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# taz.de -- Arbeitsplätze am Flughafen: Das Frankfurter Job-Märchen
> Der Ausbau des Frankfurter Flughafens wurde vom Versprechen von 100.000
> neuen Arbeitsplätzen begleitet. Bewusste Täuschung, sagen Kritiker.
Bild: Versprochene Jobs: Bislang nützt der Airport-Ausbau nur den Fluggesellsc…
FRANKFURT/M. taz | Es war ein großes Versprechen, das der ehemalige
hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) 2007 gab: 100.000 neue Jobs,
so sagte er, würden durch den Bau der Landebahn Nordwest am Frankfurter
Flughafen entstehen. Auch Flughafenbetreiber Fraport warb offensiv mit
dieser Zahl. Heute ist davon nicht mehr viel übrig.
An Deutschlands größtem Luftfahrtdrehkreuz starten und landen jeden Tag
knapp 1.400 Flugzeuge. Sie transportieren über 150.000 Passagiere und
mehrere tausend Tonnen Fracht. Das gibt vielen Menschen Arbeit, direkt am
Flughafen sind es rund 75.000, dazu kommen viele Zulieferbetriebe. Im
letzten Herbst wurde die neue Landebahn eröffnet, um die Kapazitäten weiter
zu steigern.
Dieser Flughafenausbau ist mit großen Ankündigungen verbunden: Das
Wohlergehen einer ganzen Region mit über drei Millionen Einwohnern wird von
Ausbaubefürwortern an das Projekt geknüpft. Sie versprechen, dass der Bau
der Landebahn viele neue Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft
ankurbeln werde.
Das ist wichtig, weil bei der Abwägung von wirtschaftlichen Interessen
einerseits und Naturschutz sowie dem Ruhebedürfnis der Anwohner
andererseits jeder Arbeitsplatz zählt, der durch die Flughafenerweiterung
geschaffen wird. Denn mit jedem neuen Job lässt sich der Ausbau besser
rechtfertigen.
## Exakte Erfassung
Doch eine genaue Zahl der entstandenen oder noch entstehenden Jobs gibt es
nicht, solche Zahlen sind schwer zu ermitteln: Denn zu Kochs 100.000
Arbeitsplätzen zählen sowohl die direkten Arbeitsplätze, also jene, die auf
dem Flughafenareal entstehen sollen, als auch die indirekt bei den
Zulieferbetrieben entstehenden Jobs.
Doch mehr als die Hälfte dieser neuen Arbeitsplätze sind angeblich auf die
sogenannten induzierten und katalytischen Beschäftigungseffekte
zurückzuführen. Das bedeutet: Ein direkt oder indirekt Beschäftigter gibt
sein Gehalt zum größten Teil auch wieder aus, etwa beim Frisör oder beim
Bäcker. Also wird sein Lohn auf diese induzierten Arbeitsplätze
umgerechnet, die angeblich vom Flughafen abhingen.
„Noch undurchsichtiger wird es bei den katalytischen Effekten“, sagt
Friedrich Thießen, Wirtschaftsprofessor an der Uni Chemnitz. „Die angeblich
positive Auswirkung einer Flugreise auf Unternehmen wird freihändig
geschätzt und in Jobs umgerechnet. Jeder Gutachter vollzieht diese Rechnung
aber etwas anders.“
Wenn also beispielsweise ein Banker ein paar geschäftliche Flugreisen pro
Jahr von Frankfurt aus tätigt, dann zählt ein bestimmter Anteil seines Jobs
als vom Flughafen geschaffen. Tatsächlich beweisen lassen sich die
induzierten und katalytischen Effekte nicht. Unter Experten ist umstritten,
ob und inwieweit sie überhaupt bestehen.
## Arbeitsplätze nur an den Flughafen verlagert
Bei der Frage nach Zahlen muss auch die zuständige Arbeitsagentur passen,
es gibt keine eigene Statistik für den Airport. Die einzige Quelle bleibt
Fraport. Der Konzern hatte zu Jahresbeginn behauptet, dass ein Teil der
versprochenen 100.000 neuen Jobs schon vorhanden sei, nämlich 6.450, die
durch Unternehmensansiedlungen am Flughafen entstanden seien.
Aber auch das ist nicht ganz richtig, denn die angepriesenen Arbeitsplätze
sind nicht neu, sondern nur an den Flughafen verlagert worden – viele davon
sogar aus der Rhein-Main-Region. Zu diesem Ergebnis kam das ARD-Magazin
„Report Mainz“, als es Anfang des Jahres bei Fraport nachfragte, welche
Firmen sich infolge des Ausbaus am Flughafen angesiedelt und somit
Arbeitsplätze geschaffen hätten. Anschließend hakte „Report Mainz“ bei
diesen Unternehmen nach, wie viele Jobs sie neu geschaffen hätten. „Aus den
Antworten ergibt sich, dass mehr als 5.300 Arbeitsplätze bereits vorhanden
waren“, hieß es in der Sendung.
Dadurch lässt sich zwar nicht abschließend belegen, dass die Prognosen der
Ausbaubefürworter falsch sind, aber es entstehen erhebliche Zweifel. In
einem Gespräch mit der taz kurz nach Ausstrahlung der ARD-Sendung
bezeichnete ein Fraport-Sprecher die Ergebnisse des ARD-Magazins als
„bewusste Täuschung der Öffentlichkeit“. Er nannte, um dies zu untermauer…
„positive Beispiele“ für Firmenansiedlungen: die Unternehmensberatung KPMG
und das Logistikunternehmen DB Schenker.
Eine Nachfrage bei diesen Firmen bestätigte allerdings die Ergebnisse des
ARD-Magazins. DB Schenker habe, so eine Sprecherin, „keine neuen Jobs
geschaffen“, sondern lediglich Arbeitsplätze verlagert. Außerdem habe die
Ansiedlung am Flughafen „überhaupt nichts mit der neuen Landebahn zu tun“.
Dasselbe Bild ergab sich bei KPMG.
## Fraport bleibt die Antwort schuldig
Inzwischen stellt Fraport den Sachverhalt anders dar: KPMG sei an den
Flughafen umgezogen, habe aber keine neuen Arbeitsplätze geschaffen. Doch
eine genaue Zahl von wirklich neu geschaffenen Jobs bleibt Fraport
schuldig: „Das ist schwierig auseinanderzudividieren“, sagt ein Sprecher.
Woran er aber festhält, ist die Prognose: „Volkswirtschaftlich entstehen
100.000 Arbeitsplätze.“
Professor Thießen erklärt das so: „Die meisten sogenannten neuen Jobs an
Flughäfen werden nur in der jeweiligen Region verlagert. Der Ausbau des
Frankfurter Flughafens führt also netto kaum zu mehr Arbeitsplätzen.“
Trotz alledem hält die schwarz-gelbe Landesregierung an ihren Aussagen fest
und sieht „keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass in der
Rhein-Main-Region eine Verlagerung von Jobs zum Flughafen stattgefunden
hat“, so ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums.
Kritiker des Flughafenausbaus wie der grüne hessische Landtagsabgeordnete
Frank Kaufmann werfen der Landesregierung vor, dass diese den
Flughafenausbau mit aller Macht habe durchsetzen wollen, ohne belastbare
Zahlen vorweisen zu können: „Es wurden alle Verfahren so gestaltet, dass
das Prestigeobjekt Nordwest-Landebahn unbedingt gebaut werden konnte.“
Hermann Schaus von der hessischen Linkspartei wird noch deutlicher: „Das
war bewusste Volksverdummung.“
## Einfluss auf den Arbeitsmarkt statistisch nicht nachweisbar
Beide verweisen darauf, dass die Zweifel am Jobargument keineswegs neu
sind. 1998 wurde ein 15-monatiges Mediationsverfahren zwischen Experten,
Kritikern und Befürwortern von der damaligen rot-grünen Landesregierung
angeregt, die damit den Weg zum Bau der Landebahn ebnete. Am Ende der
Mediation war sogar davon die Rede, dass „bis zu 250.000 Arbeitsplätzen in
Hessen“ vom Flughafenausbau abhingen. Es gab drei bedeutende Gutachten, die
sich mit den ökonomischen Folgen des Ausbaus befassten.
Eines davon, durchgeführt von dem renommierten Rheinisch-Westfälischen
Institut für Wirtschaftsforschung, kam zu dem Ergebnis, dass „ein Einfluss
einer Flughafeninfrastruktur auf den Arbeitsmarkt statistisch nicht
nachweisbar“ sei. Allerdings wurde dieses Gutachten vom Antragssteller
Fraport nicht in die Planfeststellung zum Ausbau eingebracht.
Teil dieses entscheidenden Verfahrens waren nur die von Fraport in Auftrag
gegebenen Neuauflagen der anderen beiden Gutachten, die bis zu 80.000 neue
Arbeitsplätze prognostizierten. Eines dieser beiden Gutachten stammt aus
der Feder von Professor Herbert Baum, der bis vor Kurzem das Institut für
Verkehrswissenschaft in Köln leitete. Er gilt als großer Freund der
Luftfahrtindustrie und erstellte bereits etliche positive Jobprognosen für
andere Flughäfen.
„In seinem Gutachten findet man Auslassungen in Hülle und Fülle“, sagt
Thießen, der sich 2006 mit zwölf weiteren Wissenschaftlern aus ganz
Deutschland kritisch mit den beiden Gutachten befasste. Das Ergebnis: „Mit
dem gewählten Vorgehen ist ein Bild von der Vorteilhaftigkeit des
Flughafenausbaus vermittelt worden, das nicht durch wissenschaftlich
abgesicherte Verfahren zustande gekommen ist.“ Es ist von „indiskutablen
Fehler“ die Rede.
## Lärmteppich vertreibt Besserverdienende
Doch diese Kritik wurde bei der Ausbauentscheidung durch das hessische
Wirtschaftsministerium offenbar ignoriert. Mit dem Argument, dass
Zehntausende neue Jobs geschaffen würden, konnten die Ausbaubefürworter den
Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Zu den Ausbaugegnern gehören auch
etliche Kommunen aus der Rhein-Main-Region. Darmstadt etwa hat bereits im
Jahre 2005 Einwände gegen das Planfeststellungsverfahren eingereicht. Dabei
führte die Stadt auch das Argument der Verlagerung von Jobs an.
Auch die Stadt Offenbach ist von den negativen wirtschaftlichen Folgen
betroffen: „Das ganze Stadtgebiet liegt unter einem Lärmteppich. Kosten für
Lärmschutz bleiben an den Hauseigentümern respektive der Stadt hängen“,
sagt Sprecher Carlo Wölfel. Außerdem werde bereits spürbar, dass
Besserverdienende wegen des Fluglärms wegziehen: „Dadurch sinken die
städtischen Anteile an der Einkommensteuer.“
Die Hessische Landesregierung indes stimmt weiterhin Lobeshymnen auf den
Flughafen als „Herzmuskel“ der Wirtschaft an. Mit solch diffusen Argumenten
wurden längst Fakten geschaffen: Die Landebahn ist gebaut. Die
versprochenen Jobs sind aber nicht da. Ob es sie noch geben wird – unklar.
Neben den offensichtlichen Verlierern des Flughafenausbaus – den
lärmgeplagten Anwohnern und der Umwelt – wird also auch der Kreis der
angeblichen ökonomischen Gewinner immer kleiner. „Vom Ausbau profitieren
hauptsächlich die Fluggesellschaften und Fraport“, sagt Kaufmann. Und
Firmen wie der Baukonzern Bilfinger Berger, der einen
80-Millionen-Euro-Auftrag zum Bau der Landebahn erhielt.
Vorstandsvorsitzender ist dort seit letztem Jahr der ehemalige
Ministerpräsident Roland Koch.
18 Sep 2012
## AUTOREN
Timo Reuter
## TAGS
Hessen
Flughafen Frankfurt
Fluglärm
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
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