# taz.de -- Wahlkampf in den USA: Als Mitt noch unser Bischof war | |
> Mitt Romney scheint im Wahlkampf oft unnahbar. Das soll sich nun ändern – | |
> mit Geschichten aus seiner Zeit als mormonischer Bischof. | |
Bild: Auch der Glaube wird nun betont: Mitt und Ann Romney auf dem Weg zu einem… | |
BELMONT taz | Wer ist Mitt Romney? Er ist Barbies Ken, künstlich und | |
unnahbar. Wer ist Mitt Romney? Er ist ein Gutmensch, ein unermüdlicher | |
Arbeiter, hilfsbereit, mit einer Lösung für jedes Problem. Zwischen diesen | |
Welten liegt Belmont, ein wohlhabender Vorort von Boston – die Straßen | |
sauber, die Häuser groß, die Gärten gepflegt. Jeder Halm akkurat getrimmt | |
wie die Haare des republikanischen Präsidentschaftskandidaten. | |
Oberklassenidylle. | |
Die Romneys passen gut hierher, hier hat Romney sein Vermögen mit Bain | |
Capital gemacht und seine politische Laufbahn vorbereitet. Und in dieser | |
Gemeinde neben einer Schnellstraße hat Romney fünf Jahre lang als Bischof | |
gearbeitet. Romney ist Mormone. Die Kirche erwartet viel Einsatz von ihren | |
Mitgliedern. Der Posten als Bischof ist nicht bezahlt, die Arbeit mit der | |
eines Pastors vergleichbar. Beruf, Familie und Kirchenarbeit – für viele | |
eine Belastungsprobe. Nicht für Romney. Er hat sie alle beschämt mit seinem | |
Einsatz und seiner Disziplin. | |
„Ich war von seinen Führungsqualitäten absolut beeindruckt“, sagt Philip | |
Barlow, der in den achtziger Jahren zweieinhalb Jahre als Romneys Assistent | |
in Massachusetts gearbeitet hat. Barlow ist Professor am Religions- und | |
Geschichtsinstitut der Utah State University, er ist Anhänger der Jesus | |
Christ of Latter Day Saints, der größten mormonischen Glaubensgemeinschaft, | |
und lehrt die Konfession und ihre Geschichte. | |
Viele hätten Vorurteile gegen Mormonen, sagt Barlow. Die beliebtesten sind, | |
dass sie Spinner seien, die an Engel glaubten und polygam lebten. Der | |
Glaube der Mormonen gründet auf der Erzählung, dass der Engel „Moroni“ dem | |
Propheten Joseph Smith in den 1820er Jahren den Weg zu goldenen Platten | |
gewiesen habe, auf denen das neue Evangelium stand. Daraus wurde das „Buch | |
Mormon“, die Basis der Gemeinschaft. | |
## Glück und Erlösung | |
Die Polygamie hat die Kirche 1890 untersagt. Heute prägt ein konservativer | |
Rahmen das Familienleben von Mormonen. Die Romneys mit ihrer | |
postkartenperfekten Familie sind Vorbild, nicht Ausnahme. An einem | |
Sonntagmorgen in Belmont sitzen viele Abziehbilder davon im Gottesdienst. | |
Junge, weiße Paare, verheiratet, mit mindestens zwei, eher drei oder vier | |
Kindern. Das einzige afroamerikanische Paar sitzt in der letzten Reihe. | |
Nur wer starke Ehe- und Familienbande hat, kann Glück und Erlösung | |
erfahren, glauben die Mormonen. In pompösen Tempeln, die nur Mormonen | |
betreten dürfen, schließen die Paare ihre Ehe über den Tod hinaus für die | |
Ewigkeit. Der graue, imposante Bau mit dem goldenen Engel auf der Spitze in | |
Belmont ist auch mit Romneys Millionen finanziert worden. 10 Prozent des | |
Einkommens eines jeden Mitglieds gehen an die Kirche, neben freiwilligen | |
Spenden. | |
„Mormone zu sein hat Romneys Charakter geprägt“, sagt Wissenschaftler | |
Barlow. Kein Alkohol, keine Zigaretten und viele Stunden | |
Freiwilligenarbeit. Als Bischof zehn bis fünfzehn, in Romneys Fall eher | |
zwanzig Stunden in der Woche. Mormonen kümmern sich, sagen die, die ihnen | |
angehören. Eine Gemeinschaft, die ihre Mitglieder gern kontrolliert, sagen | |
Kritiker und ehemalige Anhänger. | |
Grant Bennett ist seit über dreißig Jahren mit Mitt Romney befreundet, er | |
hat mit ihm in der Kirche und bei Bain & Company gearbeitet, zwei Jahre | |
bevor Romney Bain Capital gründete. Er hat viele Geschichten zu erzählen | |
vom Gutmenschen Romney. Wie Romney der alleinerziehenden Mutter finanziell | |
wieder auf die Beine geholfen hat, wie er mit jedem der Hunderte | |
Jugendlichen der Gemeinde individuelle Gespräche geführt hat, wie er ein | |
Hornissennest persönlich vom Schlafzimmerfenster des Freundes geschlagen | |
hat, den Werkzeuggürtel um die Hüften geschwungen. | |
Eheprobleme, Drogenmissbrauch, Krankheiten und Schicksalsschläge – ein | |
Bischof kümmert sich um alles. „Mitt war ein wundervolles Vorbild für mich, | |
sein Einsatz eine Inspiration“, sagt Bennett, der Romney als Bischof | |
nachfolgte. | |
Es gibt aber auch die Geschichten von Menschen, die sich schlecht beraten | |
fühlten von ihrem Bischof Romney. Bennett erzählt sie nicht. Vanity Fair | |
zitiert aus einer alten Ausgabe eines Mormonenmagazins für Frauen, in dem | |
eine Gläubige berichtet, wie Romney sie von einer Abtreibung abbringen | |
wollte, obwohl ihr Leben gefährdet und die Überlebenschancen des | |
ungeborenen Kindes unsicher waren. Die Kirche lehnt Abtreibungen ab – außer | |
in Extremfällen. Romney hielt sich an die Regeln. | |
Und Zweifel kennt er nicht. Bennett hat das nie an seinem Freund | |
beobachtet. Vielleicht einmal ein kurzes Zögern, ein Gebet als spirituelle | |
Entscheidungshilfe. Aber keine Zweifel. „Er kennt nur eine Geschwindigkeit | |
– Vollgas.“ In der Kirche wie in der Geschäftswelt. „Er stürzt sich in … | |
Problem, sammelt Informationen und Daten, bis er eine Lösung sieht, und | |
dann setzt er sie um.“ Auch Philip Barlow hat Romney so erlebt. Andere | |
Meinungen mögen willkommen sein, entscheiden tut Romney – effektiv, | |
organisiert, führungsstark. Das alles ist Mitt Romney. | |
## „Er ist zu perfekt“ | |
„Mitt zitiert gern aus dem Neuen Testament: Wo viel gegeben wird, wird viel | |
erwartet“, sagt Bennett. Von Romney, dem Sohn aus gutem Hause, wurde stets | |
viel erwartet, sagt sein Freund. Und Romney enttäuschte seinen Vater nicht, | |
der selber als Gouverneur von Michigan erfolgreich war. Romney hat es fast | |
bis an die Spitze geschafft. Ein Liebling der Massen ist er dabei nicht | |
geworden. Er ist der Mann ohne Empathie, der sich nicht mit den kleinen | |
Leuten identifizieren kann. | |
„Romney hat diesen gewissen Schliff, sodass Leute denken, er ist zu perfekt | |
oder zu künstlich“, sagt Philip Barlow. „Aber das ist nicht gespielt, das | |
ist seine Persönlichkeit.“ Dennoch sei er stets Ratgeber für alle | |
Mitglieder gewesen. „Es ist dumm, zu denken, er sei weit entfernt von | |
durchschnittlichen Menschen und ihren Bedürfnissen“, sagt Barlow. | |
Bischof Romney hat sich gekümmert, aber auf seine Art. Eher pragmatisch als | |
emotional. „Als ich Bischof in einer Nachbargemeinde wurde, hat Mitt Geld | |
gesammelt und selbst viel gegeben, damit ich mir ein besseres Auto leisten | |
konnte“, erinnert sich Kirchenfreund Bob Chandlor. Fair sei Romney stets | |
gewesen, und klug. | |
Aber in allem auch anders als andere, das sagen sie alle. Eher für sich. | |
Niemand, der abends nach der Arbeit noch etwas mit Kollegen unternimmt, | |
sondern einer, der lieber nach Hause geht, zur Ehefrau und den fünf Söhnen. | |
„Es ist sehr interessant, mit ihm zusammen zu sein“, formuliert es Bennett. | |
Nichts sei profan an ihm und seiner Familie, nur weniges typisch | |
amerikanisch. | |
Romney lebt seinen Glauben diszipliniert. Wem sich im Leben Möglichkeiten | |
bieten, der hat die Pflicht, anderen zu dienen, lehrt seine Kirche. „Das | |
ist der bestimmende Einfluss in seinem Leben“, sagt Bennett. In der | |
Gemeinde diente er anderen, im Geschäftsleben diente er seinem Profit. In | |
beiden Bereichen nutzt ihm „seine Fähigkeit, Probleme zu lösen“, sagt | |
Barlow. | |
## Bei vielen Themen wankelmütig | |
Das Problem, zu fremdeln, wenn es menschlich wird, begleitet den Politiker | |
Romney vom Anbeginn seines Wahlkampfs. Lange hat Romney darauf verzichtet, | |
seinen Glauben zu thematisieren, es geradezu vermieden. Zu heikel sei das | |
Thema, hieß es hinter den Kulissen, auch wenn es das Fundament seiner | |
Moralvorstellungen ist. In den vergangenen Wochen haben seine Strategen | |
jedoch eine andere Richtung eingeschlagen. Durch seine Kirchenarbeit sollen | |
Geschichten lanciert werden, die Romney griffiger machen. Weniger Ken, mehr | |
Gutmensch. Den Einsatz als Bischof, die starken Familienwerte, das sollen | |
Wähler mit ihm identifizieren. | |
Paul Dudge begrüßt diesen Wandel, da er der Kirche mehr Aufmerksamkeit | |
schenkt. Der Bischof sitzt nach dem Gottesdienst in Belmont in einer der | |
hinteren Kirchenbänke und erinnert sich an den jungen Romney, der lernen | |
musste, sich in Gruppen wohlzufühlen. „Er ist sehr formell, ein | |
Pragmatiker, kein Ideologe.“ | |
Pragmatisch. Immer wieder pragmatisch. So ist auch seine Politik, in vielen | |
Bereichen ist er wankelmütig. Auch dort, wo die Haltung der Kirche klar | |
ist, beim Abtreibungsverbot. War er als Gouverneur für das Recht von Frauen | |
auf Abtreibung, ist er als Präsidentschaftskandidat dagegen und will sie | |
nur in Ausnahmefällen wie Vergewaltigung zulassen. Bennett nennt auch das | |
pragmatisch, zielführend eben. Das Ziel: Macht erlangen und behalten. Und | |
im November das Weiße Haus erobern. Grant Bennett unterstützt seinen Freund | |
darin, er sieht ihn durch seine Führungsqualitäten bestens qualifiziert. | |
Bischof Dudge schätzt Romneys Fähigkeiten ebenfalls. Sein Engagement für | |
die Kirche und auch die persönliche Unterstützung, die er durch den | |
Kirchenfreund erfahren hat. „Doch in seiner Politik war er oft | |
inkonsistent.“ Wählen wird Dudge Mitt Romney nicht. | |
16 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Rieke Havertz | |
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