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# taz.de -- „Warrior Writers“: Nicht eure Helden
> Autoren des Krieges: In einem Schreibworkshop in Philadelphia lernen
> US-Veteranen, ihre Kriegstraumata in Worte zu fassen.
Bild: Ein Drittel aller Heimkehrer aus Afghanistan und Irak werden später unte…
PHILADELPHIA taz | Die enge Holztreppe in dem Haus in Westphiladelphia
knarzt unter jedem Schritt. Im Erkerraum im ersten Stock sind fünf
ungleiche Tische aneinandergeschoben. Darauf liegen Papier und Stifte sowie
ein paar Handys. Rundherum sitzen Männer und Frauen. Alte und junge.
Schwarze und Weiße. Jeder schleppt einen Krieg mit sich herum. Manche auch
zwei.
An offenen Fronten kämpfen sie schon lange nicht mehr. Sie haben Uniform
und Schusswaffen abgelegt. Sind ins zivile Leben zurückgekehrt. Sind
Veteranen geworden. In ihrem Inneren aber wütet der Schlachtenlärm weiter.
Der Krebs in meinem Traum, so nennt Erik das in dem ersten Gedicht, das er
an diesem Morgen verfasst. Er ist 28 Jahre alt. Er hat ein verschmitztes
Lächeln über einem rundlich weichen Körper.
Von einem Rekrutierer, der in seine Schule kam, hat sich Erik um den Finger
wickeln lassen: „Er sagte exakt die Dinge, die ein 18-Jähriger auf der
Suche nach Männlichkeit hören will.“ Im Krieg hat er Fahrzeuge an
Checkpoints kontrolliert.
„Oh Mann“, reagiert Earl vom anderen Tischende auf Eriks Gedicht, „ich ka…
das verdammt gut nachvollziehen.“ Earl ist ein hagerer Veteran im
Rentenalter, der aus dem Kalten Krieg kommt. An diesem Morgen schreibt er
ein Gedicht an seine tote Mutter: Ich vermisse dich. Ich vermisse dein
Gebäck. Ich vermisse deine Stimme.
Nachdem Earl vorgelesen hat, hält es ihn nicht mehr auf dem Stuhl. Lovella
Calica schlägt vor, dass er in den Raum gegenüber geht. Dort sitzen die
Therapeuten, die den dreitägigen Workshop begleiten. Earl könnte sich eine
Reiki-Behandlung geben lassen, oder eine Massage. Oder ein Gespräch führen.
„Unsere Arbeit hier ist sehr hart“, hat die junge Frau in der
Eröffnungsrunde gesagt: „Wir werden viel neue Kraft finden. Aber wir werden
uns zugleich erschöpfen.“
[1][„Warrior Writers“] nennen sie sich – Krieger-Autoren. Die 30 Leute, d…
sich an diesem Wochenende im Herbst treffen, kämpfen mit Kreativität gegen
ihr Trauma. Sie schreiben Gedichte und Erzählungen. Lovella Calica
moderiert den Workshop.
Sie ist die Einzige im Raum, die nie beim Militär war. Ihr Freund ist
Veteran. Aus ihrer Familie waren viele in der Armee. Sie selbst schreibt.
Das hat sie 2007 auf die Idee gebracht, die Vereinigung „Warrior Writers“
zu gründen. „Bringt euer Bestes an diesen Tisch. Und stellt euch als
Künstler vor“, fordert sie die Umsitzenden auf. Und erinnert an eine
Grundregel: „Respektiert die Arbeit der anderen. Urteilt nicht.“
## Aus dem Schweigen ausbrechen
Lovella Calica ist Kriegsgegnerin. Aber darum, sagt sie, „geht es hier
nicht“. Sie ermuntert Veteranen, aus dem Schweigen auszubrechen. Ihre Worte
zu finden. „Das Ziel“, erklärt sie, „ist Heilung.“ Sie organisiert
Workshops, unterstützt Veteranen bei Alltagsproblemen und veröffentlicht
Anthologien mit Texten von zurückgekehrten Soldaten. Die neueste trägt den
Titel: „After Action Review“ – Manöverkritik.
„Wir sind nicht Eure Helden“, hat die Irak-Veteranin Jennifer Pacanowski
eines ihrer früheren Gedichte genannt: Wir sind die Last der Gesellschaft /
Alkoholiker / Drogenabhängige / Kiffer / Krüppel / Wir schlagen Euch unsere
Wahrheit über diesen nutzlosen Krieg ins Gesicht / Wir haben gekämpft /
Damit Ihr die Freiheit habt, uns zu beurteilen / Ich wünschte, ich wäre nie
zurückgekommen.
Jennifer Pacanowski ist im roten Minikleid gekommen. Sie lacht viel und
laut. Und erzählt von ihrem „netten neuen Freund“, der an diesem Wochenende
auf ihre Hunde aufpasst.
## Mit Schulden n die Armee
Sie hat sich als Sanitäterin freiwillig bei der Armee gemeldet, nachdem
George W. Bush im Mai 2003 auf einem Flugzeugträger der USA seine berühmte
„Mission Accomplished“-Rede gehalten hat. Darin erklärte der Präsident die
Kampfhandlungen im Irak für im Wesentlichen beendet.
Damals ist Jennifer Pacanowski hoch verschuldet und kommt mit ihrer
Ausbildung nicht voran. Sie glaubt, der Krieg wäre vorbei. Und sie könnte
den Leuten im Irak helfen. Ihr Vater – ein ehemaliger Marine – unterstützt
ihre Entscheidung. Er hofft, dass seine Tochter von der „G.I. Bill“
profitiert – dem Gesetz, das Soldaten die Finanzierung einer
Berufsausbildung zusichert.
Als sie ihre Entscheidung bereut, ist es zu spät. Sie ist in der Wüste und
begleitet als Sanitäterin Konvois, die in Schlachten fahren. Um sie herum
sterben Soldaten und Zivilisten, Erwachsene und Kinder. Die junge Frau
kommt zwei Jahre später mit Hörschaden und schwerem Trauma zurück, nimmt
Drogen und sucht „eine Methode“, sich das Leben zu nehmen.
Die Wende kommt, als sie einen Workshop der „Warrior Writers“ besucht. Sie
entdeckt ein neues Zuhause. Einen geschützten Raum, in dem sie sich nicht
erklären muss. Und in dem sie die Dinge aus ihrem Kopf aufs Papier bringen
kann. Sie ist 32, bekommt eine Invalidenrente des Militärs. Und hat immer
noch Schulden. Aber von ihren Selbstmordabsichten spricht sie nun in der
Vergangenheit.
## Dialog mit Eselin Conchita
Ab und zu schleicht ein Mann, der auf der 800-Seelen-Insel Hoonah vor
Alaskas Küste aufgewachsen ist, in den Erkerraum. Auch Anthony Gonzalez
schreibt. Aber vorerst zeigt er seine Texte nur Lovella Calica. Nicht der
ganzen Gruppe. Sich selbst, nach seiner Rückkehr aus dem Irakkrieg,
beschreibt er als „eine andere Person“. Er sieht jünger aus als seine 30
Jahre. Pirscht sich langsam an jedes Wort heran.
Und spricht es flüsternd aus. Sagt, dass er jetzt schneller wütend wird.
Dass er Menschenmengen nicht mehr erträgt. Und dass kein Mädchen länger bei
ihm bleibt. Aber an die Minenexplosion, die sein Hirn verletzt hat, kann er
sich nicht erinnern. Der Ort? Schulterzucken. Das Datum? „Wir haben da
keine Kalender.“ Danach tat er weiter seinen Dienst. Erst Monate später,
bereits in den USA, wird klar, dass er Schaden genommen hat.
Der Erkerraum schwirrt vor Geschichten. Niemand muss lange überlegen.
Niemand ziert sich, die eigenen Texte vorzulesen. Nicht alle Veteranen am
Tisch sehen sich als Opfer. Kevin Basl, der wegen des Soldatenmangels
zweimal in den Irak geschickt wurde, meint von sich, dass er einen „guten
Deal“ gemacht hat. Weil er „in einem Stück“ zurückgekommen ist. Und wei…
jetzt „eine Geschichte“ hat: Er schreibt gerade einen Roman über einen
Whistleblower im Irakkrieg.
## Gefängnis oder Armee
Als Student hat Kevin Basl wegen „Partys, Alkohol etc.“ Probleme mit der
Justiz bekommen. Sein Land befindet sich im Kriegstaumel. Er ist 20. Und er
steht vor der Alternative: Gefängnis oder Armee. Zehn Jahre danach trennt
er die 28 Monate im Krieg und seinen Alltag als Lehrer in einem College
sorgfältig voneinander. Viele seiner Kollegen wissen nicht, dass er ein
Veteran ist. An dem Tisch in Philadelphia steht der Krieg im Vordergrund.
In seinem ersten Gedicht an diesem Tag beschreibt er einen Kameraden auf
Fronturlaub: Du säufst deine Tage weg / Du schiebst die Verantwortung auf
die Dämonen im Irak und auf Deine vaterlose Kindheit.
Ganz anders Everett Cox. Er schreibt an diesem Morgen an einem neuen
Kapitel der Erzählungen, an denen er seit 32 Jahren arbeitet. Ich habe
meiner „Warrior Writers“-Gruppe heute von Dir erzählt, liest er vor. Er
bedankt sich bei der Eselin Conchita, dass sie ihm das Leben gerettet hat –
damals in der Scheune: Ich wollte einfach nicht, dass Du über meinem Rücken
baumelst, antwortet Conchita. Sie kichert. Dann fällt sie in Schluchzen.
Der 65-jährige Everett Cox mit den zum Zopf gebundenen silbrigen Haaren ist
einer der Ältesten an dem Tisch. Er hat vier Jahrzehnte Einsamkeit hinter
sich. Ein Schweigen aus „Schuld und Scham und Reue“. Ihm ist anzusehen,
dass er ein Leben auf der Hut geführt hat.
Als er 1969 zum Vietnamkrieg eingezogen wird, sagt ein afroamerikanischer
Schulfreund: „Du weißt, dass das falsch ist.“ Doch der damals 18-jährige
Everett Cox flieht nicht nach Kanada, geht auch nicht als
Kriegsdienstverweigerer ins Gefängnis. Er verpflichtet sich für ein
zusätzliches drittes Dienstjahr.
## Cox trinkt, bricht alles ab
Als er aus Vietnam, wo er Kameras in Kriegsflugzeuge installiert hat,
zurückkommt, werden Veteranen wie er „Babykiller“ gerufen. Das hat
wehgetan. Aber zugleich sagt Everett Cox: „Ich wusste, dass ich ein
Feigling war. Ich verdiente es nicht, zu leben.“ Er trinkt. Er bricht alles
ab, was er beginnt. Er versucht, sich umzubringen. Aber er spricht nicht.
Seinem Sohn droht er: „Wenn du je in die Nähe einer Rekrutierungsstelle
gehst, entführe ich dich.“ Als die USA die Invasion in den Irak
vorbereiten, nimmt er seinen Sohn mit auf Antikriegsdemonstrationen.
Erst seit zwei Jahren spricht Everett Cox darüber, dass er ein Veteran ist.
Seine Dialoge mit Conchita hat er zuvor kaum jemandem gezeigt. An diesem
Samstag verstummen selbst die Atemgeräusche, während er vorliest.
Anschließend meint eine Teilnehmerin: „Daraus solltest du ein Buch machen.“
Für Cox, der bis heute an posttraumatischem Stress leidet, ist der Workshop
harte Arbeit. „Der Entschluss, dahin zu fahren; zu schreiben und
vorzulesen, all das hat mir Angst gemacht“, sagt er, „aber ich muss es tun.
Sonst kontrolliert die Angst mein Leben.“
20 Nov 2012
## LINKS
[1] http://www.warriorwriters.org
## AUTOREN
Dorothea Hahn
Dorothea Hahn
## TAGS
US-Army
Veteranen
Selbstmord
Irakkrieg
USA
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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