# taz.de -- Amazon boykottiert Unglue.it: Kein Geld für die Buchbefreier | |
> Die Website Unglue.it sammelt Geld, um Bücher Rechteinhabern abzukaufen | |
> und sie unter freier Lizenz zu veröffentlichen. Nun boykottiert Amazon | |
> solche Zahlungen. | |
Bild: „Der Welt geschenkt“: Bislang hat Unglue.it erst ein Buch „entklebt… | |
HAMBURG taz | Crowdfunding und Creative Commons? Für Ruth Finnegan bis vor | |
Kurzem noch Fremdwörter. Mittlerweile kennt sich Finnegan aus; die | |
78-jährige Anthropologin ist die Autorin des ersten per Crowdfunding | |
„befreiten“ Buches. Auf der Website Unglue.it hat Finnegan die Rechte an | |
ihrem Werk „Oral Literature in Africa“ an einen Netzschwarm verkauft. In | |
Kürze wird das Buch, das sie als ihr „Lebenswerk“ bezeichnet, als E-Book | |
veröffentlicht. Kostenlos, ohne Kopierschutz, und zur freien Verfügung. | |
Im englischen Sprachgebrauch bedeutet „unglue“ (wörtlich „entkleben“) | |
soviel wie lösen oder befreien. Auf Unglue.it können Autoren und | |
Rechteinhaber ihre Bücher „freikaufen“ lassen: Sie legen einen Betrag fest, | |
gegen den sie ihr Buch „befreien“ würden. Wird dieser erreicht, | |
veröffentlichen sie ihr Werk unter einer Creative-Commons-Lizenz als | |
E-Book. Das Buch ist dann „befreit“: Kostenlos und ohne digitale | |
Verbreitungsschranken darf es kopiert, gedruckt und verteilt werden. | |
Egal ob Sachbuch, Biographie oder Gedichtband: Jegliche Art von Literatur | |
kann von der Crowd „befreit“ werden. Einzige Voraussetzung: Das Buch ist | |
bereits publiziert. Für die Befreiung von Finnegans „Oral Literature in | |
Africa“, das erstmals 1970 erschien, spendeten rund 280 Unterstützer mehr | |
als 7.500 Dollar. Sechs weitere Kampagnen wurden seit der Gründung von | |
Unglue.it im vergangenen Jahr gestartet, weitere sollen folgen. | |
„Einige der größten literarischen Werke gehören heutzutage der | |
Öffentlichkeit“, sagt Eric Hellman, der mit drei Kollegen die Website | |
betreibt. „Unser Ziel ist es, dasselbe mit moderner Literatur zu machen“. | |
Der Traum der Macher von Unglue.it sei es, die Welt mit kostenlosen E-Books | |
zu bevölkern. Die Maxime der Website: „Wenn man ein Buch kauft, erhält man | |
ein Exemplar für sich. Wenn es unglued ist, schenkt man es der Welt“. | |
## Amazon leitet kein Geld weiter | |
Es ist ein kühner Traum – und schon jetzt in weite Ferne gerückt. Denn | |
vorerst wird „Oral Literature in Africa“ das einzige „befreite“ Buch | |
bleiben. Denn Amazon, der Quasi-Monopolist auf dem online-Büchermarkt, hat | |
den Bücherbefreiern einen Strich durch die Rechnung gemacht. | |
Bislang nutzten die Betreiber von Unglue.it den Bezahlservice Amazon | |
Payments, doch im August kündigte Amazon an, Unglue.it [1][die Unterstüzung | |
zu verweigern]. Geld, das über den Bezahlservice einläuft, wird nicht mehr | |
weitergeleitet, Hellmans Konto, hieß es vonseiten Amazons, müsse aufgelöst | |
werden. Alle aktiven Kampagnen mussten ausgesetzt werden. Offizielle | |
Erklärung von Amazon: Man wolle keine neuen Crowdfunding-Plattformen mehr | |
unterstützen. | |
„Wir unterstützen eine Reihe von Unternehmen, aber unsere Klienten müssen | |
bestimmte Auflagen erfüllen“, [2][teilte Amazon-Sprecher Ty Rogers] dem | |
amerikanischen Tech-Magazin Wired mit. „Leider unterscheidet sich das | |
Unglue.it-Modell von anderen Crowdfunding-Websites und erfüllt zu diesem | |
Zeitpunkt nicht unsere Auflagen.“ Um welche „Auflagen“ es sich handelt, | |
lässt Rogers offen. | |
Ein Zeichen der Machtdemonstration? Immerhin stellt das Modell von | |
Unglue.it, obgleich ein Winzling in der Welt des Crowdfundig, eine direkte | |
Konkurrenz zu Amazons Geschäftsmodell dar. Die offenen Lizenzmodelle von | |
Unglue.it erlauben es Autoren und Rechteinhabern, mit Creative | |
Commons-Lizenzen eigenverantwortlich zu wirtschaften – abseits von Amazon | |
und co. Hellman glaubt jedoch nicht, dass Amazon aufgrund dieser Gründe die | |
Zusammenarbeit verweigert. „Jedes Projekt hat anfangs seine Probleme. Das | |
ist bei uns nicht anders. Ich denke, Amazon muss erst einmal seine | |
generelle Einstellung zu Crowdfunding überdenken.“ | |
## Geldsuche für Nischenbücher | |
Die Macher von Unglue.it sehen sich derweil nach einem anderen | |
Bezahlservice um, „nach einem Unternehmen, das zu 100 Prozent hinter uns | |
steht“. Es gebe schon viele interessante Bezahlangebote, erklärt Hellman. | |
In den nächsten Monaten wolle man die ausgesetzten Kampagnen wieder | |
aufnehmen. | |
Vielleicht kommen auch noch einige Bücher dazu – denn die „Wunschliste“ … | |
Bücherbefreier ist lang. Ganz oben: Douglas Adams’ „Per Anhalter durch die | |
Galaxis“. 7.500 Euro würden zwar bei Weitem nicht einmal ausreichen, um | |
Gespräche mit den Rechteinhabern zu beginnen. Aber Hellman ist positiv | |
gestimmt: „Wenn wir genug Unterstützer hätten, wäre das schon ein | |
deutliches Signal an den Verlag.“ | |
So lange aber wolle man sich erst einmal auf andere Bücher konzentrieren. | |
„Wir möchten eine ganze Reihe an Büchern verbreiten. Jedes Genre ist | |
möglich.“ Gerade Bücher, die kommerziell nicht erfolgreich wären, aber | |
einen hohen kulturellen Wert besäßen, könnten sich über Unglue.it | |
etablieren. | |
Wie immer geht es beim Crowdfunding aber auch ums Crowdfinding – die Bücher | |
müssen eine bestimmte Zielgruppe ansprechen, die bereit ist, Geld zu | |
investieren. Das dürfte gerade bei Nischenprodukten nicht einfach sein. | |
Eric Hellman aber ist sich sicher: „Wir werden wachsen. Langsam, aber | |
sicher. Buch für Buch.“ | |
26 Aug 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://blog.unglue.it/2012/08/09/open-thread-amazon-forces-unglue-it-to-sus… | |
[2] http://www.wired.com/business/2012/08/crowdfunding-gets-sticky-for-amazon-s… | |
## AUTOREN | |
Katalina Präkelt | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Urheberrecht | |
E-Books | |
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