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# taz.de -- Chirurg über Organspenden: „Dieser Fall ist erschütternd“
> Was hilft gegen Manipulationen bei Organspenden? Ein zusätzliches System
> der Überprüfung und eine ethische Ausbildung, sagt der
> Transplantationschirurg Nagel.
Bild: Mehr Kontrolle ist nötig, bevor es hier lang geht.
taz: Herr Nagel, Sie sind Transplantationschirurg, Ärztlicher Direktor der
Uniklinik Essen – und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Hätten Sie sich
gewünscht, dass der eine oder andere Arztkollege ein kleines Ethikseminar
absolvieren muss, bevor er Patientenschicksale manipuliert?
Eckhard Nagel: Ich glaube, kein Ethikseminar kann davor schützen, dass eine
einzelne Person mit krimineller Energie Dinge tut, von denen sie weiß, dass
sie sie nicht tun darf. Dennoch brauchen Ärzte eine umfassendere Ausbildung
in Ethik. Nicht nur die Ökonomisierung, sondern auch Fragen am Anfang und
Ende des Lebens machen die Medizin komplexer.
Ökonomische Fehlanreize tragen eine Mitschuld am Systemversagen?
Die Frage, inwieweit das System versagt hat, kann erst geklärt werden, wenn
alle Vorwürfe bewertet wurden. Zu den ökonomischen Fehlanreizen ist
festzustellen, dass der Anteil der Transplantationsmedizin an den
Gesamtausgaben für stationäre Krankenhausleistungen unter 0,5 Prozent
liegt. Dennoch: Finanzielle Anreize im Hinblick auf die Patientenversorgung
sind abzulehnen. Was die Manipulationen in Göttingen und Regensburg
betrifft, so gehe ich fest davon aus, dass dies die einzigen Fälle dieser
Art sind.
Es ist kein systematisches Problem, wenn der Ärztekammer bekannt war, dass
ein Kollege gegen die Richtlinien zur Organvergabe verstoßen hatte – ohne
Konsequenzen?
Die Ereignisse, von denen wir jetzt hören, sind für mich so überraschend
wie für die Öffentlichkeit. Es gab einen einzigen Fall 2005 in Regensburg …
… da hatte der Arzt, der jetzt im Verdacht steht, massiv Daten gefälscht zu
haben, eine Leber, die für eine Patientin von der hiesigen Warteliste
bestimmt war, nach Jordanien gebracht und dort transplantiert.
Dieser Fall ist erschütternd. Er ist von der Bundesärztekammer und den
zuständigen Prüfgremien aufgearbeitet und an die Staatsanwaltschaft
übergeben worden.
Herr Nagel, wenn Sie oder Ihre Kollegen sehen, dass solches Verhalten
unsanktioniert bleibt – ist es dann nicht Ihre ethische Pflicht,
Öffentlichkeit herzustellen?
Die Staatsanwaltschaft hat nach meiner Kenntnis die Ermittlungen
eingestellt. Dies bedeutet in der Regel, dass nach genauer Prüfung
juristisch kein Fehlverhalten vorlag. Wir haben weder im Standesrecht noch
in unserem sonstigen Rechtsverständnis eine Position, wonach allein ein
Verdachtsmoment dazu führen darf, dass jemand in seiner persönlichen
Entwicklung grundsätzlich behindert wird. Natürlich hätte sich die
Uniklinik als Arbeitergeber überlegen müssen: Darf ich so jemanden weiter
fördern?
Hilft mehr staatliche Kontrolle?
Staatlichkeit allein verhindert nicht die Möglichkeit zur Manipulation. Wir
brauchen aber ein zusätzliches System der Überprüfung, das keinen Raum für
Manipulationen lässt. Unangemeldete Besuche von Externen können dazu
beitragen. Wichtig ist, dass diejenigen, die überprüfen, auch
Sanktionsmöglichkeiten haben und einsetzen. Das war bisher nicht der Fall.
Staatsanwälte sollen ermitteln, Ärzte heilen. Oder?
Gesetzliche Kontrolle muss es geben, sie bedarf aber medizinischer
Expertise. Es ergibt keinen Sinn, Juristen damit zu beauftragen, formal
Patientenakten zu sichten. Eine juristische Beurteilung eines Patienten
kann die ärztliche Entscheidung nicht ersetzen.
Der Staat überantwortet Ärzten nicht nur die Kontrolle, sondern auch die
Frage: Nach welchen Prinzipien werden Lebenschancen verteilt?
Im Gesetz steht, dass die Spenderorgane nach medizinischen Kriterien wie
Dringlichkeit und Erfolgsaussicht verteilt werden sollen.
Ein unauflösbarer Widerspruch.
Das Gesetz sieht Erfolg und Dringlichkeit parallel, und ich halte beide
Pole für richtig. Nur: Je kränker ein Patient ist, desto dringlicher ist
eine Transplantation und desto wahrscheinlicher ist, dass diese nicht mehr
so erfolgreich sein wird wie bei einem Patienten, dem es noch besser geht.
Wenn man ausschließlich die Dringlichkeit priorisiert, kann der Erfolg,
bezogen auf alle Patienten, abnehmen. Deshalb bedarf es eines schwierigen
Abwägungsprozesses, welcher dringliche Patient welches Organ bekommt.
Als Ausweg werden zunehmend auch minderwertige Organe verpflanzt, etwa von
alten Spendern mit Vorerkrankungen. Mitunter angeboten werden sogar Organe
von HIV-Infizierten. Wie ethisch ist das denn?
Ihre Frage suggeriert, es würden skrupellos alle Organe transplantiert. Das
ist falsch. Es ist immer ein genauer Abwägungsprozess, und transplantiert
wird nur nach Aufklärung des Patienten und seiner Zustimmung. Sicher: wir
entnehmen heute auch Organe, die früher für nicht geeignet gehalten wurden.
Wir dachten beispielsweise, dass ein Organspender nicht älter als 45 sein
darf. Heute wissen wir, dass ein Spender auch über 80 sein und dennoch
seine Niere erfolgreich transplantiert werden kann. Zugleich wissen wir
aber auch: Je schwerer ein Patient erkrankt ist, desto besser muss die
Funktion des Organs sein, das transplantiert wird.
Wieso?
Einem wirklich schwerkranken Patienten kann ich nicht eine Leber
transplantieren, die beispielsweise schon eine Entzündung durchgemacht und
deswegen eine eingeschränkte Funktion hat. Die Aussicht, dass dem Patienten
dieses Organ helfen würde, ist leider zu gering. Jetzt wird aber diese
Leber mit eingeschränkter Funktion gespendet.
Anstatt sie wie früher gar nicht zu verwenden, wählt man einen Patienten
auf der Warteliste, dessen Erkrankung noch nicht so weit fortgeschritten
ist, der aber ebenfalls ein hohes Risiko hat, in den nächsten sechs Monaten
zu versterben. Wenn ich diesem Patienten die Leber übertrage, verschlimmert
sich seine Erkrankung nicht mehr, sondern er kann mit der Transplantation
gesund werden.
Und wer profitiert von den Organen eines HIV-Infizierten?
Organspenden bei schweren Infektionskrankheiten sind in der Regel
ausgeschlossen.
26 Aug 2012
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
Organspende
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