# taz.de -- Kommentar Erdogan: Kritik an der falschen Stelle | |
> Die Bilanz von Ministerpräsident Erdogan ist durchwachsen. Als Gegner der | |
> Integration von Türken in Deutschland muss er sich nicht beschimpfen | |
> lassen. | |
Es gibt Vieles, was man am türkischen Ministerpräsidenten Erdogan | |
kritisieren kann. Er regiert in der Türkei zunehmend selbstherrlich und | |
autoritär. Echte Gleichberechtigung für die Kurden und eine politische | |
Lösung des Konflikts mit der PKK, der in der letzten Zeit wieder eskaliert | |
ist, stehen noch aus. | |
Eine demokratischere Verfassung, ebenfalls lange versprochen, lässt auf | |
sich warten, und bei der Meinungs- und Pressefreiheit gibt es sogar | |
Rückschritte zu beklagen: Viele Oppositionelle und Journalisten sitzen in | |
Haft, öffentliche Proteste werden unterdrückt. Dass ein breites Bündnis von | |
Migranten aus der Türkei dagegen protestiert, [1][wenn Erdogan zu Besuch | |
nach Deutschland kommt], ist deshalb verständlich und richtig. | |
Hoffentlich wird die Botschaft in Ankara auch verstanden. Nicht so recht | |
vorwerfen kann man Erdogans Regierung allerdings, dass ihre „Null | |
Problem"-Politik gegenüber den Nachbarstaaten nicht aufgegangen ist. Auf | |
Entspannung zu setzen war ja zunächst richtig. | |
Dass das Verhältnis zu Israel so abgekühlt ist, hängt auch mit der sturen | |
Haltung der Netanjahu-Regierung in Jerusalem zusammen, die Erdogan mehrfach | |
brüskiert hat und sich bis heute nicht dafür entschuldigen will, dass | |
mehrere türkische Staatsbürger, die sich an einer Solidaritätsflotte nach | |
Gaza beteiligten, erschossen wurden. | |
Mit Russland und dem Iran konkurriert man um Einfluss in der Region. Und | |
von Syriens Präsidenten Assad sagte man sich erst los, als der auf sein | |
eigenes Volk zu schießen begann. Seither liegt man gegenüber dessen Regime | |
ganz auf der Linie der westlichen Politik, unterstützt die Opposition und | |
nimmt, neben Jordanien, den größten Teil der syrischen Flüchtlinge auf. | |
Dass hier der Westen und die Türkei weiter an einem Strang ziehen, das ist | |
wohl die wichtigste Botschaft, die von Erdogans aktuellen Besuch in Berlin | |
ausgeht. Ganz falsch ist dagegen der Vorwurf, Erdogan schade der | |
Integration türkischer Migranten und fördere deren | |
„Parallelgesellschaften". Er wird vor allem von rechter Seite in | |
Deutschland erhoben. | |
Dass auch manche Migrantenverbände neuerdings in diesen Tenor einstimmen, | |
ist populistisch und anbiedernd. Denn wie keine andere türkische Regierung | |
zuvor fordert die unter Erdogan die türkischen Migranten dazu auf, die | |
deutsche Sprache zu lernen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen und | |
sich in Deutschland zu engagieren. Dass er dabei auch an muslimische | |
Solidarität und türkischen Stolz appelliert, ändert daran nichts, denn | |
Erdogan fordert nur einen selbstbewussten Dialog auf Augenhöhe. Eigentlich | |
eine Selbstverständlichkeit. | |
Aber die wütenden Reflexe, die er damit bei manchen Publizisten und | |
Politikern hierzulande verlässlich provoziert, zeigen, dass viele damit | |
noch immer so ihre Schwierigkeiten haben. | |
31 Oct 2012 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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