lebend und sonst gar nichts zu sein – und als er gefragt | |
| wird, ob denn die Sexualität nicht ein bestimmender Teil jedes Menschen | |
| sei, greift er zum Gleichnis: Er wolle auch nicht darauf festgelegt werden, | |
| eine Lippen- und Gaumenspalte zu haben. Bei der „Cheilognathopalatoschisis“ | |
| handelt es sich nach WHO-Klassifikation um eine angeborene Fehlbildung. | |
| Auch Adipositas ist von der WHO als Krankheit erfasst, Homosexualität seit | |
| 1992 nicht mehr. Peter Altmaier nimmt im Stern-Gespräch explizit Bezug auf | |
| selbige: „Die gleichen Leute, die sagen, ihr müsst uns Schwule akzeptieren, | |
| haben ein Riesenproblem zu akzeptieren, dass jemand alleine leben möchte.“ | |
| Gleiches unterstellt er auch den Zwangsmatrix-Heteros, die annähmen, dass | |
| „jemand, der alleine lebt, kein Mensch sein könne“. | |
| Mit letzterer Aussage kritisiert Peter Altmaier sogar seine eigene Partei, | |
| die sich noch stets den Werten der Familie verschrieben hat. Aber was hat | |
| es eigentlich mit den Schwulen auf sich, die das „Alleinesein“ als | |
| Erklärung nicht akzeptieren möchten? | |
| Bei dieser Frage müsste man noch einmal kurz auf allein lebende Menschen an | |
| sich zurückkommen: Hat ein Mensch, der allein lebt, keine sexuelle | |
| Orientierung? Oder hat zum Beispiel ein tatsächlich zölibatär lebender | |
| Priester oder eine Nonne keine sexuelle Orientierung? Sie haben eine, leben | |
| diese allerdings temporär oder dauerhaft nicht aus. Schwulen und Lesben | |
| wiederum ging es im Rahmen ihres Ringens um Entkriminalisierung und | |
| Gleichberechtigung nicht um expliziten Geschlechtsverkehr, sondern um die | |
| politische und gesellschaftliche Anerkennung ihrer sexuellen Orientierung | |
| als Teil ihrer Identität. | |
| ## Sexuelle Selbstbestimmung ist Menschenrecht | |
| Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, und das Wort | |
| „Outing“ kommt von „Coming-out“, abgeleitet aus dem englischen „comin… | |
| of the closet“. Ein individueller Prozess, innerhalb dessen sich eine | |
| Person über ihre von der Norm abweichende Sexualität oder Geschlechterrolle | |
| bewusst wird – um sie hernach dem sozialen Umfeld mitzuteilen. In einem | |
| erweiterten, politischen Sinn bezieht sich diese Mitteilung auch auf die | |
| Öffentlichkeit, denn Sichtbarkeit war und ist für die homosexuelle | |
| Emanzipation unerlässlich. Jeder Mensch, der sich öffentlich zu seiner | |
| abweichenden sexuellen Orientierung „bekennt“ – und nicht etwa zu | |
| schlüpfrigen Details des letzten Sexualakts –, bedeutet einen weiteren | |
| Schritt in Richtung des gesellschaftlichen Fortschritts. | |
| Der Politiker Peter Altmaier setzt sich durchaus innerhalb seiner Partei | |
| für die Belange von Schwulen und Lesben ein – so wie er auch im Rahmen der | |
| „Parteidisziplin“ gegen die Gleichstellung von Homo- und Heteroehe gestimmt | |
| hat. Aber womöglich wird in der Debatte schlicht der eigentliche innere | |
| Antrieb dieses Mannes fehlinterpretiert. Er ist Umweltminister, seine | |
| Aufgabe ist, es, das Klima zu retten. Und wer schadet dem Weltklima am | |
| meisten? Es sind die Menschen. Viel zu viele Menschen. Sieben Milliarden | |
| sind es nunmehr, und jeden Tag werden neue hinzugeboren! Rosa von Praunheim | |
| hatte recht: Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in | |
| der er lebt. | |
| Peter Altmaier geht als allein lebender, sich nicht ständig fortpflanzender | |
| Mensch mit gutem Beispiel voran, die Situation auf Gottes Erde zu | |
| verbessern. | |
| 23 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reichert | |
| ## TAGS | |
| Leben | |
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