# taz.de -- Debatte Syrien: Der Sieg wird kommen | |
> Der Damaszener Filmemacher Orwa Nyrabia verschwand vor 2 Wochen spurlos. | |
> Er war eine wichtige Stimme des Widerstands – er war „herzversorgt“. | |
Bild: Wie lange wird der Kampf um Syrien noch gehen? | |
Ich konnte es einfach nicht lassen, ich musste Orwa Nyrabias Facebookseite | |
täglich einen Besuch abstatten. Inmitten dieser Flut von Gefühlen, Liebe, | |
Wut und Schmerz, waren seine Kommentare für mich wie ein Kompass. | |
Orwas Blick ist immer scharf und dabei nie unsensibel. Inmitten der | |
Revolution auf Klarheit und Deutlichkeit zu bestehen, ist keine Stilfrage. | |
In Zeiten, in denen die Unterdrückungsmaschinerie außer Rand und Band | |
geraten ist, bedeutet Klarheit, der Panik, der Verzweiflung doch noch etwas | |
entgegenzusetzen. | |
Genau an dieser Klarheit fehlt es bei vielen syrischen Intellektuellen oder | |
angeblichen Anführern der syrischen Zivilbewegung. Ein Großteil von ihnen | |
hat den Volksaufstand ja längst im Stich gelassen. Manche taten es aus | |
Angst, manche aus Überheblichkeit, andere wiederum scheinen irgendwo | |
festzustecken, in ideologiegetränkten Debatten darüber, wie ein | |
Volksaufstand idealerweise auszusehen habe. | |
Orwa hingegen unterstützt den Aufstand auf solide, schnörkellose Weise. | |
Jeder, der ihn kennt, oder je mit ihm zusammen gearbeitet hat, weiß das. | |
Entweder man liebt ihn oder eben nicht, entweder man bewundert seine | |
Arbeit, oder eben nicht. Wenn Orwa etwas will, dann zögert er nicht lange. | |
Egal, ob es darum ging, jungen Filmemachern zu Stipendien zu verhelfen, | |
oder darum, eigene Dokumentarfilme zu drehen oder die Filme von anderen | |
Regisseuren zu produzieren. Egal, ob es darum ging, in einem Land, in dem | |
die Zensur alles überschattet, das allererste Dokumentarfilmfestival | |
„Doxbox“ ins Leben zu rufen – Orwa träumt und handelt dann. | |
## Er fehlt und ist noch da | |
Mag sein, dass uns Orwas Posts in diesen Tagen fehlen. Mag sein, dass es | |
uns jedes Mal einen Stich versetzt, wenn wir stattdessen all die Fotos von | |
ihm sehen, die jetzt aus Solidarität überall im Netz kursieren. Doch | |
unseren Geist und auch unser Herz können wir immer noch mit Orwas alten | |
Worten versorgen. | |
„Herzversorgt“, das war das Wort, das Orwa skeptischen Syrern in einer der | |
vielen Diskussion entgegenhielt, nachdem sie wild über die Gründe seines | |
Mutes spekuliert hatten. Sein Herz, glaube ich, versorgt Orwa mit seinem | |
Glauben an eine Freiheit, die dieses Land verdient hat, nach der es sich | |
schon so lange nach ihr sehnt. Ausserdem, versorgt sich Orwas Herz, wie das | |
Herz vieler anderer Syrer, mit der festen Überzeugung, dass unsere | |
Forderungen rechtmäßig sind. Und mit der Gewissheit, dass Würde und | |
Gerechtigkeit, um derentwillen wir den Aufstand ja begonnen haben, am Ende | |
siegen werden. Der Sieg wird kommen, auch wenn es noch eine Weile dauern | |
wird. | |
Und Orwas Gefängniswärter? Werden sie auch irgendetwas aus seinen Worten | |
lernen? Oder fragen sie sich nur: „Wie schaffen wir es, das Kino gefangen | |
zu nehmen? Wie können wir ein Bild inhaftieren? Einen Gedanken festnehmen?“ | |
Es wird ihnen nicht gelingen. Sie können Orwa gefangen nehmen, aber die | |
Freiheit mitsamt ihres Träumers zu verhaften, das ist unmöglich. Womöglich | |
wissen sie das noch nicht. | |
## Meine Erinnerung kämpft | |
Ich stelle mir gerade eine Szene vor, in der eine Kinoleinwand in einer | |
Zelle gefangen gehalten wird, hinter einem düsteren Metallvorhang. Vor der | |
Zellentür patrouilliert ein Wächter, eine Pistole baumelt an seiner Hüfte, | |
eine dicke Brille klemmt auf seiner Nase. Eine – selbst für die Terry | |
Gilliam‘s oder Tim Burtons dieser Welt – ziemlich irrwitzige Szenerie. Doch | |
selbst wenn sie tatsächlich das Kino vernichten wollen. Was ist dann mit | |
den versteckten Filmrollen? Und mit den Negativen? Und den Bildern, die uns | |
im Gedächtnis hängengeblieben sind? | |
Ich werde, gewappnet mit Orwas Worten, und den Filmen, die er uns beim | |
Doxbox-Filmfestival gezeigt hat, herumreisen, ganz wie es mir passt. Glaubt | |
ihr wirklich, ihr könnt unser Gedächtnis inhaftieren? | |
Alles wird uns weiterhin an Orwa und seinen Traum vom Kino und von der | |
Freiheit erinnern. Auch die Filme von Omar Amiralay, die Filme von Patrizio | |
Guzman, über die Orwa uns voller Leidenschaft erzählt hat. Könnt ihr etwa | |
all das einsperren? | |
Ich werde mich jetzt an all seine Worte und an alle Filme, die er uns je | |
gezeigt hat, ins Gedächtnis rufen! Und dabei denselben Triumph empfinden, | |
wie der Held in Tornatores „Cinema Paradiso“, als er die aus den Kinofilmen | |
herausgeschnittenen Kussszenen vor sich ablaufen lässt. | |
Während eines kurzen Berlinbesuchs im vergangenen März, war ich überrascht | |
als mir überall Plakate begegneten, die zu einer Filmreihe aus dem Programm | |
des Doxbox-Filmfestival einluden. Dieses Festival, von dem Orwa zuerst | |
geträumt hatte, und das er dann unter großen Mühen mit einem Team aus | |
anderen mutigen Träumern verwirklicht hatte, ist dieses Jahr von Syrien in | |
die ganze Welt gereist. Dutzende Städte, über die ganze Welt verteilt, | |
haben die Vorführungen des Doxboxfestivals beherbergt. Es war eine Geste, | |
die auf faszinierende Weise auszudrücken vermochte, dass Freiheitsliebende | |
genauso wie das Kino in Syrien Platz haben müssen. Diese ganze öde Welt | |
sollte an Syriens Tragödie erinnert werden. | |
## Das letzte Mal auf der Terrasse | |
Das letzte Mal traf ich Orwa vor einigen Monaten im Haus eines gemeinsamen | |
Freundes. Es war einer der letzten Abende, die ich im Kreis meiner Freunde | |
in Damaskus verbracht habe. Einige von ihnen waren gerade aus dem Gefängnis | |
zurückgekommen, andere hatten noch keine Ahnung, dass sie die Nächsten sein | |
würden. | |
Es war eine Donnerstagnacht am Herbstanfang. Das Wetter begann allmählich | |
angenehm kühl zu werden, und nur wenige Stunden trennten uns noch vom | |
Anbruch des Freitags. Unser Gelächter überspielte unsere ängstliche | |
Anspannung, in Erwartung eines weiteren blutigen Protesttags. Unsere | |
Scherze waren eine Art, mit unserer Sorge umzugehen, was wohl ein weiterer | |
Tag des Demonstrierens an Opfern kosten würde. Und Orwa, wie üblich, | |
lächelte und spaßte, versprühte Optimismus und Zuversicht, und erzählte uns | |
lustige Anekdoten aus der Revolution. | |
Aus ihm sprach die Entschlossenheit, diesen Weg, von dem wir so lange | |
geträumt hatten, gemeinsam bis zum Ende zu gehen. Wir saßen auf einer | |
großen Terrasse, und der Nachthimmel über uns schien auf einmal ganz nah zu | |
sein. Nur dieses eine Bild von Orwa in jener Nacht werde ich mit mir | |
tragen. | |
Nie war der Himmel so nah an den Syrern wie jetzt. Lange und fest sehen sie | |
nach oben und in ihn hinein und senken den Blick nicht mehr zu Boden, so | |
wie sie es jahrzehntelang zu tun pflegten. Sie haben jetzt die Wahl: | |
Entweder sie steigen zu ihm auf, als Märtyrer, oder sie bauen aus diesem | |
Himmel ein Dach für eine freie Heimat, die kein andere Deckelung mehr kennt | |
als den Himmel selbst. | |
Aus dem Arabischen übersetzt von Sandra Hetzl | |
9 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Mohammad Al Attar | |
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