# taz.de -- Frankfurter Buchmesse: Der Applaus der Narzissen | |
> Buchmessen sind der Höhepunkt für alle Selbstverliebten. Gut, dass es | |
> Alkohol gibt und den Gedankenaustausch beim Empfang der Österreicher. | |
Bild: René Aguigah (rechts) diskutiert auf dem Blauen Sofa der Buchmesse mit R… | |
Nirgendwo ist der Grad an Narzissmus und Existenzialismus größer als auf | |
einer Buchmesse. Wer hier nicht bereits in sein Spiegelbild verliebt ist, | |
schreibt noch für eine Existenzberechtigung. Aber machen wir uns nichts | |
vor. In Frankfurt wird derzeit mehr über Alkohol gesprochen. Und man ist | |
dankbar, dass es ihn gibt, den Alkohol, weil man es hier sonst gar nicht | |
aushalten würde. | |
Denn wo der Narziss ständig angehalten ist, höflich dem Existenzialisten | |
und umgekehrt zu applaudieren, muss für Selbstvergessenheit gesorgt werden. | |
Aber das bedeutet auch, dass kaum einer noch richtig hinhört. | |
Hier könnte nun auch die kulturpessimistische These folgen, dass der Inhalt | |
vom Spektakel aufgefressen wird. Aber das ist langweilig. Und es hören ja | |
noch welche hin. Am Mittwoch taten das die Österreicher, die Menschen aus | |
ausgerechnet dem Land mit der exzessivsten Lust am Untergang, deren | |
Kulturministerin jedes Jahr aus Angst, dass ihre wunderbaren Schriftsteller | |
in der kulinarischen Wüste Deutschland verhungern, zum Empfang mit echtem | |
Wiener Schnitzel und Kaiserschmarrn in die noble Villa Bonn lädt. | |
Der Mitherausgeber der österreichischen Literaturzeitschrift Wespennest, | |
Walter Famler, hatte dort von einem kleinen Skandal zu berichten, von | |
Arnold Schwarzenegger nämlich, dessen Auftritt anlässlich seiner | |
Autobiografie für viel Aufsehen gesorgt hatte. Schwarzenegger hatte sich im | |
Gespräch mit Dieter Mohr in einem Geschichtsrevisionismus geübt, den die | |
Ohren der deutschen und sonstigen Anwesenden überhört hatten. | |
## „Von Alliierten besetzt“ | |
Arnie jedenfalls, den man bitte schön mit „Mister Governor“ anreden solle, | |
wie es die Bodyguards wünschten, erzählte von einem einschneidenden | |
Ereignis seiner Kindheit, das er „die Besatzung durch die Alliierten“ | |
nannte. Famler bestand darauf, von einer Befreiung zu sprechen, was niemand | |
so richtig zu verstehen schien oder eben nicht gehört hatte, jedenfalls | |
schon gar nicht diskutieren wollte. Diesen Geschichtsrevisionismus betreibt | |
Schwarzenegger seit Jahren. Aber in Frankfurt war man eher an der gebotenen | |
Selbstdarstellung interessiert. | |
Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse hingegen hatte einen | |
gewichtigen Fehler bei Daniel Cohn-Bendit bemerkt, der wie er selbst gerade | |
ein Buch zur Verteidigung der europäischen Idee veröffentlicht hat. Menasse | |
echauffierte sich am späten Mittwochabend auf dem Empfang des Rowohlt | |
Verlags über Cohn-Bendits Aussage, Demokratie sei eine Staatsform. | |
Das ist sie freilich nicht, sondern genau genommen ist sie eine | |
Regierungsform innerhalb einer Staatsform, wie die Allgemeine Staatslehre | |
lehrt. Was aber offensichtlich auch dem Lektor nicht aufgefallen war. Also | |
macht es ja gar nichts, dass nun Bücher ganz ohne Lektor und Verlag digital | |
veröffentlicht werden, was eine ARD-Nachrichtensprecherin als interessante | |
Veränderung des Buchmarkts fröhlich zu verkünden hatte. | |
Auf dem Kritikerempfang des Suhrkamp Verlags in der Villa Unseld habe ich | |
diesmal keine Österreicher getroffen. Aber ich habe mich gefragt, wie sie | |
wohl die Lesung der Autorin Annika Scheffel kommentiert hätten, die in | |
ihrem Roman eine Figur mit „rahmspinatgrünen Augen“ auftreten lässt. | |
Vielleicht hätten sie gefragt, ob in den Achtzigern geborene Deutsche | |
Spinat nur mehr als Rahmspinat kennen. | |
Stattdessen konnte ich dort wenigstens mit dem Zeit-Literaturkritiker Ijoma | |
Mangold über eine zeitgemäße Modifizierung der Frage der analytischen | |
Philosophie, ob man sich das Leben als Fledermaus vorstellen könne, | |
nachdenken und über das Leben einer Waschmaschine im Zeitalter der | |
Digitalisierung philosophieren. Ein ausbaufähiges Thema, wie ich finde. Und | |
hinhören kann man bei der Waschmaschine ja auch. | |
11 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Tania Martini | |
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