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# taz.de -- Spitzengespräch zur Krise im Organspendewesen: Kosmetische Korrekt…
> Einen grundlegenden Systemwechsel will der Gesundheitsminister nicht.
> Eurotransplant und die Kliniken sollen aber besser kontrolliert werden.
Bild: Über Lebenschancen entscheidet weiter die Bundesärztekammer.
Mehrere Stunden hatte das Spitzengespräch zur größten Krise im deutschen
Organspende- und Transplantationswesen im Bundesgesundheitsministerium in
Berlin gedauert. Als dann am Montagmittag der Bundesgesundheitsminister
Daniel Bahr (FDP), seine Länderkollegen, Vertreter der Krankenkassen,
Krankenhäuser, Bundesärztekammer sowie der Deutschen Stiftung
Organtransplantation (DSO) und Eurotransplant vor die Presse traten,
präsentierten sie: einen kleinsten gemeinsamen Nenner für bessere Kontrolle
und mehr Transparenz.
Reformiert werden muss ein System, das auf Vertrauen basiert, aber den
Rückhalt in der Bevölkerung zunehmend verliert – nach Mobbing- und
Geldverschwendungsvorwürfen gegen den Vorstand der DSO im Winter sowie
aktuell Betrügereien bei der Organvergabe durch Ärzte der Unikliniken
Göttingen und Regensburg.
Das soll sich bessern, versprach Bahr: Künftig werde es in allen 48
Transplantationszentren Deutschlands flächendeckende und unangemeldete
Stichprobenprüfungen geben, um etwaige Manipulationen von Laborwerten oder
Patientendaten frühzeitig zu erkennen. Die hierfür zuständige
Prüfungskommission bei der Bundesärztekammer werde personell verstärkt. An
den Inspektionen nähmen künftig auch Experten teil, die von der
Transplantationsmedizin unabhängig seien, sowie Vertreter der
Landesbehörden, ergänzte der saarländische Gesundheitsminister Andreas
Storm (CDU). Auch müsse die Prüfungskommission ihre bislang streng geheim
gehaltenen Prüfberichte veröffentlichen.
## 119 Berichte aus 10 Jahren
Am Montagnachmittag standen dann tatsächlich alle 119 Berichte aus den
letzten zehn Jahren über Auffälligkeiten und Verstöße gegen die
Organvergabe-Richtlinien im Netz – wenngleich stichwortartig auf 141
tabellarische Seiten heruntergekürzt und damit nicht wirklich einfach
nachvollziehbar. 21 dieser Verstöße seien an die Behörden weitergemeldet
worden, sagte der Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery.
Insgesamt habe es in dem Zeitraum 50.739 Organtransplantationen gegeben.
Daten, die über die Platzierung eines Patienten auf der Warteliste
entscheiden, dürften nicht mehr einzig von dem behandelnden Arzt an
Eurotransplant übermittelt werden, sondern durch drei Ärzte. Daneben, so
Bahr, drohe Transplantationszentren bei schweren Verstößen die
vorübergehende Schließung. Arbeitsverträge, die die Bezahlung der Chirurgen
an die Menge der transplantierten Organe koppelten, seien ab sofort
unzulässig, sagte der Geschäftsführer der Deutschen
Krankenhausgesellschaft, Georg Baum – um im nächsten Atemzug einzuräumen,
dass solche Verträge ohnehin kaum noch existierten.
Die privatrechtliche Deutsche Stiftung Organtransplantation, die die
Koordination sämtlicher Organspenden verantwortet, bekommt künftig einen
zusätzlichen staatlichen Vertreter in ihr oberstes Aufsichtsgremium
entsandt – in der Hoffnung, diese eine Person könne die personellen
Verflechtungen und Ämterhäufungen, durch die die DSO zuletzt aufgefallen
war, entwirren.
Forderungen der Opposition nach einem grundlegenden Systemwechsel erteilte
Bahr eine Absage. Weder wird das Transplantationswesen – wie etwa in
Spanien, dem erfolgreichsten europäischen Organspendeland – einer
staatlichen (Kontroll-)Behörde unterstellt. Noch ist zu erwarten, dass die
Kriterien, nach denen die Zuteilung der knappen Organe derzeit erfolgt,
transparenter oder gar gerechter werden: Die Entscheidung über
Lebenschancen bleibt weiterhin Sache der Bundesärztekammer, die nicht
einmal den Status eines eingetragenen Vereins besitzt. Die Verlagerung
dieser Richtlinienkompetenz hin zum Gemeinsamen Bundesausschuss, dem
obersten Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, schloss Bahr
derzeit aus.
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler schimpfte auf diese
„kosmetischen Korrekturen“. Ihr Kollege Harald Terpe von den Grünen
forderte „dringend eine parlamentarische Diskussion, wie die staatliche
Kontrolle über das Transplantationswesen ausgebaut wird“.
27 Aug 2012
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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