# taz.de -- 85. Geburtstag von Günter Grass: Riese mit Sprüngen | |
> Zum 85. von Günter Grass versammeln sich SPD-Granden und Schriftsteller | |
> in Lübeck. Er nutzt die Gelegenheit, Israels Regierung erneut zu | |
> kritisieren. | |
Bild: Der Literaturnobelpreisträger Grass feiert am 16. Oktober seinen 85. Geb… | |
LÜBECK taz | Drei Herren in Schwarz stehen in der Kälte und fühlen sich | |
unwohl. Gerade noch haben sie sich herzlich begrüßt, gelacht und geredet, | |
aber das ging schnell vorbei. Jetzt blicken sie unsicher um sich. Wie geht | |
das hier weiter? Wann werden sie auf die Bühne geholt? Ist sonst noch | |
jemand da, der begrüßt werden muss? | |
Die drei Herren heißen Gerhard Schröder, Bernd Saxe und Torsten Albig. Sie | |
sind alle Mitglied der SPD und haben mit Politik zu tun: Schröder als | |
Bundeskanzler a.D., Saxe als Lübecker Bürgermeister, Albig als | |
Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. An jenem kalten Sonntagabend | |
stehen sie im Hinterhof des Günter-Grass-Hauses in Lübeck, um Günter Grass | |
ihre Aufwartung zu machen. Günter Grass wird am Dienstag 85 Jahre alt. | |
Zum Geburtstag bekommt Grass eine neue Dauerausstellung über sich | |
geschenkt, zu sehen ab sofort im Günter-Grass-Haus. Die Eröffnung der | |
Ausstellung und die offizielle Geburtstagsfeier wollte Grass in einem | |
Aufwasch erledigen. Neben Schröder, Saxe und Albig wurden rund 450 Gäste | |
eingeladen. Zu viele für das kleine Günter-Grass-Haus. Deshalb wurden die | |
Hauptbühne und das Buffet im Freien aufgebaut – bei 6 Grad Außentemperatur. | |
Das Programm auf der Bühne beginnt damit, dass Helge Schneider um kurz vor | |
19 Uhr auf die Bühne springt mit den Worten „Wir fangen einfach an zu | |
spielen. Muss ja mal jemand anfangen.“ Schneider spielt in Trio-Besetzung | |
Jazz-Standards im Sinne von Hintergrundmusik. Witze macht er keine. | |
## Wie in der Kirche | |
Danach klettert Ministerpräsident Albig auf die Bühne und spricht zu den | |
Gästen in abgehackten Sätzen, als müsste er eine Menschenmenge von mehreren | |
tausend Zuhörern erreichen: „Wir wollen Debatten führen. Wir brauchen | |
Menschen wie Günter Grass, die uns zeigen, wie das geht.“ Die Hände legt er | |
meist vor dem Bauch übereinander, wie in der Kirche. | |
Aber Grass ist noch nicht tot. Er sitzt in einem geheizten Zelt mit | |
Plastikfenstern, das auf einem Podest am anderen Ende des Hofs steht, und | |
beobachtet das Geschehen wie der Papst im Papamobil. Auch Schröder sitzt in | |
dem Zelt, während Albig einen Witz versucht: „Kalt lässt Grass keinen. | |
Selbst an so einem frostigen Tag wie heute.“ | |
Ebenfalls im Zelt haben sich mehrere Kamerateams aufgebaut. Sie wollen | |
Schröder fragen und Schröder will gefragt werden, ganz so wie früher. „Muss | |
man als Künstler provozieren, um gehört zu werden?“, versucht es eine junge | |
TV-Journalistin. „Schauen Sie“, sagt Schröder väterlich, „wenn Kunst ni… | |
mehr provozieren darf, was ist dann Kunst?“ | |
Auf den Redeblock im Freien folgt ein Redeblock im ersten Stockwerk des | |
Hauses. Weil der Raum klein ist, haben nur Familienangehörige und Promis | |
Zutritt. Für alle anderen werden die Reden auf Monitore übertragen, die | |
wiederum im Freien stehen. Vor den Monitoren bilden sich Menschentrauben. | |
Es ist, als würde die Nationalmannschaft spielen. Nur kälter. | |
## Wieder Kritik an Israel | |
Auf dem Monitor geht die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse | |
überraschend in die Offensive. Zu Grass umstrittenem Gedicht „Was gesagt | |
werden muss“ sagt sie: „Ich halte das Gedicht für eine Torheit. Es hat mich | |
wütend gemacht.“ Grass hatte in dem Gedicht unter anderem geschrieben, die | |
Atommacht Israel gefährde den Weltfrieden. Menasse sagt: „Trotz und wegen | |
des Gedichts bin ich da.“ | |
Die Leute vor den Monitoren verstummen, kurz wirkt es so, als würde Menasse | |
ihre Laudatio dazu nutzen, Grass den Kopf zu waschen. Dann aber sagt | |
Menasse: „Menschen machen Fehler, auch Günter Grass macht Fehler.“ Sie | |
sagt, Grass ähnele Deutschland: Beide seien „Riesen mit Sprüngen“, es wer… | |
„angestrengt nach dem moralisch Richtigen gestrebt“ und ein | |
„Post-Auschwitz-Ethik-Gral“ vor sich hergetragen. | |
Dem Fehler, das Gedicht veröffentlicht zu haben, füge Grass „nichts Neues | |
hinzu, nur etwas Menschliches“. Grass erwidert darauf, er hoffe, dass „mein | |
Gedicht eine Torheit gewesen ist, was den drohenden Krieg in dieser Region | |
betrifft“. Dann liest er Gedichte aus seinem neuen Gedichtband | |
„Eintagsfliegen“. | |
Seine Kritik an Israel hatte Grass schon am Nachmittag erneuert. Israel sei | |
eine Atommacht „außerhalb jeder Kontrolle“ und habe bislang sämtliche | |
Resolutionen der UNO missachtet. Er hätte allerdings deutlicher machen | |
müssen, dass sich seine Kritik gegen die Regierung Netanjahu richte und | |
nicht gegen den Staat Israel. In „Eintagsfliegen“ habe er diesen Vers | |
entsprechend verändert. | |
16 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
Klaus Irler | |
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