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# taz.de -- 15. Geburtstag von Label Constellation: Es geht um die Sache
> Das kanadische Indie-Label Constellation feiert den 15. Geburtstag in
> Leipzig. Es lebt vor, wie Do-it-Yourself heute noch funktioniert.
Bild: Band Evangelista beim Jubiläumskonzert in Leipzig.
Von wegen, Musikbusiness ist ein Arschloch. Bei der Geburtstagsfeier des
kanadischen Labels Constellation Records stellt sich das ganz anders dar.
Dass das Label aus Montreal, das man getrost als antikapitalistisch
bezeichnen darf, überhaupt 15 Jahre bestehen konnte, ist schon allein ein
Grund zu feiern. Und so haben sich die Musiker mit einer Europatour
beschenkt, deren Highlight ein Festival mit allen Künstlern im Leipziger
„UT Connewitz“ ist.
Das alte Lichtspieltheater lieferte mit seinem morbiden Charme und den
hohen Wänden, von denen der Putz abfällt, schon oft den passenden Rahmen
für Auftritte von Constellation-Bands wie Evangelista, Godspeed You! Black
Emperor, oder Do Make Say Think. Auch beim Veranstaltungsort ist das
Geldverdienen nicht einziger Lebensinhalt, Tresenkräfte und Kassenwarte
arbeiten ehrenamtlich, es geht vor allem um die Sache.
Die Sache ist diesmal ein großes Hallo zwischen Freunden. Ein paar
Leipziger haben anlässlich des Geburtstags ihres Lieblingslabels ein Buch
herausgebracht. „Das ist unser Geburtstagsständchen“, erklärt Jörg
Nicolaus, Mitherausgeber von „Constellation – Mythen, Schemen und neue
Fiktionen“. Ein Buch von Fans für Fans, ganz im Stile der
Constellation-Alben liebevoll illustriert und eigenhändig gebunden.
Innen finden sich Abhandlungen über die Geschichte des Labels, über
Motivation und Selbstverständnis in Zeiten, in denen Begriffe wie D.i.Y.
längst ihrer Bedeutung beraubt scheinen. Darauf angesprochen, dass
Indie-Labels inzwischen oftmals eng mit den Majors zusammenarbeiten,
erklärt Constellation-Gründer Ian Ilavsky in einem im Buch veröffentlichten
Interview: „Das Etikett ’Indie‘ ist bedeutungslos, es sei denn als
Lifestyle-Markenbezeichnung.“ Auch wenn Ilavsky zugibt, dass sich auch
Constellation nicht außerhalb von kapitalistischen Strukturen bewegen kann,
orientiert er sich vor allem an Grundsätzen, „laut denen das Erwirtschaften
von Gewinnen und ökonomisches Wachstum so ziemlich an letzter Stelle
stehen“.
## Schöne Aufmachung
Die künstlerischen Prioritäten sind bei den Konzerten der
Constellation-Bands zu erleben: Zusammenhalt, Unabhängigkeit, Schönheit
sind die Maxime. So steht die Free-Jazz-Saxofonistin Matana Roberts allein
mit ihrem Instrument auf der Bühne und fordert das Publikum auf, die
Melodie einfach als Backgroundchor mitzusummen – was hier alles andere als
Peinlichkeit hervorruft. Später wird sie selbst bei den Auftritten anderer
Bands unterstützend einsteigen.
Laut eigenen Aussagen werden die Bands nie über Demos gefunden, sondern
über Live-Auftritte und persönliche Kontakte. Auch wenn weltweit meist nur
2.000 bis 3.000 Exemplare der Alben verkauft werden, gelang es bislang
immer, den Musikern Tantiemen zu zahlen. Ohne Marketing. „Künstler sollten
nicht ausgebeutet werden“, erklärt Ilavsky. Wenn sich der Labelchef bei
seinen Künstlern respektvoll bedankt, glaubt man ihm aufs Wort.
Trotz unterschiedlicher Stile von Postrock, über Folk bis Jazz scheint all
die Bands doch etwas zu einen. Viel mehr als die gemeinsame Heimatstadt
Montreal oder der größtenteils jüdische Hintergrund der Musiker, wie ihn
Jonas Engelmann in „This Is Our Punk Rock“ vorzüglich beschreibt, ist es
eine selbst gewählte Außenseiterposition: „Die Frage ist nicht mehr jene
nach Tradition oder Bruch, Punk oder Klezmer, Diaspora oder Zusammenschluss
im Kollektiv, sondern vielmehr, wie all dies von den Musikern
zusammengedacht wird.“
## Politik und Ästhetik
Und schon steckt man wieder im Diskurs über Politik und Ästhetik, der in
dem Buch sehr intensiv geführt wird. Am Ende siegt die Liebe zur Musik, die
im Falle von Do Make Say Think und Thee Silver Mount Zion oft mit dem
Begriff Kopfkino beschrieben wird. „Tatsächlich inspirieren einen die
Songs“, meint Nicolaus. Das zeigen die „Neuen Fiktionen“ am Ende des Buch…
Dabei handelt es sich um Kurzgeschichten, Gedankensplitter und Anekdoten,
die schildern, woran Hörer bei Songs von God Speed You! Black Emperor
denken.
An den Tod einer alten Freundin etwa, den seltsamen Stammgast in der
Lieblingskneipe oder das Verlieren des eigenen Verstands. „Wir wollten mit
diesem Buch etwas zurückgeben“, erklärt Nicolaus. Die Sängerin der
Constellation-Band Elfin Saddle zeigt sich gerührt. „Ich bin froh, in
Leipzig aufzutreten. Das wird doppelt schwer, einen melancholischen Song zu
spielen“, kündigt sie auf der Bühne an. „Zum Glück ist der Text in
Japanisch und ihr werdet ihn nicht verstehen.“ Die Melancholie kann noch
kurz warten.
## Jörg Nicolaus, Tobias Schurig, Andreas Kohl (Hg.): "Constellation -
Mythen, Schemen und neue Fiktionen". A.VERSE Publishing, Berlin 2012, 116
Seiten, 10 Euro
30 Nov 2012
## AUTOREN
Juliane Streich
## TAGS
Leipzig
Indie
Chicago
Musik
Schwerpunkt Urheberrecht
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