| # taz.de -- Flüchtlingsproteste in Deutschland: Jung und gut vernetzt | |
| > Asylpolitisch herrscht derzeit Tauwetter. Die Proteste der Asylbewerber | |
| > sind jedoch radikal wie noch nie. Besonders in Bayern ist der | |
| > Leidensdruck hoch. | |
| Bild: Der zugenähte Mund als Zeichen des Protestes: Mohammad Hassanzadeh Kalal… | |
| BERLIN taz | Es ist der bislang längste und radikalste Zyklus von | |
| organisierten Flüchtlingsprotesten in Deutschland. Am 29. Januar machte der | |
| Iraner Mohammed Rahsepar in einem Asylbewerberheim in Würzburg seine | |
| Ankündigung wahr, sich zu erhängen. Zuvor hatte sein Psychiater erfolglos | |
| empfohlen, an seinen „Unterbringungsbedingungen“ etwas zu ändern. Für vie… | |
| Flüchtlinge, vor allem in Bayern, war klar: „Das Lagersystem“ hatte ihn in | |
| den Tod getrieben. | |
| Das war nur der Anfang: Daraufhin nähten sich einige Flüchtlinge die Münder | |
| zu und klagten vor Gericht das Recht ein, so in der Würzburger | |
| Fußgängerzone sitzen zu dürfen. Es folgten Dauermahnwachen mit Zelten in | |
| zehn Innenstädten. Die Asylbewerber ließen sich über Monate auch nicht | |
| davon vertreiben, dass die Polizei ihnen – wie in Düsseldorf – verbot, dort | |
| zu schlafen. Sie knüpften ein Netz von Unterstützern für einen rund 500 | |
| Kilometer langen Marsch quer durch Deutschland – und liefen los. | |
| Doch wieso jetzt? Und wieso so heftig? Die Aktionen fallen in eine Zeit, in | |
| der flüchtlingspolitisch Tauwetter herrscht: Das Bundesverfassungsgericht | |
| in Karlsruhe entschied kürzlich, dass Flüchtlinge bei den Sozialleistungen | |
| gleichgestellt werden müssen; in einigen Ländern bröckeln Residenzpflicht | |
| und Heimunterbringung; andere wollen das diskriminierende | |
| Asylbewerberleistungsgesetz ganz abschaffen. | |
| ## Hoher Leidensdruck | |
| Schon seit Ende der neunziger Jahre haben sich Asylbewerber organisiert. | |
| Doch die Proteste erreichten nie die Intensität wie jetzt – auch nicht nach | |
| den mit bestürzender Regelmäßigkeit vorkommenden Suiziden. | |
| Zum einen hat dies damit zu tun, dass die politischen Verbesserungen nicht | |
| überall spürbar sind. „In Ländern wie Bayern gibt es nach wie vor die volle | |
| Härte, da ist der Leidensdruck sehr hoch“, sagt Marei Pelzer von Pro Asyl. | |
| Zum anderen wird die aktuelle Protestwelle vor allem von jungen Iranern | |
| getragen, viele mit anarchistisch-kommunistischem Hintergrund. Die | |
| Flüchtlinge, oft kaum älter als 20 Jahre, haben sich in der Grünen Bewegung | |
| im Jahr 2009 radikalisiert. „Diese Protestkultur haben sie mitgebracht“, | |
| sagt Markus Saxinger von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge. Und | |
| während frühere Proteste oft von AktivistInnen getragen waren, die sich | |
| erst als Geduldete hier politisierten, brachten die heutigen Protagonisten | |
| noch frische politische Erfahrungen mit. | |
| Ihr Eskalationswille strahlte schnell über die fränkischen | |
| Protesthochburgen hinaus aus. So hat praktisch die gesamte Flüchtlingsszene | |
| in Deutschland mit dem Marsch und der „Tent Action“ (Zeltaktion) in den | |
| vergangenen Monaten einen gemeinsamen Bezugspunkt gewonnen – ein Zustand, | |
| auf den sie seit über einem Jahrzehnt hingearbeitet hatte. | |
| 5 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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