# taz.de -- Verleihung des Adorno-Preises: Kein Richtiges im Falschen | |
> Aufgebrachte Demonstranten vor der Paulskirche, verhaltene Stimmung im | |
> Inneren: Judith Butler ist mit dem Theodor-W.-Adorno-Preis geehrt worden. | |
Bild: Die Professorin Eva Geulen gratuliert Judith Butler. | |
FRANKFURT/M. taz | So aufgebracht die Menge am Dienstag vor der Paulskirche | |
war, so verhalten folgte sie im Plenarsaal der Verleihung des | |
Theodor-W.-Adorno-Preises an die umstrittene Philosophin und | |
Literaturwissenschaftlerin Judith Butler. Die Polizei hatte wenig Mühe, den | |
geladenen Gästen einen Korridor vor dem Portal der Kirche freizuhalten. | |
Rechts und links der Ordnungskräfte artikulierten sich lautstark die | |
Demonstranten – wobei die Gruppe der israelfreundlichen Aktivisten deutlich | |
in der Überzahl war. | |
Auf der einen Seite schwenkten Mitglieder verschiedener israelfreundlicher | |
Initiativen aufwändig produzierte Fahnen mit dem Davidstern und | |
Transparente, auf denen zur Solidarität mit Israel aufgerufen wurde: „Hamas | |
bekämpft Israels Existenz“ stand darauf zu lesen, „Israel – We stand with | |
you“ oder auch „Keine Ehre für Israelhass“. | |
Auf der anderen Seite begnügte sich ein Häuflein von Gegendemonstranten mit | |
dem Satz „Thank you, Judith“ auf offenbar selbst ausgedruckten Plakaten. Zu | |
sehen waren auch die ägyptische und die palästinensische Fahne. Es blieb, | |
wo nicht Pfiffe jede Kommunikation unmöglich machten, bei vereinzelten | |
Wortgefechten. | |
Worte spielten auch naturgemäß im feierlich ausgeschmückten Plenarsaal eine | |
große Rolle, und sie waren sorgfältig abgewogen. Zu den geladenen Gästen | |
gehörten neben Würdenträgern der Stadt auch von Judith Butler beeinflusste | |
Kulturschaffende wie der Musiker und Schriftsteller Thomas Meinecke | |
(„Tomboy“) oder die Journalistin Carolin Emcke („Wie wir begehren“). | |
Vertreter der jüdischen Gemeinde der Stadt hatten ihre Teilnahme | |
demonstrativ abgesagt. Ihnen entging zunächst das herzliche Grußwort von | |
Felix Semmelroth, der als Kulturdezernent der Stadt Frankfurt in Vertretung | |
des Oberbürgermeisters Peter Feldmann (SPD) die Preisträgerin als | |
„maßgebliche Denkerin unserer Zeit“ würdigte. | |
## Launige Laudation | |
Dem konnte sich die Literaturwissenschaftlerin Eva Geulen in ihrer launigen | |
Laudatio nur anschließen. Bücher wie „Das Unbehagen der Geschlechter“ und | |
„Körper von Gewicht“ seien „Meilenstein der Geschlechterforschung, deren | |
politische Bedeutung ihre philosophische in den Schatten stellt“. Was wie | |
eine versteckte Spitze klang, war als Lob gemeint, denn: „Judith Butler ist | |
eine öffentliche Intellektuelle“. Sie spreche „ohne den Habitus | |
paternalistischer Herablassung und ohne Hochmut“, sondern immer als „eine | |
selbst Verstrickte“, die sich „nie nur theoretisch, sondern immer auch | |
praktisch-kritisch“ um das „Problem von Rechenschaft“ bemühe. | |
Zu Butlers nicht unproblematischer Unterstützung eines Boykotts von Waren | |
aus der israelisch besetzten Westbank sagte Geulen: „Es gibt viele Gründe, | |
diese Boykottinitiative nicht nur in Deutschland, sondern prinzipiell | |
kritisch zu betrachten.“ Es wäre allerdings „absurd“, Butlers kontrovers… | |
Positionen „in allem zuzustimmen“, und fatal, „die Auseinandersetzung üb… | |
diese und andere Punkte zu unterbinden“. Den größten Applaus an diesem | |
Abend erntete die Laudatorin mit dem Satz, mit Butler werde „sehr, sehr | |
spät“, aber „hoffentlich nicht zum letzten Mal eine Frau“ mit dem | |
Adorno-Preis geehrt. | |
Bevor der mit 50.000 Euro dotierte Preis übergeben wurde, musste erst ein | |
leider unverständlicher Zwischenrufer des Saales verwiesen werden. Danach | |
erörterte Judith Butler in deutscher Sprache Adornos berühmten Satz aus den | |
„Minima Moralia“, wonach es kein richtiges Leben im Falschen geben könne. | |
Die Rede geriet zu einer nur nachlässig abstrahierten Apologie in eigener | |
Sache. Dabei bekräftigte Butler kaum verhohlen ihre Kritik am | |
Neoliberalismus im Allgemeinen und speziell an Israel als eine jener | |
biopolitischen Mächte, „die Leben im Rahmen einer umfassenderen | |
Bevölkerungspolitik durch staatliche und außerstaatliche Maßnahmen auf | |
unterschiedliche Weise der Prekarität überantworten und zugleich bestimmte | |
Maßnahmen zur unterscheidenden Bewertung von Leben festlegen“. | |
Die Ausgegrenzten seien zugleich „Unbetrauerbare“, die sich in einer | |
„performativen Inszenierung radikaler Demokratie“ gelegentlich „zum | |
öffentlichen Aufstand der Trauer“ versammelten: „Und deshalb lassen sich in | |
vielen Ländern Begräbnisse und Demonstrationen nur schwer unterscheiden.“ | |
Ein gutes Leben, schloss Butler, müsse „ein Leben gemeinsam mit anderen | |
sein, ein Leben, das ohne diese anderen gar kein Leben wäre“. | |
12 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
## TAGS | |
New York | |
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