# taz.de -- Streit um Lutherpreis-Ehrung: Schorlemmer gegen Pussy Riot | |
> Die anhaltische Stadt Wittenberg hat die Band Pussy Riot für den | |
> Lutherpreis vorgeschlagen. Dagegen wehren sich jetzt Kirchen- und | |
> Bürgervertreter. | |
Bild: Nicht so Schorlemmers Ding: Proteste gegen die Inhaftierung der Pussy-Rio… | |
BERLIN taz | Darf Pussy Riot geehrt werden? Ja, sagt die Lutherstadt | |
Wittenberg. Nein, sagen manche Kirchenvertreter, darunter der Wittenberger | |
Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer. Jetzt rumort es in dem | |
historischen Ort in Sachsen-Anhalt. | |
Anfang September hatte der Hauptausschuss der Stadt Wittenberg mit großer | |
Mehrheit beschlossen, die russische Punkband Pussy Riot für den Lutherpreis | |
vorzuschlagen. Der Preis, der mit 10.000 Euro dotiert ist, soll im Frühjahr | |
2013 verliehen werden. Im Februar 2012 hatten drei der zehn Musikerinnen | |
der regierungs- und kirchenkritischen Frauenband in der Moskauer | |
Christ-Erlöser-Kathedrale ein „Punk-Gebet“ gesungen. | |
Damit protestierten sie gegen den Patriarchen der russisch-orthodoxen | |
Kirche, Kyrill I., und seinen Aufruf, den damaligen Ministerpräsidenten | |
Wladimir Putin bei der Präsidentschaftswahl im Sommer erneut zum | |
Staatsoberhaupt zu machen. Die Frauen wurden daraufhin verhaftet und wegen | |
„religiösen Rowdytums“ verurteilt, nun drohen ihnen mehrere Jahre | |
Lagerhaft. Das Urteil löste weltweite Proteste aus. | |
Das war mutig und sollte geehrt werden, sagte sich die Stadt Wittenberg, | |
die von SPD-Oberbürgermeister Eckhard Naumann seit 1994 regiert wird. Doch | |
nicht so, wehrt sich Friedrich Schorlemmer. „Man muss sich für die jungen | |
Frauen einsetzen“, sagte der Theologe zur taz. „Aber nicht für den | |
Scheißdreck, den sie da gesungen haben.“ Den könnten sie „auf dem Roten | |
Platz anbringen, in einer Badeanstalt oder sonst wo, aber nicht in einer | |
Kirche“. | |
Mit ihrem Auftritt hätten die drei Musikerinnen Christen verletzt, glaubt | |
Schorlemmer: „Das war Gotteslästerung.“ Zudem seien die Übersetzung des | |
Bandnamens – sinngemäß Muschi-Protest – und die der Texte anstößig. | |
## „Chaotische Weiber“ | |
Heiner Friedrich List, Fraktionschef der aus nur zwei Abgeordneten | |
bestehenden Allianz der Bürger in Wittenberg, geht noch weiter. Der | |
Mitteldeutschen Zeitung zufolge bezeichnete er die Musikerinnen als | |
„chaotische Weiber, die vermummt in eine Kirche eindringen, sich | |
diskriminierend und beleidigend äußern“. Jetzt will er erreichen, dass die | |
Stadtverwaltung den Beschluss zurücknimmt. | |
Darüber kann sich die Stadtverwaltung nur verwundert die Augen reiben. Den | |
Preis mit dem Titel „Das unerschrockene Wort“ vergibt der Bund der | |
Lutherstädte seit 1996 alle zwei Jahre. Der aktuelle sei im April zum | |
ersten Mal ausgeschrieben worden. „Damals gab es keinen einzigen | |
Vorschlag“, sagte Rathaussprecherin Karina Austermann zur taz. „Auch nicht | |
von den jetzigen Kritikern.“ Im Juni sei die Ausschreibung wiederholt | |
worden. Aufgrund des Protests prüft die Stadt nun trotzdem, ob der | |
Beschluss, der demokratisch gefasst worden sei, wieder zurückgenommen | |
werden kann. | |
Siegfried Kasparick, Landesbeauftragter der Evangelischen Kirche in | |
Mitteldeutschland für Reformation und Ökumene, fürchtet, dass sich | |
Wittenberg damit „lächerlich“ mache. Friedrich Schorlemmer sieht zudem eine | |
weitere Gefahr: „Viele werden sagen: Lieber Putin statt Pussy.“ Das wolle | |
er ausdrücklich nicht. | |
8 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
## TAGS | |
Pussy Riot | |
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