# taz.de -- Kinder und Tablet-PCs: Flache neue Welt | |
> Viele Kleinkinder können schon routiniert Tablet-PCs bedienen. Das macht | |
> Eltern stolz und Pädagogen nachdenklich. | |
Bild: Laut einer Studie hatten 39 Prozent der Zweieinhalbjährigen schon mal ei… | |
Finn sitzt gebannt vor dem iPad seiner Eltern, während „Bob“, der | |
Zeichentrick-Baumeister, über den Bildschirm flimmert. Ganz fachmännisch | |
kann Finn das Gerät bedienen: Nachdem seine Mutter den Suchbegriff bei | |
YouTube eingegeben hat, wählt er die gewünschte Folge aus, drückt den | |
Play-Knopf und verstellt die Lautstärke. Finn ist zweieinhalb Jahre alt. | |
Der Fernseher interessiert Finn schon längst nicht mehr. Kann er doch auf | |
dem Tablet-PC sein eigenes Programm zusammenstellen. Begeistert nutzt er | |
Apps, mit denen er Tiergeräusche entsprechenden Bildern zuordnen oder | |
digitales Memory spielen kann. Mit alldem ist Finn kein Einzelfall: Laut | |
einer Studie der Kommunikationsagentur Common Sense hatten 39 Prozent | |
seiner Altersgenossen schon mal ein Mobilgerät in der Hand. | |
Mit zweieinhalb lernt man eigentlich gerade erst, mit Gabel und Löffel zu | |
essen. Das ist ein Alter, in dem man Schuhe mit Klettverschluss trägt, weil | |
man noch keine Schleife binden kann. Geschweige denn lesen und schreiben. | |
Aber das muss Finn zum Bedienen des iPads auch gar nicht können. Denn | |
anders als bei herkömmlichen Computern muss auf Tablet-PCs nichts mehr über | |
die Tastatur eingegeben werden – die Steuerung funktioniert über Bilder und | |
Icons, Wischen und Klicken. | |
Seit 2010 ist das iPad auf dem Markt und hat das Computer-Nutzungsverhalten | |
von Erwachsenen ziemlich durcheinandergerüttelt. Nun stellt sich mehr und | |
mehr heraus, dass die Geräte auch das Einstiegsalter ihrer Nutzer massiv | |
senken: Kaum sind die Kleinsten aus dem Krabbelalter raus, schon tauchen | |
sie in eine Welt ein, die bisher den Erwachsenen vorbehalten war. Oder | |
deren Erkundung zumindest erst nach der Einschulung startete. | |
## Unternehmen haben Kinder als neue Zielgruppe erkannt | |
Der Markt für Apps und Tablet-PC-Formate für Kinder ab dem Säuglingsalter | |
boomt. Im Appstore des Marktführers Apple findet man über 3.000 | |
Anwendungen, die speziell für Kinder entwickelt wurden, bei Google Play und | |
anderen Mitbewerbern sieht es nicht anders aus: Da können virtuelle | |
Gerichte gekocht werden, es gibt in Apps umgewandelte Brettspiele oder | |
Bilderbücher, die bei Berühren von Musikinstrumenten Klänge erzeugen. | |
Unternehmen haben Kinder als neue Zielgruppe erkannt und arbeiten daran, | |
sie frühzeitig an ihre Geräte zu binden. | |
„Vor allem ist Finn ein YouTube-Profi“, erzählt seine Mutter. „Er | |
unterscheidet schon zwischen verschiedenen Sprachen und wechselt zu einer | |
anderen Folge, wenn er ein englisches Video angeklickt hat.“ Andere Eltern | |
laden bei YouTube Videos hoch, in denen ihre Kinder im Krabbelalter gekonnt | |
mit digitalen Pinseln malen und auf der Suche nach der passenden App durch | |
das Menü navigieren. Diese Eltern nehmen die digitale Entwicklung ihrer | |
Kinder nicht einfach nur hin, sie sind stolz auf deren Fortschrittlichkeit. | |
Und wohl auch ein bisschen auf ihre eigene. | |
Die Medienpädagogin Kristin Langer sieht den Umgang von Kleinkindern mit | |
den Rechnern eher skeptisch. Langer berät als Mediencoach die unter anderem | |
vom Familienministerium geförderte Initiative „Schau hin“, die Empfehlungen | |
für den Umgang von Kindern mit elektronischen Medien entwickelt. „Tablets | |
haben im Kleinkindalter nichts zu suchen“, sagt sie. Der Umgang mit | |
elektronischen Medien sei für Kinder unter drei Jahren nicht | |
entwicklungsfördernd. | |
In diesem Alter sei es nämlich besonders wichtig, die reale Welt zu | |
erkunden und kognitive Grundfähigkeiten zu erlernen. Tablet-Computer | |
könnten zu dieser Entwicklung nur bedingt beitragen, und das auch erst, | |
wenn die Grundfähigkeiten erlernt sind und es darum geht, darauf | |
aufzubauen. | |
Schaut man Finn dabei zu, wie er einen Tablet-PC bedient, drängt sich die | |
Frage auf, ob ein Tablet nicht auch feinmotorische Fähigkeiten schult – in | |
einem Alter, in dem die Kinder mit Bauklötzen noch eher etwas grobmotorisch | |
umgehen. Schließlich gehört viel Präzision dazu, sich durch Apps zu | |
navigieren, mit den Fingern einzelne Elemente anzuklicken. Ist es nicht | |
etwas überzogen, diesen Geräten jeden pädagogischen Nutzen abzusprechen? | |
## Verstehen ohne schmecken | |
Einzelne Beispiele dafür gibt es, räumt Medienpädagogin Langer ein. | |
Digitales Memory etwa schule die Hand-Augen-Koordination und schärfe so die | |
Wahrnehmung des Kindes. Ob eine App sinnvoller ist als eine althergebrachte | |
Lernmethode, hängt in den Augen von Norbert Neuss, Professor für | |
Elementarbildung an der Universität Gießen, ganz davon ab, welche Fähigkeit | |
sie eigentlich fördern soll. | |
Gehe es dabei zum Beispiel um das Verstehen von Märchen oder Geschichten, | |
„muss ein Kind nicht tasten, riechen oder schmecken. Sehen und hören | |
reichen für das Verständnis aus“. So könne hier der Einsatz eines | |
Tablet-PCs durchaus sinnvoll sein. | |
Gerade weil die Geräte noch recht neu sind, dass auch Eltern selbst noch | |
Nutzungsroutinen entwickeln müssen, suchen viele von ihnen erst recht noch | |
die Antwort, wie der Nachwuchs mit Tablet-PCs umgehen soll. Welche App | |
taugt wirklich etwas? Und wie führt man die Kinder daran? | |
## Kinder wachsen in einer zunehmend digitalisierten Welt auf | |
Einerseits wissen Eltern, dass ihre Kinder in einer zunehmend | |
digitalisierten Welt aufwachsen. Einer, in der schon in Grundschulen am | |
Computer gearbeitet wird und sie die Eltern ständig an den Geräten | |
herumfuhrwerken sehen. Warum also nicht schon die Kleinen sanft an Technik | |
und Medium heranführen? | |
Gerade in Zeiten, in denen die technologische Entwicklung so schnell | |
voranschreite, finde sie es schwierig und vor allem falsch, sich dagegen zu | |
stellen, sagt etwa Finns Mutter. | |
Andererseits empfehlen Pädagogen eher konventionelle Spiele und Bücher. | |
Heißt also: Tablet PCs werden heute so verteufelt, wie einst das Fernsehen. | |
Apps seien nicht geeignet, um reale Kontakte zu Bezugspersonen zu ersetzen, | |
sagt Medienpädagogin Kristin Langer. Und dass es besser wäre, mit seinem | |
Kind in den Streichelzoo zu gehen, statt es elektronische Tiergeräusche auf | |
dem Tablet zuordnen zu lassen. Lernapps, sagt Langer, könnten dem Kind | |
nichts beibringen, was es nicht auf konventionelle Weise genauso gut oder | |
besser lernen könnte. | |
## Und wo ist der Aus-Knopf? | |
Die Kinder haben sich längst an die Geräte gewöhnt. Der zweieinhalbjährige | |
Finn etwa fragt mehrfach am Tag nach dem iPad. Seine Mutter spricht sogar | |
schon von einer „Sucht“. Morgens lässt er sich nur für den Kindergarten | |
anziehen, wenn er dabei eine Folge der Zeichentrickserie mit dem kleinen | |
Esel Trotro sehen kann. | |
Es sei gar nicht so leicht, „einen adäquaten Umgang mit dem Aus-Knopf zu | |
finden“, sagt seine Mutter. Sie versuche, das iPad bewusst zum Einsatz zu | |
bringen. Es auf „Not-Zeiten“ zu reduzieren – etwa wenn sie Finns kleinen | |
Bruder ins Bett bringe. Die Eltern der dreijährigen Marie sagen, bei ihnen | |
käme der Tablet-PC zum Einsatz, wenn Marie auf einer mehrstündigen | |
Autofahrt auf der Rückbank quengelt. | |
Missbrauchen Eltern also Tablets, um die Kinder ruhigzustellen? Als | |
Beschäftigungstherapie? Nicht wirklich. So gibt es zumindest Anzeichen | |
dafür, dass viele Eltern eine Balance zu finden scheinen – zwischen | |
Tablet-PCs auf der einen Seite und dem ganz analogen Kontakt zu ihren | |
Kindern auf der anderen. | |
Das belegt zum Beispiel auch eine Studie von Stiftung Lesen, Deutscher Bahn | |
AG und der Zeitung Zeit. Die führt zwar auf, dass bereits jede siebte | |
Familie mit Kindern zwischen zwei und acht Bilder- und Kinderbuch-Apps | |
nutzt. Die digitale Stimme ersetzt aber nicht das Vorlesen durch die | |
Eltern. Dessen sind sich auch die in der Studie befragten Eltern bewusst, | |
denn 90 Prozent sehen die Apps als Ergänzung und nicht als Ersatz für das | |
gedruckte Buch. Denn wenn Mama vorliest, ist das eben doch am schönsten. | |
11 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Anna Jikhareva | |
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