# taz.de -- Verkaufen auf dem Weihnachtsmarkt: Rechts, links, Schleife drum | |
> Schokolade verkaufen ist nicht romantisch. Vier taz-Redakteurinnen | |
> erzählen über ihre Erfahrungen als Verkäuferinnen im Weihnachtsgeschäft. | |
Bild: Der Weihnachtsmarkt ist für die Verkäufer nicht kuschelig-süß sondern… | |
Johnny Depp kam nicht. Die Affäre brachte Schnaps | |
Ich träumte mich auf Postkartenmotive in die Südsee, ich bildete mir ein, | |
ich würde schwitzen bei 35 Grad im Schatten, ich war beim dritten Glühwein, | |
hüpfte auf und ab, rieb mich an der Standheizung, bewegte Zehen und Finger. | |
Es half nichts. Mir war scheißkalt – es gibt kein lyrischeres Wort. | |
Das ist alles Johnnys Schuld!!, dachte ich. Und schämte mich. Hier stand | |
ich nun, bei minus 20 Grad in der Kälte Berlins in einer Holzbude und fror | |
so, wie ich noch nie zuvor in meinem Leben gefroren hatte. Nicht, als ich | |
mehrmals die Woche vor dem Bundestag stand, um die Touristen nach oben auf | |
die Kuppel zu begleiten. | |
Auch nicht, als ich an belebten Plätzen der Stadt Abos der Berliner Zeitung | |
verkaufte. Und erst recht nicht, als ich damals, im gefühlt noch kälteren | |
Polen, mit meiner Oma an der Hand an der Ostsee spazieren ging. Spätestens | |
jetzt – an diesem dritten Advent im Jahre 2009 – war mir klar: Schokolade | |
verkaufen ist nicht romantisch. | |
Ich war gefangen zwischen drei Wänden und einem Tisch mit | |
unterschiedlichsten Schokoladentafeln, Nikoläusen und Kakao – und spürte, | |
wie von Minute zu Minute die Kälte von meinen Füßen nach oben zog. Fünf | |
Stunden lagen noch vor mir. | |
Ich hatte mich entschieden, in einem Schokoladengeschäft zu arbeiten, als | |
ich „Chocolat“ gesehen hatte. Ich weiß. Peinlich. Aber die Vorstellung, | |
hinter einer Theke mit fein verzierten Pralinen und duftender | |
Bruchschokolade zu stehen: Das hatte was. So jobbte ich neben dem Studium | |
in einer alten Apotheke in Berlin-Schöneberg, die zum Schokoladengeschäft | |
umgebaut worden war, ganze eineinhalb Jahre ging alles gut. | |
Ich bin nicht naiv. Dass Johnny Depp hereinschneien würde, davon ging ich | |
nicht aus. Aber vielleicht einer, der nur ein bisschen war wie er? | |
Schließlich kamen zu uns auch Promis! Renate Künast zum Beispiel. Daraus | |
wurde nichts, denn in diesem Jahr wurde ich für die Weihnachtsmärkte | |
eingeteilt. | |
„Schau mal, Liebste, ich schenke dir mein Herz aus Schokolade. Was macht | |
das?“ – „60 Cent, bitte.“ Sie hielten sich umschlungen, er streckte sei… | |
Hand in meine Richtung, den Blick auf sie gerichtet. Ich nahm ihm die | |
Münzen ab. Sie gingen zum nächsten Stand, dem mit den glasierten Äpfeln, | |
den passenden Spruch hörte ich nicht mehr. Am Ende, zum Feierabend, kam die | |
Affäre. Sie brachte Schnaps. Mir wurde warm, er wurde mein Freund. Doch die | |
Sache zwischen uns endete übel. I blame Johnny. EMILIA SMECHOWSKI | |
„Würden Sie es mir einpacken?“ Ich knurrte | |
Vier Wochen lang habe ich jeden Tag, außer sonntags, Bücher in | |
Geschenkpapier eingeschlagen. Das ist 15 Jahre her, aber geben Sie mir ein | |
Buch samt Papier und binnen wenigen Sekunden kriegen sie es absolut | |
knitterfrei und maximal Papier sparend verpackt zurück. Ohne hingucken! | |
So richtig was werden kann man damit natürlich nicht, und richtig schlimm | |
ist, dass Bücher und Papier in Kombination seitdem zu einer Art pawlowschem | |
Reflex geworden sind. Sofort fängt zum Beispiel Chris Rea in meinem Kopf | |
an, „Driving home for Christmas“ zu singen. | |
Und direkt vor dem Thalia in Münsters Innenstadt stand der wohl lauteste | |
Obdachlosenzeitungsverkäufer der Stadt und bot die Draußen an. Mit zwei | |
immer gleichen Sätzen, in der immer gleichen Tonlage: „Kaufen Sie die | |
Draußen! Münsters Obdachlosenzeitung Draußen!“ – „Kaufen Sie die Drau�… | |
Münsters Obdachlosenzeitung Draußen!“ Und so weiter. | |
Driving home – Kaufen Sie die – for – Draußen! – Münsters Obdachlosen… | |
Driving home for Christmas – Zeitung Draußen – With a thousand – Kaufen … | |
die – Memories. Seitdem knülle ich Bücher manchmal maximal Papier | |
verschwendend in Altpapier, wenn ich sie verschenken will. Manchmal halten | |
Rea und der Zeitschriftenverkäufer dann die Klappe. | |
Meine Kommunikation mit den Kundenmassen wurde im Laufe der Zeit immer | |
knapper. Fing es an mit so etwas wie: „Soll ich es Ihnen als Geschenk | |
verpacken? Aber gern, danke, bitte“, kam ich nach zwei Wochen beim | |
wortlosen Buch-aus-der-Hand-Nehmen an. | |
Nach vier Wochen war es nur noch ein stilles Knurren, wenn der 100. Kunde | |
des Tages sagte: „Würden Sie es mir als Geschenk einpacken? In Rosa bitte, | |
ist für meine Nichte, hihi, wissen Sie, Rosa.“ Wau! „Wir haben Rot oder | |
Blau.“ – „Waaas? Kein Rosa!“ Und dann: „Oh, das Schleifenband sollte … | |
schon etwas kringeliger sein.“ Oder aber: „Oh nein, Sie kräuseln ja das | |
Schleifenband!“ | |
Manchmal gab es ein paar Minuten Leerlauf, meist so gegen 14 Uhr, wieso | |
genau dann, weiß ich auch nicht. Und einmal habe ich mich dann mit der | |
Hüfte gegen die Theke gelehnt und mich mit meiner Kollegin an der Kasse | |
unterhalten – bis mein Chef vorbeikam: „Frau Kreutzträger, nun stehen Sie | |
nicht da wie hingeflossen.“ | |
Vermutlich habe ich Wau! gesagt oder geknurrt, keine Ahnung, jedenfalls | |
musste ich zur Strafe kopieren gehen. Immerhin konnte man in dem Kopierraum | |
ohne Fenster und bei geschlossener Tür weder Christmas-Rea noch | |
Draußen-Verkäufer hören. Meistgehörter Spruch: Sie haben in der | |
Weihnachtszeit auch Ihr Kreuz zu tragen, was, Frau Kreutzträger? ILKA | |
KREUTZTRÄGER | |
Ich, der Verpackungsengel. Die Herren freuten sich über mich | |
Es war gegen Ende meines Studiums. Über eine Agentur wurde ich in einem | |
großen Kaufhaus eingesetzt: Uhren- und Schmuckabteilung. Adventszeit. | |
Geschenke-Einpack-Service. Kann man besser in Weihnachtsstimmung kommen? | |
Ich tauchte in eine völlig neue Welt ein. Auf der einen Seite die festen | |
Mitarbeiter des Kaufhauses. | |
Sie beäugten uns „Freie“ kritisch, arbeiteten wir doch zu einem höheren | |
Stundensatz als sie und sahen die Arbeit nur als lästigen Job, der bald | |
vorüber sein würde. Bei selbst gebackenen Plätzchen während kurzer | |
Pausenpläuschchen kamen wir uns dennoch näher. | |
Alsbald war ich mittendrin, wenn sehnsüchtig Wünsche geäußert wurden (viele | |
VerkäuferInnen verzehrten sich geradezu nach den eigenen Produkten oder | |
denen der Nachbarauslagen), wenn über die eigenen Kinder getratscht wurde | |
(„Jetzt will sie noch studieren. Warum denn das? Brauchte ich doch auch | |
nicht.“) oder aufsässige Verhaltensweisen erklärt wurden („Ich habe es mit | |
dem Rücken. Hier stehe ich acht Stunden am Tag! Und dann wollen die mir | |
meine Crocs nicht erlauben. Da bin ich zum Betriebsrat gegangen!“). | |
Auf der anderen Seite die Kunden. Oft Herren. Jung, alt, jeglichen | |
Couleurs. Ein Geschenk für die Frau. Eine Uhr, ein Parfum, ein Element fürs | |
Pandora-Armband. Und an einem kleinen Klapptisch, umringt von Girlanden und | |
Bändern, Tütchen und Papieren, ich, der Verpackungsengel. Die Herren | |
freuten sich über mich. Ich verhalf ihnen zu einem perfekt eingepackten | |
Geschenk ohne Firmenlogo, sie konnten es als ihre eigene Arbeit ausgeben. | |
„Perfekt“ dauerte allerdings eine Weile. Nachdem ich anfangs mit viel | |
Tesafilm und schiefen Ecken hantierte, erklärte mir eine Kollegin, wie man | |
Fächer macht. Wahnsinn! Seitdem erkennt meine ganze Familie meine Geschenke | |
immer an den Fächern. Rechts, links, rechts, links, Schleife drum, | |
auffächern. | |
In der zweiten Woche hatte ich ein minikleines Loch in meiner blickdichten | |
schwarzen Strumpfhose. Nicht schlimm, dachte ich. Noch am Vormittag kam die | |
Abteilungsleiterin zu mir. Was mir denn passiert sei? Sie rate mir, in der | |
Strumpfabteilung eine neue Strumpfhose zu kaufen. | |
Ja, ich bekäme ihre Mitarbeiterkarte. Mindestens 60 DEN müssten es schon | |
sein. Die Strumpfhose habe ich noch heute. Sie will und will keine | |
Laufmasche entwickeln. Ich mag ihre Beständigkeit. NICOLA SCHWARZMAIER | |
Mayonnaise ist ein zähes Produkt. Sie erfordert Kraft | |
Ich habe schon sehr viel Zeit auf Weihnachtsmärkten verbracht: In der | |
Oberstufe jobbte ich zwei Jahre auf dem Markt in Herne, während des | |
Studiums auf dem am Kölner Dom. Beide Jobs waren durchaus bescheiden. In | |
Herne verkaufte ich holländische Fritten und Frikadellen, verkleidet in | |
eine holländische Tracht mit Spitzenhütchen. Ich habe schwarzes Haar und | |
dunklere Haut – es sah also irre authentisch aus. | |
Seitdem verbinde ich das wichtigste Fest der Christenheit mit Mayonnaise. | |
Vor welcher ich übrigens ziemlichen Respekt habe. Denn was viele nicht | |
wissen: Mayonnaise ist ein zähes Produkt, sie auf die Pommes zu drücken | |
erfordert Kraft. Leider essen 90 Prozent der Menschen ihre Fritten mit | |
Mayo, entsprechende Schulterschmerzen brachte mir der Job auch ein. | |
Ganz abgesehen von der Peinlichkeit, der man sich in solch einer Kleinstadt | |
aussetzt, in der jeder jeden kennt. In Köln verkaufte ich mexikanische | |
Burritos, genau gegenüber der Bühne. Während alte Damen ihre schiefen | |
Chorgesänge von sich gaben (Vorsicht! Tinnitusgefahr!), hantierte ich mit | |
roten Bohnen und wurde immer unfreundlicher. | |
Wenn einen ständig Menschen mit blinkenden Nikolausmützen und Glühweinatem | |
lallend reizen, wird man automatisch zu einem Menschenfeind. Eines haben | |
mich die beiden Jobs gelehrt: Niemals auf dem Weihnachtsmarkt essen! | |
Wirklich niemals! Es ist absolut unhygienisch, dreckig und versifft hinter | |
den Kulissen. CIGDEM AKYOL | |
22 Dec 2012 | |
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