# taz.de -- Syrischer Oppositioneller Ayman Nour: Kein Berater Gottes | |
> Ayman Abdel Nour beriet Präsident Assad und baute die | |
> Informationsplattform All4Syria auf. Heute betreibt er sie aus dem Exil. | |
Bild: Von den alten Freunden verlassen: Syriens Präsident Assad. | |
Ayman Abdel Nour überlegt kurz und denkt zurück an diesen Mann, den er | |
einmal kannte. Dann grinst er, legt sich eine Hand vor den Mund und | |
nuschelt zwischen den Fingern hervor: „So hat er gesprochen. Er hatte die | |
Angewohnheit, seine Zähne mit der Hand zu verdecken.“ | |
Ayman Abdel Nour sagt das in einem heiteren, amüsierten Ton, wie man über | |
die Eigenarten eines Freundes aus Studienzeiten redet, zu dem der Kontakt | |
irgendwann abgerissen ist. Doch als diese Freundschaft schal wurde, musste | |
er seine Heimat verlassen: Die Rede ist von Baschar al-Assad, dem | |
Präsidenten Syriens. | |
Ayman Abdel Nour ist 47 Jahre alt, orthodoxer Christ, ein Mann mit dunklem | |
Anzug, Krawatte und Schnurrbart, dessen Haar in der Stirn schon etwas dünn | |
geworden ist. Ein unauffälliger Typ, dem anzusehen ist, dass er viel Zeit | |
am Schreibtisch verbringt. Lange war er Teil des herrschenden Systems in | |
Syrien, Mitglied der regierenden Baath-Partei, persönlicher Berater des | |
Präsidenten in wirtschaftlichen und nationalen Fragen. | |
## Gerüstet sein | |
Jetzt sitzt Ayman Abdel Nour auf der Terrasse eines kleinen Cafés in | |
Berlin-Mitte, gleich neben einem Spreekanal, von der Leipziger Straße | |
dringt das Dröhnen des Verkehrs als leises Rauschen herüber. Er kommt | |
gerade von einem Termin im Bundesaußenministerium; er ist dieser Tage ein | |
gefragter Gesprächspartner, weil kaum ein Oppositioneller das Regime so gut | |
kennt wie er. | |
Der Bürgerkrieg in Syrien setzt längst auch die Regierungen der westlichen | |
Welt unter Zugzwang. Ein militärischer Eingriff ist bislang keine Option. | |
Stattdessen versuchen viele Staaten, Einfluss darauf zu nehmen, wie die | |
Zukunft in Syrien aussehen wird. Damit auf den Sturz Assads der Aufbau | |
einer stabilen Demokratie folgt statt Chaos und Zerfall. Dabei spielen | |
Exilanten wie Ayman Abdel Nour eine wichtige Rolle. | |
In der vergangenen Woche hat er an einem Workshop teilgenommen, bei dem | |
syrische und internationale Experten berieten, wie die Wirtschaft in der | |
Ära nach Assad wieder in Gang gebracht werden könnte. Deutschland und die | |
Vereinigten Arabischen Emirate teilen sich den Vorsitz der Arbeitsgruppe, | |
die sich regelmäßig in Berlin trifft. | |
## Vorbereitet sein | |
Doch was hilft es, über Märkte und Wettbewerb zu diskutieren, während der | |
Krieg in Syrien um sich greift? Ayman Abdel Nour lächelt fein. „Uns kommt | |
es darauf an, vorbereitet zu sein“, sagt er. „Wir werden eine Fülle von | |
Vorschlägen erarbeiten. Die künftige Regierung Syriens kann sie annehmen | |
oder ablehnen. Doch es wird ihnen Ideen geben, auf denen sie aufbauen | |
können.“ | |
Ideen. Austausch. Dialog. Für Ayman Abdel Nour sind das die Dinge, mit | |
denen Demokratie anfängt; und das ist einer der Gründe, warum er seine | |
Heimat verlassen musste. Wer ihm zuhört, merkt, dass die Weichen für den | |
Konflikt in Syrien eigentlich schon viel früher gestellt wurden, lange | |
bevor sich das Volk im Frühjahr 2011 gegen das Regime erhob. | |
Seine Geschichte macht deutlich, wie die moderaten Reformer in den Jahren | |
nach dem Amtsantritt von Präsident Baschar al-Assad zunächst Hoffnung | |
fassten, dann ernüchtert, abgedrängt und schließlich politisch | |
ausgeschaltet wurden. Viele von ihnen arbeiten jetzt mit der Opposition | |
zusammen, verdeckt von Syrien aus oder offen im Exil. | |
## Assad als Kommilitone | |
Ayman Abdel Nour hatte fest daran geglaubt, dass Veränderungen innerhalb | |
des bestehenden Systems in Syrien möglich sind. Schließlich kannte er den | |
Präsidenten schon lange, bevor er an die Macht gekommen war. Ein | |
gemeinsamer Freund hatte sie einander vorgestellt. Beide waren 19 Jahre alt | |
und studierten an der Universität von Damaskus, Abdel Nour | |
Bauingenieurwesen, Assad Medizin. „Er war sehr nett, sanftmütig, schüchtern | |
und hörte mehr zu, als selbst zu reden“, erinnert er sich. | |
Eigentlich war Baschar auch gar nicht als Präsident vorgesehen, sondern | |
Basel, sein älterer Bruder. Doch Basel starb bei einem Autounfall, und | |
Baschar wurde in aller Eile militärisch ausgebildet und auf das Amt | |
vorbereitet. Nach einer Weile, sagt Ayman Abdel Nour, seien ihm | |
Veränderungen aufgefallen. „Er wurde aggressiver, selbstsicherer. Seine | |
Stimme wurde kräftiger, sein Blick fokussierter.“ | |
Als Assad im Juli 2000 das Amt seines Vater übernahm, hielt er sich nicht | |
mehr die Hand vor den Mund, wenn er sprach. Der junge Präsident sammelte | |
Technokraten und Fachleute um sich, Männer wie Ayman Abdel Nour, die helfen | |
sollten, die verkrusteten Strukturen des Staates zu modernisieren. | |
## Bittere Enttäuschung | |
Tatsächlich brach zunächst eine Phase der Öffnung an: Internet und | |
Mobiltelefon kamen ins Land, später Satellitenfernsehen, private | |
Radiostationen und Zeitungen. „Es war toll!“, erinnert sich Ayman Abdel | |
Nour. „Wir waren uns sicher, dass der Wandel passiert, und konnten kaum | |
fassen, wie schnell es voranging.“ Doch es dauerte nicht lange, bis die | |
Entwicklung ins Stocken geriet. | |
Nach nur wenigen Monaten zeigte sich, dass es auch unter Baschar al-Assad | |
keine tiefgreifenden Reformen geben würde. Für Abdel Nour war das eine | |
schwere, persönliche Enttäuschung. „Wir dachten, jetzt müssen wir wieder 30 | |
Jahre auf den nächsten Präsidenten warten“, ruft er, mit einer Spur von | |
Bitternis in der Stimme, die er nicht wieder losgeworden ist, bis heute | |
nicht. | |
So wie Ayman Abdel Nour es sieht, hat die Macht den Charakter des | |
Präsidenten verdorben. „Es gab so viele Schmeichler um ihn herum, dass er | |
irgendwann anfing zu glauben, er sei der Vertreter Gottes in Syrien.“ Zu | |
dieser Zeit war die Freundschaft zwischen den beiden längst abgekühlt; seit | |
seinem Amtsantritt hatte Assad den privaten Kontakt abgebrochen. Allmählich | |
wurde Ayman Abdel Nour klar, dass Syriens Zukunft nicht im | |
Präsidentenpalast lag. „Mit Gott kann ich nicht arbeiten“, sagt er trocken, | |
„Gott braucht keine Berater.“ | |
## Internationaler Geschäftsmann | |
Ayman Abdel Nour lehnt in seinem schmiedeeisernen Caféstuhl, die Beine | |
übereinandergeschlagen. Der Geschäftsmann pendelt zwischen den Kontinenten; | |
seine Firma ist in Dubai, die Frau mit den beiden kleinen Söhnen in | |
Montreal. Während er spricht, tippt er kurze Nachrichten in sein | |
Smartphone. | |
2004 gab er seine Position als Berater des Präsidenten auf. Trotzdem hoffte | |
er noch, in Syrien etwas bewegen zu können. Bereits kurz nach dem | |
US-Einmarsch im Irak im März 2003 hatte er die Website All4Syria aufgebaut. | |
Ayman Abdel Nour veröffentlichte Analysen und Beiträge von einheimischen | |
Autoren sowie Übersetzungen von Artikeln aus internationalen Medien. So | |
etwas hatte es zuvor in Syrien noch nicht gegeben. | |
„Die USA arbeiteten daran, Demokratie in unsere Region zu bringen, und | |
davor konnten wir unsere Augen doch nicht verschließen“, sagt er. „Ich | |
dachte, wir müssen neue Werkzeuge entwickeln, die zu unserer Gesellschaft | |
passen, damit wir darauf vorbereitet sind.“ Der Risiken war er sich nicht | |
bewusst. Er ging davon aus, dass seine Beziehungen zu Präsident Assad ihn | |
noch schützen würden. Dass niemand ernsthaft gegen sein Projekt sein | |
könnte, weil es doch dem Interesse der syrischen Nation galt. „Ich dachte, | |
ich bin doch clever. Ich bin Insider, ich kenne die Grenzen“, sagt er. Er | |
hat sich geirrt. | |
## Repression, Resignation | |
Im Februar 2004 wurde seine Website gesperrt. Ayman Abdel Nour war nicht | |
bereit, so schnell aufzugeben. Stattdessen verschickte er die Beiträge | |
jetzt als Newsletter, und als die Behörden seine E-Mail-Adresse | |
blockierten, richtete er sich eben eine neue ein. Ein Katz-und-Maus-Spiel, | |
das sich über Monate zog. | |
In den folgenden Jahren zogen die Repressionen immer stärker an. Dutzende | |
Oppositionelle wurden verhaftet, viele setzten sich ins Ausland ab. Auch | |
gemäßigte Regimekritiker wie Ayman Abdel Nour gerieten immer stärker unter | |
Druck; die Geheimdienste fingen an, ihn offen zu schikanieren. Immer wieder | |
wurde er zum Verhör vorgeladen. Da begann Ayman Abdel Nour zu resignieren. | |
Bei einem Interview im Sommer 2006 in seiner engen Wohnung in Damaskus | |
klang er frustriert. „Hier kann man nicht arbeiten“, sagte er damals, „es | |
gibt keine wirkliche Opposition, keinen Spielraum für Kritik. Wer sich für | |
Reformen einsetzt, dem machen sie das Leben schwer.“ Zu der Zeit | |
verschickte er täglich Newsletter an 18.000 Leser. Doch sein Entschluss. | |
Syrien zu verlassen, stand bereits fest. | |
## Abflug in der Nacht | |
Wenige Monate später erhielt er eine Warnung von einem Freund, der für die | |
Sicherheitsdienste arbeitet: „Um acht Uhr morgen früh tritt eine | |
Reisesperre gegen dich in Kraft.“ Um zwei Uhr stieg Abdel Nour mit seiner | |
Familie ins Flugzeug. | |
Seither kann er [1][All4Syria] wieder als Website betreiben; inzwischen | |
registriert er 50.000 Besucher pro Tag. Das Portal sei das größte syrische | |
Oppositionsmedium, sagt er; er hat zwei Reporter innerhalb des Landes und | |
Kontakte bis in die höchsten Behördenstellen, die ihm Dokumente zuspielen. | |
Inzwischen haben viele Beamte innerhalb des Machtapparats eine Art innerer | |
Desertion vollzogen. Das bedeutet: Sie bleiben auf ihrem Posten, leiten | |
aber wichtige Informationen an die Opposition weiter. | |
Damit ist Ayman Abdel Nour auch ein Beispiel für die neue, enge Vernetzung | |
zwischen den Syrern vor Ort und im Exil, die sich seit Beginn der Revolte | |
entwickelt hat. Ob er sich wünscht, selbst vor Ort dabei zu sein? Er bläst | |
die Wangen auf und schweigt. „Es gibt tausend verschiedene Wege, wie man | |
helfen kann“, sagt er dann, „und ich erledige meinen Teil.“ | |
6 Sep 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://all4syria.info/ | |
## AUTOREN | |
Gabriela M. Keller | |
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