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# taz.de -- Reformen in Kuwait: Herrscher unter Druck
> Die konstitutionelle Monarchie in Kuwait steht auf dem Prüfstand. Die
> Rufe nach einer gewählten Regierung werden immer lauter.
Bild: Tausende haben sich in Kuwait-Stadt zu einem Sit-in vor dem Parlament ver…
ISTANBUL taz | „Alle Macht liegt beim Volk“, heißt es in der Verfassung von
Kuwait. Gleichzeitig schreibt sie fest, dass das Land eine Erbmonarchie
ist, in der die Regierung nicht gewählt, sondern vom Emir ernannt wird.
Fünfzig Jahre lang lebte der Golfstaat ganz gut mit diesem Widerspruch.
Doch seit Beginn der arabischen Revolten bläst Emir Scheich Sabah al-Ahmad
al-Dschabir as-Sabah ein zusehends rauerer Wind entgegen. Die Opposition
hat Auftrieb erhalten, und der Chor derer, die eine gewählte Regierung
fordern, wird größer.
Dabei musste die Regierung am Dienstag eine empfindliche Schlappe
hinnehmen. Das Verfassungsgericht wies ihren Antrag auf eine Änderung des
Wahlgesetzes zurück. Mit Hinweis auf Gesetzeslücken wollte die Regierung
die Wahlrechtsreform von 2006 rückgängig machen. Die Reform hatte die Zahl
der Wahlkreise von damals 25 auf 5 reduziert, um dem notorischen
Stimmenkauf entgegenzuwirken.
Die Opposition, auf deren Druck die Reform seinerzeit zustande kam, war
gegen das Ansinnen der Regierung Sturm gelaufen. Sie sah darin einen
Versuch des Herrscherhauses, die Wahlkreise zu seinen Gunsten zu
manipulieren. Trotz Verbot hatten in den letzten Wochen Tausende gegen das
Ansinnen der Regierung protestiert. Auch am Vorabend des Gerichtsentscheids
versammelten sich mehrere Tausende zu einem Sit-in vor dem Parlament.
## Verfassungsgericht annulierte die Wahl
Der prominente Oppositionsabgeordnete Faisal al-Mislim forderte nach dem
Urteil den Rücktritt der Regierung. Andere verlangten gar eine Bestrafung
der Regierung, weil sie nicht im Interesse des Landes handle. Etliche
forderten die Neuwahlen. Erst im Februar hatten die Kuwaiter gewählt, wobei
sunnitische Islamisten und konservative Stammesvertreter mit 35 von 50
Mandaten siegreich hervorgingen. Doch im Juni annulierte das
Verfassungsgericht die Wahl und setzte die vorige Nationalversammlung
wieder ein, weil es bei dessen Auflösung im Dezember Verfahrensfehler
ausmachte.
Der Richterspruch dürfte der Opposition weiteren Rückenwind verleihen.
Ihren Wahlsieg im Februar verdankte sie vor allem der Unzufriedenheit
vieler Bürger über die grassierende Korruption. Dank seiner Erdölvorkommen
gehört der Golfstaat zu den reichsten der Welt. Damit garantiert der Staat
seinen Bürgern mehr oder weniger eine Rundumversorgung. Der Zulauf zur
Opposition zeigt jedoch, dass das längst nicht mehr ausreicht. Besonders
unter den Jugendlichen ist die Frustration über den Stillstand groß. Seit
Jahren kommen wichtige Investitions- und Entwicklungsvorhaben und
Entwicklungsvorhaben nicht voran.
Daran ist freilich auch die Opposition schuld. Im April lehnten die
Oppositionellen einen Gesetzentwurf ab, der Investitionen in Höhe von 108
Milliarden Dollar und bessere Bedingungen für ausländische Investitionen
vorsah. Darauf hofften vor allem viele Jugendliche, die um den Anschluss an
die Zukunft fürchten.
## Jugend fordert soziale Freiheiten
Darüber hinaus fordern jugendliche Aktivisten, die im vergangenen Jahr die
bisher größte Protestbewegung starteten, mehr soziale Freiheiten in dem
konservativen Land sowie eine Stärkung der Medienfreiheit. Das ist mit den
Islamisten nicht zu haben. Im Frühjahr brachten sie ein Blasphemiegesetz
auf den Weg, das für die Beleidigung des Propheten Mohammed und seiner
Weggefährten die Todesstrafe vorsah.
Statt im Parlament Gesetze zur Korruptionsbekämpfung auf den Weg zu
bringen, hätten sie sich auf Themen wie das Blasphemiegesetz konzentriert,
die die Kuwaiter spalten, sagte der ehemalige Abgeordnete Saleh Ashur diese
Woche. Der Gesetzesvorstoß hat auch liberale Kreise in dem Golfstaat
alarmiert, die wie die Islamisten eine Aufhebung des Parteienverbots
verlangen.
In Kuwait rechnen viele damit, dass der Emir nach dem
Verfassungsgerichtsurteil erneut Neuwahlen anordnet. Einen Ausweg aus der
politischen Blockade weist das Urteil nicht. Was zuerst nur ein kleiner
Kreis jugendlicher Aktivisten verlangte, fordern nun auch viele Islamisten:
die Wahl der Regierung. Es sei höchste Zeit, dass das Volk seine Macht als
Souverän zurückerlange, sagte kürzlich der Abgeordnete Walid al-Tabatabai.
Der jetzige Regierungschef werde der letzte aus der Herrscherfamilie sein:
„Ihr herrscht, wir regieren.“
27 Sep 2012
## AUTOREN
Inga Rogg
## TAGS
Kuwait
Schiiten
Opposition
Kuwait
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