# taz.de -- Adorno-Preis 2012: „Wir maskieren die Realität“ | |
> Die Philosophin Judith Butler soll am Dienstag den Adorno-Preis erhalten. | |
> Zuvor verteidigt sie sich noch einmal gegen ihre Kritiker. | |
Bild: Die Philosophin Judith Butler wird wegen ihrer Äußerungen und ihrer Hal… | |
Meine Äußerung, dass Hamas und Hisbollah in bestimmter Hinsicht der | |
globalen Linken zugehören, habe ich bei einer Abendveranstaltung im Rahmen | |
einer ganzen Reihe von Statements formuliert. Dieses eine wurde dann | |
herausgegriffen und aus dem Zusammenhang genommen. Nun soll es nicht nur | |
für das stehen, woran ich glaube, sondern gar für meine politische Position | |
insgesamt. | |
Ich denke nicht, dass meine Anmerkung verstanden werden kann, wenn man sie | |
isoliert. Nichtsdestoweniger gehört sie nun zu mir und zu meinem Namen. | |
Alles, was ich jetzt noch tun kann, ist, der Debatte weitere Inhalte | |
zuzufügen. Ein letztes Mal unternehme ich den Versuch, verständlich zu | |
machen, was ich damals gesagt habe und bis heute meine. | |
Ich verstehe, woher die Vorbehalte kommen. Wenn wir sagen, eine Gruppe | |
„gehört“ zur globalen Linken, dann verwenden wir zweifellos Kriterien, um | |
die Bedingungen von Zugehörigkeit zu definieren. Daraus ergibt sich die | |
Frage, welche Kriterien habe ich verwendet? Habe ich gesagt, dass | |
Antiimperialismus als Voraussetzung ausreicht, um der globalen Linken | |
zuzugehören? | |
Jemand aus dem Publikum hatte mich gefragt, ob Hamas und Hisbollah Teil der | |
globalen Linke wären. Darauf antwortete ich, dass Antiimperialismus ein | |
Charakteristikum beider Gruppen sei. In diesem Sinne könne ihre Position | |
als links bezeichnet werden. Meine Antwort beinhaltete keine Affirmation | |
von Hamas und Hisbollah; weder vor diesem Abend noch danach habe ich diese | |
Organisationen je unterstützt; stattdessen habe ich sowohl vor dieser | |
Einschätzung als auch danach deutlich gemacht, dass ich eine Anhängerin von | |
gewaltfreier Politik bin. | |
Ich bin überzeugt davon, dass Kritik an meiner Äußerung von der Annahme | |
herrührt, ich hätte gesagt, Antiimperialismus sei als Voraussetzung | |
ausreichend, um der globalen Linken anzugehören. Um es noch einmal ganz | |
deutlich zu sagen: Meiner Ansicht nach ist Antiimperialismus weit davon | |
entfernt, um auch nur irgendeiner Version von Linkssein zu genügen, die ich | |
gutheißen würde. Niemals könnte ich ein Bündnis mit einer egal welcher | |
Person oder Gruppe eingehen, die antisemitisch, gewalttätig, rassistisch, | |
homophob oder sexistisch ist. | |
Ich beanspruchte also weder eine Nähe zu Hamas und Hisbollah noch habe ich | |
sie unterstützt. Vielmehr dachte ich in diesem Moment gemeinsam mit meinem | |
anonymen Gesprächspartner darüber nach, ob diese Organisationen als welche | |
betrachtet werden können, die einen Bezug aufweisen zu unserem verbliebenen | |
(und wahrscheinlich verkümmerten) Vokabular, mit denen sogenannte linke | |
Bewegungen beschrieben werden. | |
Ich konzentrierte mich auf das Kriterium, das erlaubt, andere | |
auszuschließen, und habe darüber für weitere Verwirrung gesorgt. Eine | |
Verwirrung, die aber gut ist, denn sie öffnet den Raum für eine Reihe | |
weiterer Fragen: Was ist Beschreibung und was Urteil, und wie funktionieren | |
sie in Bezug aufeinander? | |
Rückblickend gesehen, hätte ich den Begriff, der mir aus dem Publikum | |
heraus vorgeschlagen wurde, zurückweisen müssen. Es gibt keine „globale | |
Linke“, das hätte ich einfach sagen sollen. Aber ich bin stets erpicht | |
darauf, über normative Maßstäbe zu diskutieren, die notwendig sind, um ein | |
entwicklungsfähiges Konzept von einer globalen Linken in einem anderen | |
Zusammenhang zu denken. Dafür werden wir uns etwas Zeit nehmen müssen. | |
An dieser Stelle kann ich nur sagen, wenn wir uns nur erlauben, das als | |
„links“ zu bezeichnen, was wir als „links“ akzeptieren, aneignen und | |
unterstützen (das heißt, wenn es mit unseren jeweils vorab festgelegten | |
Kriterien von links übereinstimmt), dann schließen wir aus unseren | |
Beschreibungen und Diskussionensämtliche problematischen und auch giftigen | |
Aspekte der Bewegungen aus, die sich selbst der Linken verbunden fühlen | |
oder sich auf linke Diskurse beziehen. | |
Wenn ein normatives Ideal der Linken unsere Beschreibung der gegenwärtig | |
existierenden Linken von vorneherein einengt, dann werden unsere | |
Deskriptionen alles außen vor lassen, was wir inakzeptabel finden. Wir | |
verfälschen damit nicht nur, wir maskieren auch die Realität mithilfe eines | |
bereinigenden Ideals von der Linken. | |
Darüber hinaus verlieren wir die unverzichtbare Fähigkeit, die | |
unangemessenen oder offenkundig inakzeptablen Aspekte der Bewegungen zu | |
kritisieren, die behauptete oder zum Teil tatsächliche Verbindungen zur | |
Linken haben oder Teile ihres Vokabulars verwenden. Wir müssen aber in der | |
Lage sein, das ganze Spektrum der Bewegungen in den Blick zu nehmen, die | |
linkes Vokabular und Strategien verwenden. Nur dann können wir verstehen, | |
wie die Welt, in der wir leben, politisch organisiert ist. | |
Das bedeutet nicht, dass wir die Begrifflichkeiten der unterschiedlichen | |
Gruppen akzeptieren, es bedeutet, dass wir sie kritisch analysieren. | |
Weigern wir uns, das zu beschreiben, was wir nicht dulden wollen, dann | |
entziehen wir uns die Basis für Kritik. Wenn wir den Antiimperialismus | |
nicht als eine Version von Linkssein zulassen, sind wir nicht mehr in der | |
Lage zu zeigen, wie unzureichend diese ist. Lehnen wir eine Bewegung ab, | |
müssen wir ihre Ziele sowohl beschreiben als auch bewerten, und so ihre | |
Untiefen ausstellen. | |
Wenn wir indessen nur das „links“ nennen, das wir unterstützen und | |
wertschätzen, sind wir außerstande die irritierende Welt, in der wir leben, | |
zu beschreiben und mit ihr zu streiten. Genau diese irritierende Welt | |
verlangt aber unsere kritische Aufmerksamkeit, wenn unsere Ideale jemals | |
verwirklicht sehen oder der Verwirklichung zumindest näher kommen wollen. | |
Mir ist klar, dass Beschreibungen zumeist auf vorhergehenden Bewertungen | |
und Urteilen beruhen, und dass es nicht einfach ist, dem normativen Rahmen | |
zu entfliehen. Aber dieser kann nicht angemessen identifiziert oder | |
eingeschätzt werden, ohne dass man die breitere Argumentation | |
berücksichtigt, der er dient. | |
Dennoch: Warum habe ich die Frage beantwortet? An diesem Abend, an dem | |
Bomben auf Südlibanon fielen, machte ich mich in meiner Rede für | |
Gewaltfreiheit stark (diesen Teil sieht man im Yahoo-Clip bequemerweise | |
nicht). Just als ich die staatliche, von Israel ausgehende Gewalt | |
kritisierte, wies ich darauf hin, dass auch die Bewegungen, welche die | |
Selbstbestimmung der Palästinenser unterstützen, gut beraten wären, | |
ebenfalls auf gewaltfreien Widerstand und gewaltfreie Mobilisierung zu | |
setzen. | |
Tatsächlich plädierte ich dafür, eine größere Nähe zu den palästinensisc… | |
Gruppen zu suchen, die ihre Ziele auf gewaltfreiem Weg erreichen wollen und | |
sich vorsichtig zum friedlichen Zusammenleben bekennen (und das Gleiche vom | |
Staat Israel fordern). Mit anderen Worten, ich argumentierte, dass | |
Antiimperialismus oder die schiere Opposition zum Kolonialismus der Siedler | |
als politische Plattform eben nicht ausreichten. | |
Man müsse die Prinzipien des Gewaltverzichts, zumindest minimal, | |
einbeziehen. Es ging mir darum, einen kommunikativen Raum zu eröffnen, in | |
dem es möglich ist zu sagen, dass der Widerstand gegen die Besetzung oder | |
gegen den Kolonialismus der Siedler mit gewaltfreien Mitteln erreicht | |
werden können. | |
Tragische Ironie, dass meine Ausführungen (und meine Arbeit) nun reduziert | |
werden auf eine einzige, aus dem Zusammenhang gerissene Äußerung und nicht | |
auf die Argumentation, die ich an diesem Abend entwickelt habe. Nämlich | |
dass selbst der Widerstand gegen den Kolonialismus der Siedler | |
Antirassismus einbeziehen und eine gewaltfreie Form annehmen sollte. | |
Diese Argumentation aber bildet den Kontext meiner Anmerkung: Man findet | |
sie in meinen Publikationen, meinen Vorträgen und Interviews, es ist eine | |
Argumentation, die ich seit langem formuliere und die doch gelegentlich und | |
unglücklicherweise vom allgemeinen Getöse übertönt wird. | |
Übersetzung: Ines Kappert | |
11 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Judith Butler | |
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