# taz.de -- „Hicksville" von Dylan Horrocks: Gralshüter des Comics | |
> Der neuseeländische Zeichner Dylan Horrocks erzählt mit „Hicksville" eine | |
> Geschichte über Liebe, Entfremdung und eine Stadt voller Comic-Nerds. | |
Bild: In „Hicksville" greift man im Zweifel zum Comic. Leseproben gibt es <a … | |
Dylan Horrocks sagt, dass seine ersten Worte „Donald Duck“ gewesen seien. | |
Man kann sich vorstellen, wie gut der Neuseeländer in die amerikanische | |
Mainstream-Comicindustrie hineingepasst hat. Einer, der seine ersten Worte | |
einer durchs permanente Scheitern heldenhaften Ente widmet, kann sich unter | |
lauter Superheldenschöpfern nicht wohlfühlen. | |
Als Horrocks zwischen 1992 und 1997 seinen Comic „Hicksville“ schrieb, | |
ahnte er noch nicht, dass dessen Erfolg ihn in die kommerzielle | |
Comicindustrie führen würde. Für ihn sei es eine faszinierende Erfahrung | |
gewesen, aber sie habe seine Kreativität als Comiczeichner beinahe | |
zerstört. Als Kind habe ihn an Comics „nicht das fasziniert, was sie waren | |
– vermummte Machtfantasien und billige Lacher –, sondern was sie sein | |
konnten: eine neue Kunst- und Literaturform, mit der alles möglich ist“. | |
Im Superheldensektor kam er sich wie im „Industriegetto“ vor, das abseits | |
von den Orten liegt, wo „die wahre Action stattfindet“. Um diese Geschichte | |
von Liebe und Entfremdung geht es in „Hicksville“. | |
Dick Burger hat als der einflussreichste Superhelden-Comiczeichner der Welt | |
ein kleines Imperium aufgebaut. Er lässt seine Macht raushängen, ist | |
anmaßend und scheint in seiner Rolle als Magnat aufzugehen. Hinter seinem | |
kometenhaften Aufstieg liegt irgendein Geheimnis in seiner neuseeländischen | |
Heimatstadt begraben. Jeder in der kleinen Stadt Hicksville liebt Comics | |
und hasst Dick Burger. | |
Schon in der Leihbibliothek verbirgt sich ein wahrer Schatz an Raritäten. | |
Dick Burgers Gegenpart ist der Hicksviller Comiczeichner Sam Zabel, der mit | |
seinen depressiven Cartoons erfolg- und mittellos in der Regionalpresse | |
stecken bleibt. Dick verhöhnt wie Mephisto seinen Jugendfreund Sam und will | |
ihn mit seinem Geld weg von Hicksville in die Staaten locken. | |
## Außmaße von „Citizen Kane“ | |
Was sich in der Zusammenfassung arg nach dem Schema Liebhaberei versus | |
Geldmacherei anhört, nimmt im Buch eher die Ausmaße von „Citizen Kane“ an. | |
Hicksville ist Dick Burgers Rosebud: ein Paradies, das er verloren hat. Er | |
versucht sein verlorenes Ideal zu korrumpieren, das der | |
Dachkammer-Comicpoet Sam verkörpert. Burger will sich beweisen, dass es | |
nicht an seinem Charakter liegt, dass er das Comicparadies verlassen | |
musste. Alle Figuren in „Hicksville“ vereint ein Band: Sie alle sind | |
Gralshüter des Comics. Je nachdem, wie sie zum Verrat von Dick Burger | |
stehen, wie sie das Erbe von Hicksville pflegen, entfremden sie sich | |
voneinander und nähern sich wieder aneinander an. | |
„Hicksville“ bietet in vielen Lagen Comics im Comic auf: Sams Schöpfung, | |
ein manisch-depressives Kringelduo, begleitet ihn kommentierend durchs | |
Leben; Seiten eines gezeichneten neuseeländischen Mythos schwirren dem | |
naiv-idealistischen Comicjournalisten Leonard Batts immer wieder vor die | |
Füße, während er das Geheimnis um Dick Burger zu lüften versucht. | |
Horrocks spart auch nicht an geschichtlichen und zeitgenössischen | |
Anspielungen an die Comicszene: Dick Burger staucht etwa als Running Gag am | |
Telefon einen Zeichner namens Todd zusammen. Dahinter verbirgt sich Todd | |
McFarlane, der seit den späten Achtzigern mit „Spider Man“ und „Spawn“… | |
den Vereinigten Staaten zum Comic-Superstar geworden war. | |
## Nicht nur für Nerds | |
Wenn man solche Referenzen versteht, kann man sich zum Comic-Universum | |
zugehörig fühlen. „Hicksville“ erzählt aber eine universellere Geschicht… | |
Dylan Horrocks hat sein Buch davor bewahrt, bloße Comicnerd-Lektüre zu | |
sein, indem er daraus ein Buch über die Janusköpfigkeit jeder ästhetischen | |
Leidenschaft gemacht hat. Die Liebe zu Comics treibt die Hicksviller | |
genauso heftig voneinander weg, wie sie sie aneinanderschweißt. Ihr | |
Verhältnis dazu ist so intim, dass sie Schwierigkeiten damit haben, dass es | |
auch andere gibt. | |
„Hicksville“ spiegelt auch wider, wie Horrocks Neuseeland wahrnimmt. | |
„Manchmal glaube ich, ich bin in zwei Ländern aufgewachsen: in Neuseeland | |
und in Comics. ’Hicksville‘ war eine Art, meine Beziehung zu beiden zu | |
erforschen. Genau wie die Geschichte des Comics voller Ausbeutung und | |
moralischer Verbrechen ist, basiert auch die Geschichte Neuseelands auf | |
Kolonisation.“ | |
Nicht nur wegen Donald sagt Horrocks von sich: „Comics sind meine | |
Muttersprache.“ Es ist gut, dass sich nach Jahren jetzt endlich die | |
Gelegenheit gefunden hat, dass ein so essenzielles Buch wie „Hicksville“ in | |
Deutschland wahrgenommen wird. | |
Dylan Horrocks: „Hicksville“. Aus dem neuseeländischen Englisch von Marion | |
Herbert. Reprodukt Verlag, Berlin 2012, 272 Seiten, 24 Euro | |
15 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Waldemar Kesler | |
## TAGS | |
Donald Duck | |
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