# taz.de -- Paralympics 2012: Tiefenprüfung für die Fairness | |
> Auch Sportler mit intellektuellen Einschränkungen sind in London dabei. | |
> Sie absolvierten viele Tests – ein Skandal wie im Jahr 2000 sollte | |
> vermieden werden. | |
Bild: Bei den Paralympics treten bei den Schwimmwettbewerben auch AthletInnen m… | |
LONDON taz | Es war ein Skandal. Im Jahr 2000 bei den Paralympics in Sydney | |
hatten zehn von zwölf spanischen Basketballspielern keinerlei geistige oder | |
seelische Behinderungen. Seitdem hat man beim Internationalen | |
Paralympischen Komitee (IPC) zusammen mit Experten viel nachgedacht. | |
Nachdem bei den letzten beiden Sommerspielen die Gruppierung ID | |
(Intellectual Disability) ganz fehlte, wurde 2009 beschlossen, in London | |
wieder drei Sportarten für Menschen mit intellektueller Behinderungen, so | |
nennt es die IPC, zuzulassen. | |
Es handelt sich dabei um die Leichtathletik mit Weitspringen, Kugelstoßen | |
und dem 1.500-Meter-Lauf sowie Tischtennis und Schwimmen. 120 ID-Athleten | |
treten dabei an. Deren Behinderung muss zuvor durch das Gutachten eines | |
Psychologen belegt werden. | |
Dabei werden kulturspezifische IQ-Tests durchgeführt, die bestimmte | |
Sensibilitäten berücksichtigen, damit auch Kulturkreise, in denen etwa | |
Computer nicht verbreitet sind, oder „Intelligenzfragen“ nach westlicher | |
Geschichte oder Städten nicht fair wären, gleiche Chancen haben. | |
Grundsätzlich gilt, dass der Gesamt-IQ die Marke 75 nicht überschreiten | |
darf. Anschließend wiederholt der Internationale Sportverband für | |
Paraathleten mit einer intellektuellen Behinderung (Inas) die IQ-Tests, | |
testet Verhaltenseinschränkungen im sozialen und praktischen Bereich und | |
forscht außerdem nach, ob die Behinderung bereits während des Aufwachsens | |
des Athleten oder der Athletin bestanden hat. | |
Jan Burns, als Professorin für klinische Psychologie beim Inas für die | |
Tests mit zuständig, hält das für wichtig, weil nach traumatischen | |
Unfällen, die Gehirnschäden verursachten, bei vorher unbehinderten Menschen | |
oft trainierte Gehirnmotorik erhalten bleiben kann, was einen Vorteil | |
gegenüber den schon von Geburt an Behinderten darstellen kann. | |
## Sportspezifische Tests | |
Nun werden noch die Auswirkungen auf die sportliche Betätigung der Athleten | |
getestet. Eine intellektuelle Behinderung kann sich auf sechs Bereiche | |
auswirken, erklärt Burns: auf das logische Denken, die Ausführungsfähigkeit | |
von Bewegungen, die Reaktionszeit, auf das visuelle Bewusstsein, die | |
Konzentrationsfähigkeit und die exekutive Funktion, spielerisch planen und | |
darauf zu reagieren zu können. | |
Es gibt auch noch sportspezifische Tests. Bei Menschen der ID-Kategorie ist | |
der Rhythmus der Motorik grundsätzlich etwas langsamer. Im Schwimmsport | |
wird das mittels Videoanalysen überprüft. Es ist ein aufwendiges | |
Testverfahren. Jan Burns ist sich sicher, dass die IPC bald schon mehr | |
Sportarten zulassen wird. | |
Auch wenn es immer noch keine hundertprozentige Sicherheit vor Betrug gebe, | |
sei es heute sehr schwer, eine intellektuelle Behinderung über mehrere | |
Jahre und gegenüber verschiedenen Prüfern vorzutäuschen. | |
Auch bei physisch behinderten Menschen wird mehr getestet als je zuvor. Da | |
gibt es Behinderungen der Muskelstärke, Einschränkungen des Gelenkspiels, | |
Einschränkungen der Gliedmaßen, Unterschiede in der Beinlänge, | |
Kurzwüchsigkeit, Hypertonie, die zu einer ungewollten Muskelaktivität | |
führt, Koordinationsprobleme und Einschränkungen des Sehvermögens. | |
## In Leistungsgruppen zusammengefasst | |
Am Ende werden Menschen mit vergleichbaren Fähigkeiten in Leistungsgruppen | |
zusammengefasst: So treten Menschen mit zwei Beinen, die sie nicht bewegen | |
können, mit Menschen, die keine Beine haben, in derselben Kategorie | |
gegeneinander an. Auch hier gibt es die Sorge, die Athleten könnten | |
betrügen. Deshalb werden die Tests bis zu dreimal im Jahr wiederholt. | |
Die Ärztin Anne Hart ist eine der IPC-Testbeauftragten für Rollstuhlrugby. | |
Sie demonstrierte zusammen mit dem ehemaligen Rugbyspieler Alan Ash, wie | |
komplex das Werfen und Fangen eines Balls ist, dass es darauf ankommt, | |
bestimmte Einschränkungen zu kompensieren. Ash wirft Bälle unter anderem | |
über die Bauchbeugung und fängt sie mithilfe eines legalen klebrigen | |
Handschuhs. Der kompensiert seine Schwierigkeiten beim Greifen. | |
Burns betont am Ende der Demonstration noch einmal, dass Einstufungen ein | |
Akt der Fairness seien. Genau so, wie man zwischen den Geschlechtern | |
trennt, oder zwischen alt und jung, wird bei den Paralympics versucht, den | |
Wettkampf für die Athleten durch das Einschätzen der Leistungsfähigkeit | |
fair zu machen. | |
30 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
## TAGS | |
Olympische Spiele | |
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