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# taz.de -- Paralympics: Auf der Jagd nach Bestzeiten
> Schon 60-mal hat sie einen Weltrekord gebrochen: Die blinde Schwimmerin
> Daniela Schulte gehört zu den Berliner Goldhoffnungen bei den Spielen in
> London.
Bild: Die blinde Schwimmerin Daniela Schulte vor dem Olympiastadion in London. …
Wenn Daniela Schulte am Freitag im Londoner Aquatics Center das erste Mal
vom Startblock springt, dann wird auch ein bisschen Sorge dabei sein. „Es
ist ja doch immer so, als würde man in ein schwarzes Loch springen“, sagt
die 30-Jährige. Nicht nur das: Die Athletin muss auch aufpassen, dass sie
nicht zu oft an die Leine schwimmt und die Wende nicht verpasst. In der
Schwimmhalle werden ihr dann 17.500 Fans dabei zusehen – und das, wo sie
bei anderen Wettkämpfen froh ist, wenn überhaupt mal jemand kommt.
„Paralympics sind etwas ganz Besonderes“, sagt sie. „Noch viel mehr als
Welt- oder Europameisterschaften.“
Die Topschwimmerin Schulte ist blind. Die Frau, die hier am Berliner
Olympiastützpunkt in Hohenschönhausen im Gras sitzt, leise und ruhig
spricht, hält 17 Weltrekorde. Insgesamt hat sie 60-mal einen Weltrekord
gebrochen – selbst Schwimm-Superstar Michael Phelps hat das nur 39-mal in
seiner Karriere geschafft. Gleich zum Auftakt der Internationalen Deutschen
Meisterschaften Ende Juni in Berlin verbesserte sie den Weltrekord über 800
Meter Freistil auf 10: 58, 81. Bei den nicht behinderten Schwimmerinnen
liegt die Weltbestzeit bei 8:14,10.
Schulte startet in der Klasse S11, das ist eine der drei Starterklassen für
sehbehinderte Menschen. Zu den bisher sechs paralympischen Medaillen sollen
für sie bei den am heutigen Mittwoch beginnenden Paralympics in London
einige dazukommen: „Einmal Gold soll es mindestens sein“, sagt sie.
## Groß in Form
Es könnten die Spiele der Daniela Schulte werden, denn erst im Jahr 2008
feierte sie nach fünfjähriger Pause ihr Comeback. Peking kam etwas zu früh
für sie, sie gewann einmal Bronze. Nun aber, nach vier Welt- und vier
Europameisterschaftstiteln im vergangenen Jahr, scheint sie groß in Form zu
sein. „Es sind aber auch die Spiele, bei denen die Erwartungen an mich am
höchsten sind“, sagt sie. Und trotzdem: „Den größten Druck macht man sich
immer selbst.“ Der 1,71 Meter großen Schwimmerin ist der unbedingte
sportliche Ehrgeiz anzumerken, den sie im Wasser an den Tag legt. Sie will
nicht nur mindestens „ein, zwei Medaillen“ holen, sondern auch „auf allen
Strecken neue Bestzeiten“ schwimmen.
Die 1982 geborene Schulte wächst in Berlin auf. Sie erblindet im Alter von
neun Jahren wegen eines Gendefekts. Seither kann sie nur noch
Hell-dunkel-Kontraste schemenhaft wahrnehmen. Eine Behandlungsmethode für
ihre Augenkrankheit gibt es bis heute nicht. Mit zwölf Jahren kommt sie zum
Behindertensport. Bereits im Alter von 14 Jahren erlebte sie 1996 in
Atlanta ihre ersten Paralympics; Schulte brachte zweimal Staffelgold und
zwei Einzel-Silbermedaillen mit nach Hause. In Sydney 2000 folgte eine
weitere. „Der Sport hat mir zu mehr Selbstbewusstsein verholfen“, sagt sie,
„ich gehe anders durch die Straßen, seit ich eine erfolgreiche Sportlerin
bin.“ Sie trainiert zweimal täglich, je eine Schwimm- und eine
„Land“-Einheit, etwa 20 Stunden verbringt sie in der Woche im Wasser.
Die Probleme, die sie als Blinde beim Schwimmen hat, sind für sie zunächst
gar nicht so prägend: „Ich bin da als Kind reingewachsen, da löst man
manches spielerisch“, sagt sie. Heute seien ihr die Schwierigkeiten viel
bewusster. Etwa, dass sie die Beckenenden nicht sieht. Als Hilfe haben
Blinde einen sogenannten „Tapper“, meist der Trainer. Der berührt die
Schwimmerin dann kurz vor der Wende mit einem Stab, an dessen Ende ein
Schaumstoffball ist. Das ist das Signal zur Wende. Dabei kann einiges
schiefgehen: Wird der Schwimmer zu früh angetappt, wendet er zu früh. Dann
trifft er die Wand nicht und wird disqualifiziert. Auch, dass man die
Leinen der Bahn nicht sieht, ist ein gewaltiges Handicap. „Man schwimmt
schon mal zickzack“, sagt Schulte.
Im Jahr 2003 unterbricht sie ihre Karriere, gründet eine Familie, bekommt
Zwillinge und zieht mit ihrem Ehemann ins Grüne nach Mahlsdorf. „Die
Familie steht auf jeden Fall noch vor dem Schwimmen“, sagt sie. Ganz auf
den Leistungssport verzichten kann sie nicht: 2008 kehrt sie zurück. Schon
2009 ist sie besser in Form denn je. 2011 folgen vier EM- und vier
WM-Titel.
## Ihr Handy spricht
Im Alltag nutzt Schulte einige Hilfsmittel. Genauso wichtig wie der
Blindenstock beim Rausgehen sind die vielen technischen Geräte: „Ich habe
ein Handy, das spricht. Mein Computer zu Hause spricht, auch viele meiner
Haushaltsgeräte sprechen.“ Daniela Schulte braucht dank der Technik kaum
noch Unterstützung durch andere Menschen. „Ich habe auch noch einen
Produktscanner, der mir etwa bei einer Flasche oder Dose sagen kann, welche
es ist. Und ein Farberkennungsgerät habe ich auch.“ Den kann Schulte zum
Beispiel an ihre Klamotten im Schrank halten – dann erst erfährt sie, ob
der Badeanzug rot ist.
Schulte trainiert in einer integrativen Trainingsgruppe. Für die Trainer
ist die Arbeit mit behinderten Athleten auch eine Herausforderung. „Die
technischen Voraussetzungen sind andere“, sagt Schulte, „bei den
Nicht-Behinderten arbeiten die Trainer viel mit Videotechnik.“ Cheftrainer
Matthias Ulm, mit dem sie am Olympiastützpunkt trainiert, muss viel mehr
mit Worten erklären. „Manchmal muss er meine Arme bei Trockenübungen
führen, damit ich umsetzen kann, was er meint.“
Für die Athleten mit Behinderung ist der Sport doppelt wichtig. Er halte
fit und mobil, meint Schulte. Und vor allem vermeide der soziale Charakter
des Sports die Tendenz, sich zurückzuziehen. „Es bringt mir auch eine
gewisse Lockerheit“, sagt sie.
Das umfangreiche Training ist für Schulte möglich, weil die Familie sie
unterstützt. Ihr Mann arbeitet weniger, kümmert sich vor den Paralympics
mehr um die Kinder. „Nach London tauschen wir wieder – da schwimme ich dann
etwas weniger.“ Davor aber will Schulte Medaillen einsammeln. Sechsmal geht
sie an den Start: Über 50, 100 und 400 Meter Freistil, über 100 Meter
Rücken, 100 Meter Brust und 200 Meter Lagen. Hat sie auch mal frei? „An
vier von zehn Tagen bei den Paralympics“, sagt die Berlinerin, „das reicht
auch.“
28 Aug 2012
## AUTOREN
Jens Uthoff
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