| # taz.de -- Überwachungs-Projekt indect: Alle unter Generalverdacht | |
| > Die EU hat eine neues Überwachungs-Projekt. Es heißt indect und soll | |
| > Verbrechen verhindern, bevor sie passieren. Nix da, fordern Demonstranten | |
| > in Berlin. | |
| Bild: Viele waren es nicht, die da demonstrierten. Aber sie waren entschieden. | |
| BERLIN taz | Die Uhr an der Marienkirche am Alexanderplatz, Berlin, zeigt | |
| 14.30 Uhr, als die Bässe losdröhnen. Neben dem Neptunbrunnen steht ein Lkw, | |
| dessen Tragfläche zu einer Bühne mit Lautsprechern umgebaut ist, etwas mehr | |
| als hundert Menschen haben sich davor versammelt. | |
| Sechs Männer in schwarzen Kapuzenpullis und weißen Masken tanzen vor dem | |
| Wagen. Ein Mann mit Dreadlocks streckt ein Plakat in den blauen | |
| Herbsthimmel, „Überwachung – indecke die Möglichkeiten“ steht darauf. K… | |
| Dittmann, Mitte 50, beobachtet die überwiegend jungen Leute zwischen 20 und | |
| 30 Jahren. „Worum geht’s denn?“, fragt sie. Sie habe auch eine Tochter in | |
| dem Alter, die würde da vielleicht auch mitmachen. | |
| In ganz Europa demonstrierten am Samstag Menschen gegen indect, allein in | |
| Deutschland gab es in 26 Städten Proteste. indect, das bedeutet | |
| „Intelligent Information System Supporting Observation, Searching and | |
| Detection for Security of Citizens in Urban Environment“ – also | |
| „Intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche | |
| und Erfassung für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung“. Die | |
| Abkürzung steht für die Entwicklung einer multimedialen | |
| Überwachungsplattform, die die BürgerInnen vor Verbrechen schützen sollen – | |
| ein Projekt, das von der EU mit knapp 11 Millionen Euro gefördert wird. | |
| Die Forschung an Hochschulen, unter anderem an der Uni Wuppertal, in | |
| Unternehmen und Behörden läuft noch bis 2014. Und so funktioniert indect: | |
| Angenommen, Karin Dittmann steht vor dem Auto ihrer Tochter und kramt in | |
| ihrer Tasche, bis sie endlich die Schlüssel findet. Eine Kamera filmt sie | |
| dabei, leitet die Daten an die Überwachungsplattform weiter, die erkennt in | |
| ihr automatisch eine potentielle Auto-Diebin. Dann bekommt die Kamera den | |
| Befehl, ihr Gesicht zu scannen. Dieses wird mit Fotos aus dem Internet | |
| verglichen, bis ein Datensatz zu ihrer Person erstellt wird und schon ist | |
| sie der Polizei als verdächtig gemeldet. | |
| ## „Eingriff in die Grundrechte“ | |
| „Es ist unverhältnismäßig, alle Menschen unter Generalverdacht zu stellen | |
| und schon nach Verdächtigen zu suchen, bevor jemand auffällig geworden | |
| ist“, ruft Jan Philipp Albrecht ins Mikro, innen- und justizpolitischer | |
| Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament. „Das ist ein Eingriff in die | |
| Grundrechte, deshalb muss diese Technologie und ihr Export verboten | |
| werden.“ | |
| Der 30-Jährige ist zum Netzpolitischen Kongress der Grünen nach Berlin | |
| gekommen, bei dieser Gelegenheit hält er die Ansprache am Alexanderplatz. | |
| Das Szenario, das er beschreibt, erinnert an den Science-Fiction-Film | |
| „Minority Report“. Die Polizei nimmt darin Mörder fest, bevor sie eine Tat | |
| begehen. Doch die Realität hat die Fiktion längst eingeholt – schon 2014 | |
| könnte ein solches Überwachungssystem angewandt werden. | |
| „Deshalb fordern wir ethisch-moralische Grenzen, nicht nur in der Biologie, | |
| sondern auch im Datenschutz“, so Albrecht. „Diese müssen in das nächste | |
| Rahmenprogramm der EU aufgenommen werden.“ | |
| ## Nur wenige kamen zur Demo in Berlin | |
| Lars Brickmann, ehemaliges Piraten-Partei-Mitglied, hat die Demo mit | |
| Anonymus-Aktivisten, Piraten und dem Aktionsbündnis „Freiheit statt Angst“ | |
| organisiert. Er arbeitet in einer Psychiatrie. „Wir haben PatientInnen, die | |
| reden mit Steckdosen oder mit der Wand“, sagt er, „und die sollen als | |
| potentielle Täter abgestempelt werden?“ Er ist enttäuscht, dass nur so | |
| wenige zur Demo gekommen sind. Doch niemand unter der Passanten, die den | |
| etwa 60 Meter langen Demonstrationszug auf dem Weg zum Reichstag | |
| beobachten, hat jemals von indect gehört. | |
| „Mir ist das auch neu, aber wir haben ja gesehen, was so alles passiert, | |
| als sie den jungen Mann am Alexanderplatz zu Tode getreten haben“, sagt | |
| Passantin Dittmann. „Ich hab nichts dagegen, wenn mein Gesicht gescannt | |
| wird – wenn es der Sicherheit dient“. | |
| Mit Sicherheit hat die Überwachungsplattform indect für die Demonstranten | |
| nichts mehr zu tun. Vor dem Reichstag strecken sie ihre Plakate in den | |
| Himmel, „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides | |
| verlieren“, steht darauf geschrieben, ein Zitat von Benjamin Franklin. Auf | |
| dem weitläufigen, beinahe leeren Platz verhallen die Elektro-Rhythmen. | |
| 21 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Maria Amberger | |
| Julia Amberger | |
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