| # taz.de -- Die Wahrheit: Bootcamp mit Bart | |
| > Eine zweite Chance für ältere Herren zu Weihnachten. | |
| Bild: Als die Weihnachtsmänner von der Agentur für Arbeit ins Lager geschickt… | |
| „Einsfünfundsiebzig … seit wann kann man Scheiße so hoch stapeln?!“, ha… | |
| es durch die unbeheizte Sporthalle. Es ist die Stimme von Drillinstructor | |
| Hartmut von Braun, der gerade einen grauhaarigen, dürren Mann anbrüllt. Die | |
| Szene erinnert an den bekannten Antikriegsfilm „Full Metal Jacket“, und | |
| doch findet sie an einem Ort statt, der beabsichtigt, die Welt ein wenig | |
| schöner zu machen – in einem Ausbildungscamp für Weihnachtsmänner. | |
| Hier, am Fuß des Teutoburger Waldes, in einem separaten Teil der | |
| Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf, wo normalerweise | |
| deutsche Bundeswehrsoldaten auf den umstrittenen Auslandseinsatz in | |
| Afghanistan vorbereitet werden, kümmert sich Sergeant von Braun in der | |
| Vorweihnachtszeit um von der Gesellschaft aussortierte Männer mit | |
| Rauschebart. Vor ihm stehen ausgebrannte Lehrer, langzeitarbeitslose | |
| Bürohengste, lebens- und arbeitsmüde Beamte. | |
| „Für viele von ihnen ist das hier die letzte Chance auf eine Kehrtwende in | |
| ihrem Leben“, weiß von Braun und fordert die Männer dazu auf, fünf | |
| Liegestütze zu machen. Nicht einer von ihnen schafft es. „Ich werde euch | |
| schinden, bis euch die Glocken in der Hose läuten! Bis euch das Nougat im | |
| Arsch kocht!“, brüllt von Braun und lächelt beseite. | |
| „Ich werde die besten der besten und die härtesten der harten | |
| Weihnachtsmänner aus euch machen, die diese gottverdammte Welt jemals | |
| gesehen hat“, kreischt von Braun den Männern ins Gesicht. Dafür hat ihm die | |
| Agentur für Arbeit auf ausdrücklichen Wunsch von Bundesministerin Ursula | |
| von der Leyen zwei Dutzend aussortierter Herren jenseits der fünfzig zur | |
| Verfügung gestellt. „Es ist ihr erster Tag, da hole ich gern mal die Rute | |
| raus“, verrät von Braun hinter vorgehaltener Hand. | |
| Zwei Wochen werden die angehenden Weihnachtsmänner zusammen mit ihm | |
| verbringen. Sie werden wenig schlafen und viel schwitzen. Er wird ihren | |
| Muskeln Schmerzen zufügen und den letzten Tropfen Altmännerschweiß aus | |
| ihren verkalkten Poren herauspressen. Aber auch Nähen, Geschenkeverpacken | |
| und Bartpflege stehen auf dem Programm. | |
| „Der Job als Weihnachtsmann ist ein ehrenhafter“, bellt von Braun in | |
| strengem Ton und schreitet vor den in Reih und Glied stehenden Männern auf | |
| und ab. „Wenn ihr hier wieder rauskommt, werdet ihr fit genug sein, um | |
| einen Schlitten voller Geschenke allein ziehen und verteidigen zu können.“ | |
| Rentiere sind laut von Braun nicht vorgesehen, die waren der Agentur für | |
| Arbeit zu teuer. | |
| Der Geruch ungewaschener Füße kriecht durch die Halle. Bis eben wusste | |
| keiner der Männer, was genau ihn in Augustdorf erwartet. Im | |
| Einladungsschreiben der Arbeitsagentur stand nur, dass sie an einer | |
| „mehrtägigen Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Wiedereingliederung | |
| im Rahmen des Weihnachtsgeschäfts“ teilzunehmen hätten. | |
| „Wenn die Agentur eure liebevolle Mutti ist, dann bin ich der knallharte | |
| Vater, der euch bierbäuchige Bastarde zu etwas Besserem machen will“, | |
| erklärt von Braun das Schreiben auf seine ganz eigene und sehr spezielle | |
| Art und Weise. „Wenn ihr vor Weihnachten in den beschissenen Kaufhäusern | |
| dieses Landes steht, dann müsst ihr stark sein. | |
| In den Konsumdschungeln warten nicht nur unfähige Eltern auf euch, nein, | |
| auch Kinder. Diese kleinen, verzogenen Monster nehmen keine Rücksicht mehr | |
| auf eure Gefühle, die haben nur noch eins im Sinn: Geschenke, Geschenke, | |
| Geschenke! Und genau das werdet ihr ihnen austreiben! Ist Weihnachten nicht | |
| viel mehr als nur Konsum und Schenken?“ | |
| Ein aufgeregtes Tuscheln ist die Antwort. „Ruhe!“, brüllt von Braun und | |
| erstickt den aufkommenden Unmut im Keim. „Von nun an redet ihr nur noch, | |
| wenn ihr angesprochen seid! Und das erste und das letzte Wort aus eurem | |
| dreckigen Maul wird ’Sir‘ sein, habt ihr Maden das verstanden …?“ Ein | |
| Entkommen gibt es für die Männer nicht. | |
| „Viele der Jungs lecken während ihrer Ausbildung Blut und heuern danach im | |
| Ausland als Söldner an. Dieser Drill gibt ihrem Leben einen neuen Sinn“, | |
| erläutert von Braun. „Wer sich an der Geschenkfront bewehrt hat, für den | |
| sind die Taliban ein Zuckerschlecken.“ Dann schließt sich die Tür der | |
| Sporthalle, und der Drill beginnt. | |
| Und tatsächlich, erste Ergebnisse der neuen Weiterbildung sind | |
| vielversprechend. Sogar Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat | |
| Gefallen gefunden an den etwas anderen Weihnachtsmännern. Deutschland, so | |
| de Maizière, wird schon lange nicht mehr am Hindukusch verteidigt, sondern | |
| an der vorweihnachtlichen Heimatgeschenkfront. Dank Hartmut von Braun und | |
| seinen Männern ist dieser blutige Kampf nicht mehr hoffnungslos. | |
| 17 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Stickling | |
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