| # taz.de -- DAS MONTAGSINTERVIEW: "Die Stille war eine Offenbarung" | |
| > Die Berliner Künstlerin Gudrun Gut hat sich in der Abgeschiedenheit der | |
| > Uckermark zu ihrer neuen Platte inspirieren lassen. | |
| Bild: "Im Clubleben kommt man als Mensch nicht vor": Gudrun Gut. | |
| taz: Frau Gut, lesen Sie das Magazin Landlust? | |
| Gudrun Gut: Ja, das tue ich. | |
| Tatsächlich? | |
| Nicht regelmäßig, aber ich habe die schon ein paar Mal gekauft. | |
| Ist Ihr neues Album „Wildlife“ dort schon besprochen worden? | |
| Nein. Aber wenn, dann fände ich das nur gerecht. | |
| Thematisch würde das jedenfalls passen: „Wildlife“ erzählt musikalisch von | |
| ihrem Landleben in der Uckermark. | |
| Das auch, aber vor allem erzählt es von meiner neuen Lust auf Musik, die | |
| durch die Stille auf dem Land geweckt wurde. | |
| Klingt etwas unlogisch. | |
| Ist es aber nicht. Was da draußen mit Abstand am interessantesten ist, ist | |
| ja die Stille. Die dann wieder durch irgendwelche Traktoren brutalst | |
| zerstört wird. Im Hochsommer ist es mitunter extrem laut, gerade nachts, | |
| weil die Erntemaschinen auch im Dunkeln unterwegs sind. Aber es gibt immer | |
| wieder Momente der vollkommenen Stille – im Gegensatz zu Berlin. Diese | |
| Stille war für mich, die ich lange Jahre eine überzeugte Städterin war, | |
| fast wie eine Offenbarung. Jedes Mal, wenn ich da rausfahre, müssen sich | |
| meine Ohren wieder umstellen. Das ist zum Musikmachen natürlich toll. | |
| Und deshalb haben Sie das Mikrofon fleißig in die Natur gehalten. | |
| Nein, ich habe kaum Field Recordings gemacht. Das wäre mir zu simpel | |
| gewesen, die Vögel zwitschern zu lassen. Es ist schon vor allem | |
| elektronische Musik, wie ich sie immer gemacht habe. Aber nun handelt sie | |
| von der Lust aufs platte Land, die ich in den letzten Jahren in mir | |
| entdeckt habe. Eine sehr überraschende Lust, denn ich konnte dem Land | |
| früher wirklich absolut nichts abgewinnen. | |
| Obwohl Sie in der Lüneburger Heide aufgewachsen sind? | |
| Ja, schon, aber nicht richtig auf dem Land. Zwar schon auf dem Dorf, aber | |
| meine Mutter hat in einem Wohnblock gelebt. Meine Tante und meine Oma | |
| hatten zwar einen Garten, aber ich habe mich immer gefragt: Was machen die | |
| da bloß? Warum wuseln die da herum? Ich war nie der Naturtyp, sondern bin | |
| schnellstens nach Berlin abgehauen. Auch nach dem Mauerfall habe ich mich | |
| nicht – im Gegensatz zu allen anderen – zur Erkundung ins Umland | |
| aufgemacht. Ich war immer eher der Typ, dem die Balkonpflanzen eingegangen | |
| sind. Land war echt nicht mein Thema. | |
| Und jetzt wuseln Sie selbst durch ihren Garten, der auch auf dem Cover der | |
| CD zu sehen ist. | |
| Genau. Ich lerne die Namen der Bäume und baue mein eigenes Gemüse an. | |
| Wie kam’s? | |
| Das lag wohl an einer Kiefersperre. | |
| Klingt schmerzhaft. | |
| Es ist nicht so sehr schmerzhaft, aber dafür langwierig. Fast zwei Jahre | |
| lang hat es gedauert, bis es wieder gut war. Ich habe plötzlich den Mund | |
| nicht mehr aufgekriegt. Ich konnte zwar noch sprechen, aber nur noch mit | |
| dem Strohhalm essen. Ich habe Osteopathie und Massagen bekommen, und ganz | |
| langsam konnte ich den Mund dann immer ein Stückchen weiter aufmachen. | |
| Wahrscheinlich war ich einfach überarbeitet, emotional verspannt. Das war | |
| der Moment, in dem ich beschlossen habe, ich muss mehr Freude in mein Leben | |
| bekommen. So habe ich 2006 das Umland entdeckt. | |
| Etwas später als alle anderen. | |
| Allerdings. Ich war eine überzeugte Westberlinerin, und als die Mauer fiel, | |
| habe ich mich erst einmal darauf konzentriert, Ostberlin kennenzulernen und | |
| zu verstehen. Außerdem war ich beruflich ja ständig in der ganzen Welt | |
| unterwegs und kannte hier absurderweise gar nichts. Ich habe auch nichts | |
| vermisst. Aber als die Kiefersperre kam, habe ich gemerkt, dass Berlin zu | |
| anstrengend geworden war, dass sogar das Ausgehen Arbeit geworden war. Ich | |
| habe gemerkt, ich brauche etwas Eigenes, etwas anderes – auch zum | |
| Musikmachen, weil in Berlin immer die Arbeit für das Label, die nächste | |
| Radiosendung oder eben etwas anderes anlag. | |
| Dann sind Sie mit der Kiefersperre rausgefahren und haben sich umgeguckt? | |
| Nein, zuerst haben wir Immobilienanzeigen studiert … | |
| Sie und Ihr Lebensgefährte Thomas Fehlmann, der auch Musiker und DJ ist. | |
| Ja, und wir haben festgestellt: Da gibt es viel Leerstand, weil es keine | |
| Jobs gibt, und deshalb sind die Häuser gar nicht teuer. Und als wir vor | |
| diesem Haus in der Uckermark standen, haben wir sofort gewusst: Das ist es. | |
| Und das ist es jetzt ja auch. | |
| Was sucht eine Ikone der Berliner Avantgardemusik in der Einöde? | |
| Ich weiß es nicht genau. Ich musste raus, ich brauchte eine Veränderung. | |
| Ich weiß jedenfalls, dass ich da draußen ein Glücksgefühl spüre, das ich | |
| lange nicht mehr gespürt habe. Ich sitze da, gucke in meinen Garten, schaue | |
| in den Himmel und es geht mir gut. | |
| Und dieses Gefühl beschreiben Sie auf „Wildlife“. | |
| Ich habe es versucht. Ich wollte eintauchen in diese Schönheit, in dieses | |
| Glück, das ich da draußen finde. Aber mit allen Ecken und Kanten, denn auch | |
| da ist ja nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. | |
| Warum dann nicht ganz umziehen? Man kann sich die Arbeit ja problemlos | |
| mitnehmen. | |
| Ja, vor allem seit wir so super Internet haben. | |
| Ministerpräsident Platzeck hat endlich sein Versprechen eingelöst, | |
| Brandenburg mit schnellem Internet zu versorgen? | |
| Ich musste mich erst beschweren. Die Telekom wollte kein DSL zu uns legen, | |
| aber als ich bei der Gemeinde in Prenzlau angerufen habe, haben die mir | |
| versprochen, sich drum zu kümmern. Dann war ich gerade beim Mischen des | |
| Albums und wollte die Files nach Köln zum Mixen schicken, aber die | |
| Übertragung hätte selbst per Dropbox sieben Tage gedauert. Kann man sich | |
| das vorstellen? Aber plötzlich stand der Vodafone-Mann vor der Tür und | |
| sagte, er hätte da ein Angebot für mich, ein Funknetz. Über seine | |
| Demonstrationsleitung habe ich ich die Files dann innerhalb von zehn | |
| Minuten hochgeladen und gesagt: Ich kauf das. | |
| Warum wohnen Sie dann noch halb in Berlin? | |
| Weil ich immer mal wieder in Berlin sein muss für Termine. Aber wenn ich da | |
| draußen bin, dann hab ich kein Bedürfnis mehr nach Berlin. Im Rest der Welt | |
| wird man ja immer darauf angesprochen: Berlin ist so toll, so cool und so | |
| hip. Ich kann es nicht mehr hören. Ja, ich liebe Berlin immer noch, und es | |
| gibt viele Seiten an dieser Stadt, die ich noch entdecken muss. Aber das | |
| ist dann, ehrlich gesagt, eher der Botanische Garten, in dem ich noch nie | |
| war. Ich finde auf dem Land jetzt einfach mehr Lebensqualität. | |
| Was bedeutet das? | |
| Ich hatte schon länger das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wer ich überhaupt | |
| bin. Als wenn ich mich verloren hätte in der modernen Informationsflut. | |
| Auch im Clubleben kommt man als Mensch ja nicht wirklich vor, das ist ja | |
| weitestgehend Smalltalk, man baut keine wirklich engen Beziehungen auf. Auf | |
| dem Land kommt man durch ganz einfache Tätigkeiten wieder zu sich. Man ist | |
| allein in der Natur und kann sich so wiederfinden. Mir ist das jedenfalls | |
| ein Bedürfnis, und anderen offensichtlich auch, denn es gibt viele aus der | |
| Subkultur, die es da rauszieht. | |
| Wer hat denn noch ein Häuschen im Grünen? | |
| Barbara Morgenstern wohnt ganz in der Nähe, Daniel Meteo und T. | |
| Raumschmiere sind oft zum Wochenende da. Vor allem im Sommer ist es sehr | |
| lebendig. Es wird zusammen gekocht, die Kinder wuseln herum und die Männer | |
| hacken mit großer Begeisterung Holz. Die Jungs lieben das, ich habe keine | |
| Ahnung, wieso. | |
| Klingt sehr nach Hippie-Idylle. | |
| Es ist die totale Hippie-Idylle. In der Punk-Zeit war der Hippie natürlich | |
| unser großes Feindbild, aber die heutigen Hippies scheinen ganz in Ordnung | |
| zu sein. Vielleicht bin ich auch einfach toleranter geworden. Auf jeden | |
| Fall ist der soziale Austausch dort draußen viel intensiver als in Berlin. | |
| Worüber wird denn gesprochen, wenn die Berliner Elektroszene zusammen | |
| kocht? Geht es dann wieder nur um Musik? | |
| Ja (lacht). Wir haben schon überlegt, wir machen eine neue Fernsehsendung: | |
| „Das Club-Dinner“ mit gemeinsam Kochen, Musikhören und drüber Reden. | |
| Im Stück „Protecting My Wildlife“ singen Sie davon, wie es ist, ein Baum zu | |
| sein. Wird man auf dem Land automatisch esoterisch? | |
| Ich bin nicht esoterisch, kein bisschen. Ich mache kein Yoga, ich mache | |
| Gartenarbeit. Aber auf unserem Grundstück in der Uckermark steht eine | |
| Eiche, die ist so groß, dass es sieben Menschen braucht, um die umfassen zu | |
| können. Manchmal denke ich schon: Wie ist das wohl, so lange da zu stehen | |
| und das Leben zu betrachten? | |
| Sind Sie die Eiche der deutschen Musik-Szene? | |
| (lacht laut) Quatsch. Ich hoffe, ich war etwas beweglicher als eine Eiche. | |
| Sie waren, so scheint es jedenfalls, seit den 80er Jahren immer mittendrin, | |
| wenn sich in Deutschland musikalisch etwas getan hat. | |
| Ich hab mich auf jeden Fall nicht gelangweilt. Die 80er Jahre waren | |
| großartig, die Wendezeit war super, die 90er waren toll und auch die Nuller | |
| Jahre hatten was. Ich hatte tatsächlich 30 tolle Jahre. | |
| Viele haben die 80er Jahre in Westberlin ganz anders in Erinnerung, dunkel | |
| und depressiv. | |
| Das waren sie vielleicht auch. Aber für mich waren sie wahnsinnig | |
| aufregend. Ich hatte tausend verschiedene Bands, wir haben eine neue Musik | |
| erfunden, haben die ersten Konzerte gespielt, sind in New York aufgetreten. | |
| Das war der Moment, als Gudrun Gut beinahe ein Popstar geworden wäre. | |
| Aber eben nur beinahe. | |
| Was ist falsch mit Ihrer Band Malaria gelaufen? | |
| Wir haben uns aufgelöst (lacht). Wir waren durch, wir haben wahnsinnig viel | |
| live gespielt, wir konnten uns nicht mehr ertragen. Und wir waren total | |
| pleite, obwohl wir so erfolgreich waren. Wir haben nie Geld für „Kaltes | |
| klares Wasser“ gesehen, obwohl das ein Hit war und sogar in verschiedenen | |
| Länder lizensiert wurde. Aber so war das damals bei Indie-Labels: Eine | |
| Abrechnung gab es nicht. | |
| Eine tolle Zeit. | |
| Ich war auch nicht so wahnsinnig glücklich, aber das gehörte dazu. Der | |
| Weltuntergang stand ja täglich bevor und jeder Moment wurde gelebt. Es war | |
| eine dunkle Zeit, ja, eine Drogenhöhle, aber missen möchte ich die Zeit | |
| nicht. | |
| Immerhin können Sie sich noch daran erinnern – obwohl Sie dabei gewesen | |
| sind. | |
| (lacht). Ja, aber ich kann mich auch nur noch an einiges, nicht mehr an | |
| alles erinnern. Dann ist die Szene implodiert, auch wegen der Drogen, alle | |
| waren nur noch total negativ. Die Stimmung veränderte sich, es wurde immer | |
| machomäßiger, die Männer trugen plötzlich Cowboystiefel und -hüte. Ich habe | |
| mich als emanzipierte Frau nicht mehr wohlgefühlt und wollte zu der Zeit | |
| eigentlich weg. Aber dann fiel die Mauer. Da musste ich natürlich in Berlin | |
| bleiben, den Osten entdecken, die neue Clubszene, neue Musik, Techno, | |
| Tanzen, neue Leute. Alles war neu. | |
| Da waren Sie die Ausnahme. Die wenigsten ihrer alten Freunde haben diesen | |
| Schritt zur elektronischen Musik mitgemacht. | |
| Das war keine bewusste Abkehr, das hat sich für mich so ergeben. Ich war | |
| jemand, der vor allem nachts gelebt hat, und das Nachtleben hat sich eben | |
| verändert. Die Clubs waren die coolsten, die ich je gesehen hatte. Man | |
| kroch durch ein Loch im Boden und stand auf einer Tanzfläche. Aber ich habe | |
| das nie als Bruch empfunden. Ich war immer sehr in der Zeit, mich | |
| interessiert nun mal immer das, was gerade passiert. Aber ich finde, ich | |
| habe mich gar nicht so sehr verändert, sondern nur die Technik hat sich | |
| weiterentwickelt. Meine musikalische Entwicklung ist für mich eine | |
| logische: Wir haben ja schon Anfang der 80er mit Matador … | |
| Ihrer Band nach Malaria … | |
| … mit Matador haben wir schon angefangen, mit den ersten Computern wie dem | |
| Atari zu arbeiten. Das lag zum einen daran, dass Proberäume so teuer waren, | |
| und zum anderen, dass wir alle keine großen Instrumentalistinnen waren. Ich | |
| wollte immer eine Künstlerin sein, meinetwegen auch Musikerin, aber niemals | |
| eine Muckerin werden. | |
| Deshalb hängt Ihnen das Image der „Genialen Dilettantin“ an. Ist das nicht | |
| langsam eine Beleidigung? | |
| Manchmal nervt es schon ein bisschen, aber ich muss zugeben: Es ist ja so. | |
| Das musikalische Handwerk hat mich nie interessiert. Ich schreibe ja auch | |
| keine normalen Songs, so denke ich gar nicht. Ich suche Töne und Themen wie | |
| Bausteine, aus denen ich etwas baue. Und dann wird das tausendmal | |
| überarbeitet. Eigentlich wird es eingekocht. | |
| Wie Marmelade? | |
| (lacht) Ja, wie Marmelade. Damit es haltbar wird. | |
| 1 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Winkler | |
| Thomas Winkler | |
| ## TAGS | |
| Hebbel am Ufer | |
| Leipzig | |
| Schaubühne | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Berliner Musikerin Gudrun Gut: Vom Mut zur Freiheit | |
| In den 70ern dockte Gudrun Gut an den Underground der Mauerstadt Berlin an. | |
| Mit „Moment“ erscheint dieser Tage ihre aktuelles Album. | |
| 15. Geburtstag von Label Constellation: Es geht um die Sache | |
| Das kanadische Indie-Label Constellation feiert den 15. Geburtstag in | |
| Leipzig. Es lebt vor, wie Do-it-Yourself heute noch funktioniert. | |
| Musical „The Black Rider“: Der Teufel steckt im Whiskeyglas | |
| Friederike Heller und die Band Kante inszenieren „The Black Rider“ in der | |
| Schaubühne Berlin. Das Musical gerät etwas zu nostalgisch, hat aber | |
| Suchtpotenzial. |