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# taz.de -- Gewerbetreibende am Berliner Flughafen: Die Kleinen lässt man hän…
> „Ich fand toll, dass man auf Händler aus der Region setzt“, sagt Beatrice
> Posch. Die Geschäftsfrau trifft die Eröffnungsverschiebung hart.
Bild: Fühlt sich von den Politikern im Stich gelassen: Spielwarenhändlerin Be…
BERLIN taz | Ein windiger Herbsttag in Berlin-Mitte. Über die
Friedrichstraße donnert der Vormittagsverkehr. „Die kleine Gesellschaft“
verhält sich ruhig. Nur wenige Besucher stöbern in den Angeboten des
Spielzeuggeschäfts.
Durch das Schaufenster fällt der Blick nach draußen auf eine große
Freifläche und das dahinter liegende Tacheles. Das legendäre Kunsthaus
wurde vor Kurzem geräumt – wegen Brandschutzmängeln. Auch am neuen
Hauptstadtflughafen geht es um den Brandschutz. Die „Entrauchungsanlage“
macht Probleme, unter anderem. Die Eröffnung des BER-Flughafens in
Schönefeld ist um anderthalb Jahre verschoben worden – sehr zum Leidwesen
auch der Kleinhändler, die dort aktiv werden wollten.
Beatrice Posch steht in ihrem Spielzeuggeschäft hinter dem Kassentisch. Die
40-jährige Frau mit Kurzhaarschnitt und leiser Stimme wollte am
Großflughafen eine Filiale eröffnen. Vier Angestellte hat ihr Unternehmen,
das bisher zwei Läden in Berlin betreibt. „Noch im September ist ein
Lieferant mit Waren für uns zum neuen Flughafen rausgefahren“, sagt sie,
„der hatte anscheinend gar nicht mitgekriegt, dass da noch kein Betrieb
ist.“
Im Mai bereits war das sechzig Quadratmeter große Ladengeschäft im
Hauptterminal fertig – nicht zuletzt weil der Flughafenbetreiber Druck
gemacht hatte. „Ich fand vor allem das Konzept toll, dass man dort auf
Händler aus der Region setzt“, sagt Beatrice Posch. Wenige Tage später
wurde die für den 3. Juni geplante Eröffnung abgesagt.
## Regionales Konzept
Mittlerweile ist auch der verschobene Starttermin wieder verschoben worden.
Die Eröffnung des Großflughafens soll nun am 27. Oktober 2013 stattfinden.
Die Projektkosten sind mittlerweile auf über 4,3 Milliarden Euro gestiegen
– vorerst. Posch hat sichtlich resigniert. „Ich kann ja an der Situation
nichts ändern.“
Wie hoch der Schaden für sie ist, will sie aus Rücksicht auf die laufenden
Verhandlungen mit der Berliner Flughafengesellschaft nicht sagen. Das
Eigenkapital für den Schönefelder Laden gehe jedenfalls in die
Zehntausende. Allein die Stornierung einer Warenbestellung im Mai kostete
sie 6.000 Euro. „Dass ich nicht noch mehr Geld zahlen musste, liegt an
meinen guten Beziehungen zu den Lieferanten“, sagt Posch.
Über 150 Läden soll es am künftigen Hauptstadtflughafen geben. Die
Geschäfte konzentrieren sich um den sogenannten Marktplatz, eine insgesamt
rund 9.000 Quadratmeter große Fläche im Hauptterminal. Viele von ihnen
gehören zu den großen Ketten. Aber auch kleinere Gewerbetreibende aus der
Region sind dabei. Für sechs von ihnen ist die Situation nach dem
mehrmaligen Verschieben der Eröffnung besonders problematisch.
## Keine unkomplizierte Hilfe von der Stadt
Im September 2012 brachten die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus einen
Antrag zur Einrichtung einer Ombudsstelle ein. Die Flughafenhändler sollten
hier nicht nur Beratung, sondern notfalls auch unkomplizierte finanzielle
Hilfe erhalten. 5 Millionen Euro waren dafür vorgesehen. Doch die große
Koalition aus SPD und CDU lehnte den Vorschlag ab und verwies auf die
Flughafengesellschaft und schon bestehende Beratungsangebote. Der
wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Frank Jahnke, warf den
Grünen Populismus und die Verschwendung öffentlicher Gelder vor. Kurz zuvor
hatte der Berliner Senat einem Nachtragshaushalt in Höhe von 444 Millionen
Euro zugestimmt. So hoch ist allein der Berliner Anteil an den Mehrkosten
der Flughafenbaustelle.
Doch Überbrückungskredite für betroffene Händler will die
Flughafengesellschaft nicht bereitstellen. Die Berliner Industrie- und
Handelskammer hält dagegen einen Liquiditätsfonds für sinnvoll. „Es hat zum
Glück bisher noch keine Insolvenzen gegeben“, sagt IHK-Sprecher Jörg Nolte.
„Aber wir wollen damit Sorge für die Zukunft tragen.“ Schließlich sei die
Flughafengesellschaft öffentliches Eigentum, womit die Gesellschafter eine
Mitverantwortung trügen.
## Zweieinhalb Jahre Vorbereitung
„Ich habe noch keine Schritte Richtung Klage unternommen“, sagt Kay Herrig.
Er ist Geschäftsführer des Blumenhauses Schamp in Berlin-Wilmersdorf. Auch
er wollte in Schönefeld eine zweite Filiale eröffnen. Herrig ist ruhig,
fast schon zu ruhig. Im Büro seiner Blumenhandlung sitzt er an einem
Glastisch. Der Blick kühl, die Stimme fest. Verärgert über die ständigen
Terminverzögerungen und die finanziellen Einbußen wirkt er nicht. Herrig
ist pragmatisch – und vor allem eins: geduldig. Vor sechs Jahren hat der
42-Jährige das Blumengeschäft übernommen, für das er bereits seit 1994
arbeitet. Wenn Herrig spricht, erwägt er jedes Wort genau, nimmt sich Zeit
für seine Sätze.
Das Bewerbungsverfahren für die Geschäfte am neuen Flughafen in Schönefeld
war streng. Auch Herrig musste sich einem Präqualifikationsverfahren
unterziehen. Zweieinhalb Jahre hat er sich damit beschäftigt. Er erstellt
einen Geschäftsplan, spricht mit der Bank, nimmt einen Kredit auf. Über die
Höhe des Kredits mag er nicht reden. Bis zuletzt hat er nicht daran
geglaubt, die Fläche von 96 Quadratmetern zugesprochen zu bekommen. Beim
zweiten Bewerbungsverfahren kamen immer noch zehn potenzielle Mieter auf
die Fläche. Dann erhält Herrig den Zuschlag und baut die Fläche aus, denn
dafür sind die Mieter selbst verantwortlich.
Die Vorgaben im Vertrag für die Einzelhändler sind strikt, die Zeiten
streng. Wer sich nicht daran hält, wird sanktioniert. Als die zweite
Terminverzögerung bekannt wird, ist Herrig mit seinem Ausbau schon durch.
„Was soll ich mich jetzt unnötig darüber aufregen?“, fragt er
achselzuckend.
## Keine Entschädigung
Am meisten tue es ihr um die fünf Mitarbeiterinnen leid, die sie für das
neue Geschäft in Schönefeld ausgewählt habe, sagt Spielzeughändlerin
Beatrice Posch. Eine Frau habe inzwischen einen Job in Aussicht, die
anderen vier sind arbeitslos. „Gerade wenn man so kleine Firmen in ein
solches Projekt holt, muss man sich doch um sie besonders kümmern“, sagt
Posch. Kay Herrig versucht, die neuen Mitarbeiter zu halten und sie
stundenweise in seinem Laden in Wilmersdorf zu beschäftigen. „Es gibt doch
eine moralische Verpflichtung,“ sagt er.
Der Sprecher der Flughafengesellschaft betont immer wieder, dass sie nach
Lösungen für die Probleme der Schönefelder Händler suche. Finanzieller
Natur könnten sie aber nicht sein. Ob alle dabeibleiben, ob ein Geschäft
die Pleite droht, das will der Sprecher der Flughafengesellschaft, Ralf
Kunkel, nicht prophezeien. „Man ist weiterhin im Gespräch mit den
Unternehmern“, sagt er. Mitte Oktober habe es erneut ein Treffen mit der
Flughafengesellschaft gegeben. Herausgekommen sei dabei nichts, berichtet
die Spielzeughändlerin Beatrice Posch. Weiterhin wollten die
Flughafenbetreiber keine finanziellen Mittel zur Verfügung stellen.
„Aber jeder Tag ohne Umsätze am Flughafen kostet uns weiteres Geld“, sagt
Posch. Sie stört vor allem, dass man von den Gewerbetreibenden in
Schönefeld Entgegenkommen erwarte – aber umgekehrt kaum etwas geschehe. Das
gilt gerade für die Politik, von der sich Posch im Stich gelassen fühlt.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ist zugleich auch
Vorsitzender des Aufsichtsrates der Flughafengesellschaft. Viele sehen in
ihm einen der Hauptverantwortlichen für das Chaos in Schönefeld. „Wowereit
hat schnelle und unkomplizierte Hilfe für die Händler angekündigt“, sagt
Beatrice Posch. „Doch passiert ist seitdem nichts.“
Den Vorwurf, Wowereit sei nur zweimal auf der Baustelle gewesen, findet
Blumenhändler Herrig hingegen absurd. „Er ist Politiker, kein Bauleiter
oder Architekt. Was soll er auch da? Das ist nicht die Funktion eines
Aufsichtsrates.“ Der 42-Jährige versucht, das Beste aus der Situation zu
machen.
Nicht alle Händler verzichten auf eine Klage. Der Rechtsanwalt Andreas Damm
vertritt mehrere Schönefelder Händler und hält eine gütliche Einigung über
Schadenersatz durch die Flughafengesellschaft für möglich. „Mit dem neuen
Eröffnungstermin wurden die Gespräche wieder aufgenommen“, sagt Damm.
„Allerdings sehe ich Konfliktpotenzial, wenn die Flughafengesellschaft
dabei bleibt, kein Geld zu geben.“ Auch einen Liquiditätsfonds, wie ihn die
Grünen ins Spiel gebracht haben, hält der Berliner Rechtsanwalt für
vernünftig. „Mit solchen Hilfen würden die Händler flüssig bleiben.“
## Nachbesserungsarbeiten
Spielzeughändlerin Posch hält trotz allem an dem neuen Laden am Flughafen
fest. „So einen Standort gibt man nicht einfach auf.“ Gleichzeitig
befürchtet sie, dass bald schon wieder das Bauen beginnt. „Es kann sein,
dass da Nachbesserungsarbeiten für den Brandschutz und die
Sicherheitstechnik anstehen.“ Ihr würden so erneut enorme Kosten entstehen.
Dass man in manche Läden noch mal reinmüsse, um neue Leitungen einzuziehen,
hat Horst Amann bereits bestätigt. Seit dem 1. August ist er der neue
technische Geschäftsführer in Schönefeld. Die Flughafengesellschaft sagt,
dass der Großteil der Bauarbeiten abgeschlossen ist, doch die
Brandschutzanlage und die Computerprogramme am Airport müssten noch
fertiggestellt werden.
Am Oranienburger Tor, vor dem Eingang zu Beatrice Poschs Spielzeuggeschäft,
steht ein kleines Gestell. Die T-Shirts und Stofftaschen schaukeln im
Herbstwind. Der Jutebeutel ist auf 9,90 Euro heruntergesetzt. „Ich schmeiß
hin und werd Prinzessin“ steht darauf.
5 Nov 2012
## AUTOREN
E. Ippolito
J. Kulms
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Mittelstand
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Schwarz
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