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# taz.de -- Häuserkampf in der Hafenstraße: Acht Tage im November
> Vor 25 Jahren errichteten die BewohnerInnen und Unterstützer der
> Hamburger Hafenstraße Barrikaden. Die Stadt war gespalten. Alle wussten:
> Bei einer Räumung hätte es Tote geben können.
Bild: Unbedingt abwehrbereit: SympathisantInnen der Hamburger Hafenstraße samm…
1987 war in mancher Hinsicht ein turbulentes Jahr für Hamburg: Neuwahlen
standen an, die regierenden Sozialdemokraten waren zerstritten, und es
tobte der Kampf um die vorübergehend besetzten Häuser an der
St.-Pauli-Hafenstraße. Niemand ahnte Anfang November, dass der Konflikt die
Stadt in bürgerkriegsähnliche Zustände führen und die ganze Nation
zuschauen würde, wie der Machtkampf um das „Symbol des Widerstands“
ausgeht.
Mittwoch, 11. November 1987: SPD-Fraktionschef Henning Voscherau erklärt,
dass nach sechsjährigem Tauziehen eine vertragliche Lösung mit den
Bewohnern der Hafenstraßenhäuser endgültig gescheitert sei und nun die
Räumung eingeleitet werde. Mehrere Tausend Menschen versammeln sich am
Abend rund um die Häuser am Hafenrand, in einem Zelt wird die aktuelle Lage
diskutiert. Zeitgleich tagt in den Häusern das Plenum der Bewohner. „Es
herrschte Ratlosigkeit“, sagt einer der damaligen Bewohner heute. „Es war
klar, dass wir uns nicht ausliefern lassen.“
Im Plenum meldet sich einer der Bewohner zu Wort und sagt, dass
Diskussionen nichts mehr nützen würden, man müsse Barrikaden bauen. Ohne
dass ein Beschluss gefällt worden wäre, rennt er hinüber in das
Sympathisantenzelt. Dort setzt das Wort „Barrikaden“ eine Lawine in Gang.
Alles Greifbare wird vor die Häuser in der Hafenstraße geschleppt – sogar
Autos und Kleinlaster.
„Wir sind sofort auf Sendung – aber das war alles nicht geplant“, sagt ein
Macher des illegalen Senders Radio Hafenstraße, der auf einem Dachboden in
den besetzten Häusern installiert worden ist. Der Sender wird in den
nächsten Tagen Sprachrohr und Kommunikationsplattform der Hafensträßler
werden. In keinem Geschäft auf St. Pauli wird in den folgenden Tagen ein
anderes Programm zu hören sein.
Seit Anfang des Jahres 1987 waren die Bewohner der Hafenstraßenhäuser dem
Psychoterror der Polizei ausgesetzt. Zu jedem denkbaren Anlass – einige
wollen 33 Fälle errechnet haben – drangen Polizeieinheiten in die Häuser
ein. Katzenbabys wurden durch Polizeistiefel zertreten, Murmeln zwecks
Verstopfung in Klos geworfen, Knallkörper in Öfen deponiert und Reizgas in
Bettwäsche versprüht. Das Angebot des Politmäzens Jan Philipp Reemtsma im
Mai, den Konflikt zu „entstaatlichen“ und die Häuser für den symbolischen
Kaufpreis von einer Mark zu übernehmen, schlug der SPD-Senat in den Wind.
Als Bürgermeister Klaus von Dohnanyi im Sommer 1987 im Urlaub war, sah die
SPD-Betonfraktion um Innensenator Alfons Pawelczyk und Bausenator Eugen
Wagner ihre Chance gekommen, die Räumung der Häuser in Angriff zu nehmen.
Eine Delegation um Vertreter der Patriotischen Gesellschaft und der GAL
flog mit dem Hubschrauber nach Sylt und stoppte Dohnanyi beim Fahrradfahren
am Strand, damit er Pawelczyk zurückpfiff – was Dohnanyi auch tat.
Am 12. November, dem Morgen nach dem Barrikadenbau, wirken die Straßen um
die Häuserzeile gespenstisch: Wo sonst der Berufsverkehr fließt, herrscht
totale Ruhe, nur die Schiffe sind zu hören. Radio Hafenstraße sendet erste
Solidaritätsadressen, zwischen den Musikstücken werden Polizeibewegungen
durchgegeben.
Die GAL-Bürgerschaftsfraktion errichtet in der nahe gelegenen Kneipe
„Zapfhahn“ einen Stützpunkt, um in dem Konflikt zu vermitteln. Während
Bürgermeister von Dohnanyi eine Vertragslösung noch nicht verworfen hat,
bläst Hardliner Pawelczyk zum Sturm. Bis zum Wochenende ordert er
Polizeikräfte aus der ganzen Republik, am Ende stehen 5.000 Beamte bereit.
Die Hafenstraße ist unterdessen zum befreiten Gebiet geworden. „Als es
einen Unfall durch Gaffer gegeben hat, kam die herbeigerufene
Streifenwagenbesatzung zu uns und fragte höflich, ob sie denn den Unfall
aufnehmen dürfte,“ erinnert sich ein Bewohner. „Es war schon eine ganz
abgefahrene Zeit der Freiheit.“
Samstag, 14. November: Während Innensenator Pawelczyk eine Solidaritätsdemo
zu unterbinden versucht, ist im Rathaus eine Krisenrunde des Senats
zusammengekommen. Eine Vertragslösung wird erneut verworfen. Der Versuch,
am Abend eine Barrikade anzugreifen, wird vereitelt, indem sich die
GAL-Fraktions-Chefin Thea Bock aus dem „Zapfhahn“ stürmend den
Wasserwerfern entgegenstellt.
Unterdessen wächst die Solidarität mit der Hafenstraße: ganze Belegschaften
senden Grußbotschaften, die über Radio Hafenstraße verlesen werden.
Baumogul und FDP-Chef Robert Vogel stellt sich hinter die Bewohner, der
Zweite Bürgermeister, Ingo von Münch (FDP), macht klar, dass er mit dem
Senatsbeschluss, keine vertragliche Lösung zu suchen, nicht einverstanden
ist. Hamburg ist gespalten. Auf der einen Seite die SPD-Betonfraktion, die
Springerpresse und die Polizeigewerkschaften, auf der anderen Seite das
linksliberale Spektrum.
Am Montag, den 16. November laufen die Diplomatie-Drähte heiß. Die gesamte
Republik schaut auf Hamburg und fürchtet ein Bürgerkriegs-Desaster. 10.000
Polizisten hat Pawelczyk mittlerweile zusammengezogen, darunter die
sogenannte Anti-Terroreinheit GSG 9 des Bundesgrenzschutzes, die mit
Hubschraubern die mit Stacheldraht befestigten Dächer erklimmen soll.
„In den Häusern waren Unmengen an Benzin gebunkert“, sagt ein Ex-Bewohner.
Es habe auch Überlegungen gegeben, Öfen aus den Fenstern zu werfen.
Schusswaffengebrauch kam damals nicht in Betracht, aber auf den Dächern der
Häuser waren Harpunen stationiert worden, um einen „ Luftangriff“ der GSG 9
abzuwehren.
Im ersten Sock des Hauses Hafenstraße 108 haben sich Mitglieder des
„Komitees zur Rettung der Hafenstraße“ und des „Initiativkreises zur
Rettung der Hafenstraße“ eingefunden. Bundespräsident Richard von
Weizsäcker und der SPD-Bundesvorsitzende Hans-Jochen Vogel schalten sich
ein, beide haben als ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin
Erfahrung mit der Häuserkampfbewegung. Die Intervention zeigt Wirkung: Am
Dienstag beschließt der SPD / FDP-Senat, doch noch ein Vertragsangebot zu
unterbreiten.
Auf einer Pressekonferenz am Dienstag gibt Bürgermeister von Dohnanyi sein
„Ehrenwort“ und „verpfändet sein Amt“, dass es eine Vertragslösung ge…
wenn bis zum Donnerstag der Abbau der Befestigungen erfolgt sei.
Obwohl alle Bewohner wissen, dass ein neuer Vertrag noch keine sichere
Zukunft bedeutet, willigen sie ein und bauen die Barrikaden ab. „Bei einer
Räumung hätte es Tote geben“, sagt später SPD-Kronprinz Voscherau, was ihn
nicht davon abhält, erneut mit einer Räumung zu liebäugeln, nachdem er
Dohnanyi im Februar 1988 gestürzt hat.
Erst 1994 ist eine Räumung der Hafenstraße endgültig vom Tisch: Noch einmal
hatte die Patriotische Gesellschaft vermittelt. Im Jahr darauf gründen die
Bewohner die Genossenschaft „Alternativen am Elbufer“, die heute noch
existiert.
2 Nov 2012
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
Häuserkampf
Schwerpunkt AfD
Rote Armee Fraktion / RAF
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