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# taz.de -- Krieg in Syrien: Söldner im Namen Allahs
> Junge internationale Mudschaheddin unterstützen die syrischen Rebellen.
> Die einen wollen einen islamischen Staat, die anderen Demokratie.
Bild: Soldaten der Freien Syrischen Armee und Mudschaheddin kämpfen in Aleppo …
ALEPPO taz | Die Mörsergranate ist zwei Meter von dem Auto entfernt
eingeschlagen. Abu Abed war sofort tot, jetzt liegt sein Leichnam auf einer
Bahre in der Fatima-Aqila-Moschee, gehüllt in ein weißes, blutbeflecktes
Laken. Sein Freund Abu Zeid küsst ihn auf die gelb angelaufene Stirn, ein
letzter Gruß.
Abu Moaz steht etwas abseits, gerade hat er auf sein Handy das neue
Hintergrundbild geladen: das letzte Foto, das er von Abu Abed gemacht hat,
am Tag bevor sie nach Aleppo aufgebrochen waren: Abu Abed lächelt, er hat
seine beiden kleinen Töchter auf dem Arm.
Ich hatte Abu Abed am Vorabend kennengelernt, im Zarzur-Krankenhaus,
gemeinsam mit Abu Moaz und Abu Zeid. Nachdem sie ihre Gewehre am
Klinikeingang abgestellt hatten, hatten sie, mitgerissen von der sonoren
Stimme Abu Zeids, die Ärzte und Pfleger eine gute halbe Stunde lang mit
Kampfliedern unterhalten. Lieder, die die Jungen ermutigen sollen, zu den
Waffen zu greifen, sich von ihren Liebsten zu verabschieden und für die
Gerechtigkeit zu kämpfen, voll Gottvertrauen und ohne Furcht vor dem Tod.
„Denn wer auf dem Weg des Herrn stirbt, hatte Abu Abed gesagt, lebt ewig.“
Das ist es, was diese Jungs Dschihad nennen, was Hunderte junge Männer
weltweit antreibt, alles hinter sich zu lassen, um sich als islamische
Kämpfer, als Mudschaheddin, der syrischen Revolution anzuschließen. Junge
Männer wie Abu Zeid und Abu Moaz.
## Ausländische Mudschaheddin
Denn Abu Zeid, „der Sänger“, ist nicht Syrer, sondern Tunesier. „Ich kam
vor einem Monat hier an“, erzählt er. „Die nötigen Kontakte hatte ich dank
einer salafitischen Gruppe. Das belgische Hochpräzisionsgewehr, mit dem ich
als Scharfschütze kämpfe, habe ich aus eigener Tasche bezahlt.“ Abu Moaz
dagegen ist Ägypter: „Bevor ich nach Syrien aufbrach, war ich Professor für
islamische Geschichte an der Al-Azhar-Universität in Kairo“. Beide sind
etwa 30 Jahre alt, genauso wie Abu Abed, der einzige Syrer unter ihnen, er
war vor der Revolution Imam in einer Moschee in Aleppo.
Was Abu Zeid, Abu Moaz und Abu Abed eint, ist die Fahne, unter der sie
kämpfen: die schwarze Fahne des Dschihad. Die gleiche Fahne, die seit einem
Monat über der Schule von Sukkari weht. Die Schule ist der Sitz einer der
wichtigsten islamistischen Brigaden in Aleppo, der Brigade Ahrar al-Scham,
„Die Freien Syriens“. Auf dem schwarzen Tuch steht in Arabisch: „Es gibt
keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet.“
Über die Jahre hinweg diente jene schwarze Fahne einer Vielzahl
islamistischer Terrorgruppen. Im heutigen Syrien dagegen wurde sie zum
Symbol des islamistischen Internationalismus; in der Schule von Sukkari
haben Kämpfer aus den verschiedensten Ländern ihre Basis: Libyer, Saudis,
Tschetschenen, Tunesier, Afghanen und auch Europäer.
## Internationale Kriegsveteranen
Sie tragen lange Bärte, schwarze Turbane, Armeehosen in Tarnfarben, die
Kalaschnikows über der Schulter. Einige Kriegsveteranen sind unter ihnen,
zum Beispiel die Tschetschenen, die Libyer, die Afghanen. Andere dagegen
sind erst 20 Jahre alt und ziehen, erfüllt von hohen Idealen der
Solidarität, zum ersten Mal in den Krieg, um eine Gemeinschaft – die der
Muslime – zu verteidigen, zu der sie sich über alle Grenzen hinweg
zugehörig fühlen. Im Tausch werden sie nichts erhalten. Im Gegenteil: Der
Großteil von ihnen wird im Kampf sterben.
Ein vor Kurzem vorgelegter Report des Swedish Institute for International
Affairs schätzt die Zahl der internationalen Kämpfer in Syrien auf 800 bis
1.200, das entspricht etwa 5 Prozent der Kämpfer der Freien Syrischen
Armee. Die beiden wichtigsten dschihadistischen Brigaden, die die
internationalen Kämpfer in ihren Reihen aufnehmen, sind die Jabhat al-Nusra
und die Ahrar al-Scham. Jabhat al-Nusra ist die kleinere von beiden. Sie
ist die einzige der syrischen Dschihadistengruppen, die ihre Erklärungen im
Internet veröffentlicht und die al-Qaida nahesteht.
Die Brigade Ahrar al-Scham ist eine der wichtigsten Kräfte nicht nur der
Mudschaheddin, sondern auch im Verhältnis zu den bewaffneten Gruppen, die
sich als Teil der Freien Syrischen Armee begreifen. Ihrer Facebook-Seite
folgen 2.000 Personen, jeden Tag werden dort Nachrichten und Videos von den
Kämpfen oder Lobpreisungen der Märtyrer gepostet.
Jetzt, wo die Kämpfe die Berichterstattung dominieren, sind die
Mudschaheddin in Syrien willkommen. Auf Dauer jedoch droht die Präsenz von
radikalislamistischen Milizen ein ernstes Problem zu werden. Davon sind die
jungen Syrer der Al-Faruk-Brigade der Freien Syrischen Armee überzeugt.
## Nationale Interessen
Ammar ist einer von ihnen. Der 25-Jährige war vor dem Krieg Maurer. Er
betrachtet sich als praktizierender Muslim, doch er lehnt jedwede Form des
Extremismus ab. „Die Syrer teilen das Denken der Mudschaheddin nicht. Das
hier ist ein Befreiungskrieg. Wir wollen keinen islamischen Staat, wir
wollen die Demokratie. Das sollten die Mudschaheddin so schnell wie möglich
begreifen, andernfalls werden sie das gleiche Ende nehmen wie Absi.“
Der britische Staatsbürger Mohamed Shami El Absi führte die „Mudschaheddin
Shura“ an, ein Bataillon mit etwa 50 internationalen Kämpfern, vor allem
Briten mit asiatischen Wurzeln, aber auch Kanadier und Australier. Absis
Bataillon hatte im Juni 2012 bei der Befreiung von Bab al-Hawa,
mitgekämpft, einem Ort an der Grenze zur Türkei, nördlich von Idlib. Gleich
darauf jedoch hatten die Probleme mit der örtlichen Brigade der Freien
Syrischen Armee begonnen.
Zuerst wollten die Mudschaheddin die schwarze Al-Qaida-Fahne hissen und ein
islamisches Emirat ausrufen“, erzählt Mohammed, ein alter syrischer
Seemann, der in der Faruk-Brigade Dienst tut. „Dann entführten sie zwei
Journalisten. Da mussten wir etwas unternehmen – und wir griffen sie an.“
Das war Ende August. Der Konflikt endete damit, dass Absi und vier seiner
Männer getötet wurden und die Rolle seiner Brigade drastisch begrenzt
wurde.
Doch trotz solcher Episoden besteht das Risiko, dass die Mudschaheddin in
Syrien ihren Einfluss ausdehnen. Dank der militärischen Erfahrung und der
ihnen zufließenden Gelder gelingt es ihnen, ihr Gewicht gegenüber der
Freien Syrischen Armee zu erhöhen – in einer Armee, der ihrerseits Geld und
Munition ausgehen.
Übersetzung aus dem Italienischen: Michael Braun
30 Oct 2012
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