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# taz.de -- Debatte Universitäten USA: Bildung als Farce
> Die größte öffentliche Uni der USA ist wegen eines Panels unter Druck
> geraten. Minderheiten werden so aus kontroversen Debatten ausgeschlossen.
Bild: Viele müssen erhebliche Hürden überwinden, um Zugang zu einer anspruch…
Letzte Woche haben die Philosophin Judith Butler und Omar Barghhouti einen
Vortrag am Brooklyn College gehalten. Die Veranstaltung sorgte im Vorfeld
für großen Aufruhr, selbst die NY Times und der Bürgermeister von New York
schalteten sich ein.
Um den Tumult zu verstehen, muss man wissen: Das Brooklyn College gehört
der öffentlich finanzierten City University in New York (Cuny) an, und Omar
Barghouti ist Gründungsmitglied der BDS-Bewegung, die gegen jüdische
Siedlungen auf palästinensischem Gebiet protestiert. BDS steht für
„Boykott, Divestment (Enteignung) und Sanktionen“.
Im Januar hatte eine Gruppe von Studierenden den Fachbereich Politik (dem
ich angehöre) gebeten, das Panel zu unterstützen oder zu finanzieren. Wir
beschlossen, die Veranstaltung nicht eigens zu unterstützen, sie aber
mitzufinanzieren. Am 30. Januar bezeichnete Alan Dershowitz – er
unterrichtet Jura in Harvard – in der New York Post die Veranstaltung als
eine „Orgie des Hasses“.
Einen Tag später setzten fast zwei Dutzend Politiker unser Department
massiv unter Druck. Einige drohten, öffentliche Gelder zurückzuhalten. Ihr
Diktum: „Wir glauben an die Prinzipien der akademischen Freiheit. Jedoch
glauben wir auch an das Prinzip, keine Lehrinstitutionen zu unterstützen,
deren Programm wir und unsere Wähler abscheulich und falsch finden.“
## Bewerbt euch in Nordkorea!
Die Politiker unterstellten uns, das BDS-Bündnis zu affimieren. Wir
betonten einmal mehr den Willen des Fachbereichs, von Studierenden
organisierte Veranstaltungen zu ermöglichen, unabhängig von den politischen
Botschaften der Gäste. Professor Dershowitz selbst hielt im Mai 2008 einen
Vortrag am Brooklyn-College, in dem er sich für die Legalisierung von
Folter aussprach, ohne Gegenredner.
Um es vorsichtig zu formulieren: Es ist schon ziemlich unredlich, eine
Veranstaltung im Namen der „akademischen Freiheit“ verhindern zu wollen. Am
4. Februar entschloss sich unsere Präsidentin zu einem mutigen Schritt:
„Die bloße Einladung signalisiert noch keine Unterstützung eines bestimmten
Standpunktes, und anders als manche vorschlagen, ist es nicht zwingend, bei
einer Veranstaltung immer vielfältige Perspektiven zu präsentieren.“
Am selben Tag erhielt sie Unterstützung seitens der NY Times: „Solche
Einschüchterungen […] verhöhnen die Ideale der akademischen Freiheit.“
Schließlich schaltete sich auch New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg
ein: „Wenn Sie eine Universität möchten, bei der die Regierung entscheidet,
welche Themen diskutiert werden dürfen, schlage ich vor, dass Sie sich in
Nordkorea bewerben.“ Nur wenige Stunden später distanzierten sich die
meisten Politiker, die eine „Balance“ auf dem Panel gefordert hatten, von
ihrer Forderung.
End of story? Die Veranstaltung fand wie geplant statt. „Das Potential für
einen zweiten Holocaust“, vor dem uns der Politiker Dov Hikind so
freundlich gewarnt hat, manifestierte sich nicht. Die Diskussion verlief,
wie solche Veranstaltung gewöhnlich an der Uni verlaufen: Studierende hören
den Argumenten der Vortragen zu, stellen Fragen und diskutieren. Das
Aufregende bestand also bestenfalls in der Unaufgeregtheit. Barghouti hatte
übrigens einen Tag zuvor in Yale gesprochen. Das provozierte keinen
Aufschrei, weder vorher noch nachher.
## „Gefährliche Professoren“
Die Angriff auf die akademische Freiheit ist insbesondere für öffentliche
Institutionen wie die Cuny gefährlich. Denn sie haben überproportionalen
Einfluss auf die Leute mit den geringsten Ressourcen; etwa drei Viertel der
Studierenden gehören Minderheiten an, die meisten kommen aus der
Arbeiterschicht. Cuny ist die größte städtische Universität der USA, mit
derzeit etwa 540.000 Studierenden. Viele mussten erhebliche Hürden
überwinden, um zu Zugang zu einer anspruchsvollen Ausbildung zu finden.
Zudem wird die Zensur von Ideen ja nicht allein von offen drohenden
Geldgebern betrieben, sondern auch durch ein Klima der Selbstzensur.
Schwächere Fakultäten dürften kontroverse Themen oder Texte vermeiden,
insbesondere seitdem konservative Aktivisten wie David Horowitz eine
Blacklist von „gefährlichen Professoren“ veröffentlicht und die
Studierenden aufgefordert haben, sich vor „liberalen Vorurteilen“ in Acht
zu nehmen. Für die vielen Privatdozenten bedeutet das, dass sie, wenn sie
kontroverser Themen setzen, um ihren Job fürchten müssen.
Und auch die Studierenden sind ängstlicher geworden. Ende 2011 berichteten
Nachrichtenagenturen, dass der CIA der New Yorker Polizei dabei half, eine
Überwachungseinheit zu formen, die Muslime im Nordosten beobachtete (auch
außerhalb New Yorks) – unabhängig davon, ob die Bürger Straftaten begangen
hatten oder nur in einem Verdacht standen. In anderen Worten: Da der CIA
laut Gesetz keine Amerikaner ausspionieren darf, half er der Polizei, das
zu tun. Von 2003 bis 2006 observierten versteckte Ermittler muslimische
StudentInnen auch am Brooklyn College.
## Es geht um Rassismus
Ebenfalls Ende 2011 fuhr die Polizei mit Motorrädern in eine Gruppe von
Demonstranten, die mit der Occupy-Bewegung verbunden waren, und zwar auf
dem Campus des Baruch College, das auch zur Cuny gehört. Ein anschließendes
öffentliches Treffen des Uni-Boards fand so auf einem geschlossenen Campus
statt, die gesamte Gegend um das College wurde abgeriegelt. Die öffentliche
Beratung (diesmal ohne Öffentlichkeit) beschloss höhere Studiengebühren,
gemeinsam mit einer Aufstockung des Etats für private Sicherheitsdienste
auf 15 Millionen Dollar.
Ende dieses Jahres übrigens wird die Cuny „Pathways“ einführen. Das ist
eine Initiative, mit der Lehrveranstaltungen reduziert, pädagogische
Entscheidungen im Büro des Kanzlers zentralisiert werden und das Curriculum
vereinheitlicht wird. Man will Kosten sparen. Auf den ersten Blick mag kein
Zusammenhang zwischen Pathways, also einem restriktiven Lehransatz, und dem
BDS-Debakel zu bestehen. Doch beide Ereignisse haben ähnlich negative
Implikationen für die Arbeit der Lehrenden, ob es darum geht, angstfreie
Diskussionen zu ermöglichen, oder darum, Lehr- und Forschungsinhalte zu
bestimmen.
Wir erweisen den Studierenden einen Bärendienst, denn wirklich akademische
Freiheit und Kritik benötigen Ressourcen. Wir indessen erwarten, dass
Universitäten die Studierenden von der Möglichkeit, die für die Teilnahme
an öffentlichen Kontroversen nötigen Kenntnisse zu erlangen, effektiv
ausschließen Wir verwässern den Lehrplan, wir schließen Türen aus Angst vor
unpopulären Perspektiven.
In einer Stadt wie New York hätte man das nicht erwartet – aber de facto
halten wir die Ideen von Studierenden einer öffentlichen Universität für
weniger wertvoll als die von aufstrebenden Intellektuellen der privaten
Eliteunis. Die Ausbildung Ersterer ist für uns offenbar eine entbehrliche
Farce.
15 Feb 2013
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New York
Michael Bloomberg
Judith Butler
BDS-Movement
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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