# taz.de -- Fernfahrer in Europa: Mit dem Alex nach Italien | |
> Du Alex, was ist eigentlich so toll an Trucks? Ein Truck, das ist halt | |
> ’ne Darstellung, sagt er. Und kann er ein Zuhause sein? Unsere Reporterin | |
> ist mitgefahren. | |
Bild: Plusgrade, Lugano, Milano geradeaus: Italien am Nachmittag. | |
Es wird so sein, als fahre er uns durch die Jahreszeiten. Vom Winter in den | |
Herbst und vom Herbst dann in den Winter. | |
Straubenhardt in Baden-Württemberg, der Alex steigt jetzt die drei Stufen | |
und zwei Meter in den Truck, grün, weiß, rot, Kennzeichen PF-W 1280, King | |
of the road steht außen über der Frontscheibe, Scania darunter, Spedition | |
Wehle an den Seiten, Int. Jumbotransporte, er nimmt seine Nikolausmütze ab. | |
Eine mit rotem Stoff und weißer Bommel, wie sie die Verkäuferinnen bei | |
Kamps und Douglas tragen, wenn sie Brezeln oder Chanel einpacken. | |
Coole Mütze, sage ich. | |
Vom Weihnachtsmarkt, sagt der Alex. | |
Ach?, frage ich. | |
Schon, sagt er. | |
Erstes Mal im Lkw?, fragt der Alex und fährt los, 40 Tonnen um sich, 16 | |
Räder unter sich, Zwillingsbereifung, einen Gliederzug hinter sich. | |
Schon, sage ich. | |
480 PS kann sein Wagen, im Schnitt verbraucht er 33 Liter auf hundert | |
Kilometern, ist aber lärmarm und schadstoffarm, immerhin, erzählt der Alex. | |
Der Alex heißt eigentlich Alexander Beisel und kommt aus der Nähe, aus | |
Höfen an der Enz, zwei Zimmer, Dachschräge, Laminat, geboren 1979, | |
Familienstand ledig. | |
Du Alex, was ist eigentlich so toll an Trucks?, frage ich. | |
Ein Truck, das ist halt ’ne Darstellung, sagt er. Mal sehen, was im Radio | |
läuft. | |
Er schaltet SWR3 ein, 99,6 UKW, eine Männerstimme kündigt den besten | |
Musikmix an. | |
Du siehst was Großes und denkst: Boah. | |
Der Alex denkt wieder über seine Faszination für Lkws nach, als sie auf | |
SWR3 Shakira spielen – gibt es die noch? | |
Der Papa hat damals gesagt: Mein Junior, der fährt mal Lastwagen. Schon bei | |
der Bundeswehr die zehn Monate, da hieß es immer: Der Alex, der fährt. | |
Wie fahren wir jetzt nach Italien, sag mal? | |
Der Alex kneift die Augen zusammen. Über der rechten Braue hat er eine | |
Narbe, länglich, tief, ein Unfall beim Tischtennis. Am Hals trägt er auch | |
eine, breit, tiefer, ein Tumor, fünfzehn Jahre her, gutartig außerdem. | |
## Brühl, Bellinzona | |
Mannheim, sagt er. Mannheim–Kreuz Hockenheim–Karlsruhe, dann kommt Rastatt, | |
Baden-Baden, Bühl, Freiburg, Basel, Rheinfelden, Luzern, der Gotthardtunnel | |
und dann das Tessin, Bellinzona, Lugano, Chiasso, dann Mailand, und dann | |
Carignano, das ist noch mal zwei Stunden von Mailand. | |
Und da wollen wir hin? | |
Da wollen wir hin. | |
Wir haben drei Traktoren hinten drauf, die sind von Antwerpen nach Mannheim | |
verschifft worden, dort hat sie der Alex eingeladen. Jetzt sollen sie, vier | |
Räder, zwei große, zwei kleinere, das Fahrzeug grün, mit gelbem Streifen, | |
zu John Deere nach Carignano, in die Nähe von Turin. | |
Wir sind erst in Bühl, der Alex spricht über seinen Führerschein, dass der | |
fast 4.000 Euro gekostet hat und er ihn, gelernter Maurer eigentlich, mit | |
26 gemacht hat, fünf Monate hat’s gedauert, das reicht, wenn du fleißig | |
bist, aber der B-Führerschein ist ja Voraussetzung, draußen regnet es im | |
Dunkeln, die Landschaft ist unsichtbar, 22 Uhr?, 23 Uhr?, und ich bin zu | |
müde, um ihn zu fragen, was ich ihn eigentlich fragen soll: Ist der Truck | |
dein Zuhause? | |
Die ersten Fahrstunden allein sind anstrengend, sagt der Alex, weißt, da | |
sind deine Augen überall, weil einfach die Routine fehlt. | |
Ich denke: Der Sitz ist so bequem. | |
Er sagt: Ist ein eigenartiges Gefühl, das erste Mal selber zu fahren. Da | |
ist zwar ein Mitarbeiter dabei, aber du kennst ja nix. Du denkst: Wo muss | |
ich morgen hin? | |
Irgendwie passt sich der Sitz der Körperform an. Wenn du nach links | |
rutschst, rutscht er mit. | |
Du musst Adressen suchen, aufs Auto gucken. Da wird dir schon viel | |
abverlangt. | |
Ich rutsche nach links. | |
Als ich aufwache, sagt der Alex, es ist Zeit zu schlafen. Er parkt in | |
Rheinfelden, am Grenzübergang zur Schweiz. Neun Stunden muss der Wagen | |
stehen, bevor er den Knopf am digitalen Fahrtenschreiber drücken darf und | |
seine Fahrerkarte aufzeichnet, wann es losgeht. Dann können wir weiter, für | |
viereinhalb Stunden. Spätestens nach viereinhalb Stunden muss es eine | |
fünfundvierzigminütige Pause geben. Das heißt: nicht richtig. Die | |
fünfundvierzig Minuten darf man auch splitten, in zuerst fünfzehn und dann | |
dreißig Minuten. Zweimal die Woche darf der Alex auch nicht nur neun, | |
sondern zehn Stunden fahren. Er muss dafür aber nicht neun Stunden, sondern | |
elf Stunden Nachtpause machen, Fahrpersonalgesetz, Bundesamt für | |
Güterverkehr. | |
## Erst mal Zähne putzen | |
Bring deine Zahnbürste mit, ruft der Alex, er ist aus dem Truck geklettert | |
und dreht einen Wasserhahn auf, der rechts unter der Plane aus dem Lkw | |
ragt. Sein Chef, der Herr Wehle, hat hinter der Plane ein Bierfass | |
befestigt und mit Wasser gefüllt. Wir spucken die Zahnpasta auf die Straße, | |
der Alex in Bikerjacke und ich mit Wollschal, minus zwei Grad. Hat auch was | |
mit Freiheit zu tun, sagt er, weißt. Hier kannst dir die Welt angucken. Im | |
Büro hängt der Chef hinter dir. | |
Im Wagen klappt er ein Bett aus der Wand und eine Leiter aus dem Bett, | |
siebzig Zentimeter breit, ein Netz davor zum Auffangen. Da, oben ist’s | |
wärmer! Er legt sich auf die Pritsche hinter den Sitzen. | |
Gut Nacht, sagt er, aus der Koje unten. Ich schnarch übrigens. | |
Macht nichts, sage ich, von der Koje oben. Ich auch. | |
Ich wache mit dem Gefühl auf, zu ersticken. Der Mund trocken, die Haut. Der | |
Alex steht im Wagen. | |
Alex, ich ersticke. | |
Ich hab die Standheizung an. | |
Ich merk’s. | |
Er öffnet eine Tür. | |
Ist der Alex wach? Vielleicht schlafwandelt er, der Alex schnarcht nämlich | |
nicht, er redet aber im Schlaf. Einmal ruft er: Ha! Einmal: Boah! Einmal: | |
Boah! Miss Sexy! | |
## Geht mal wieder nix | |
Am Morgen bin ich mir sehr sicher, dass er nicht mich meint. Wir sind über | |
der Grenze, fünfzehn Minuten standen wir im Stau, geht mal wieder nix, hat | |
der Alex gesagt, typisch Schweiz. Ich stehe vorm Spiegel der nächsten | |
Raststättentoilette, finde, dass man mir die Rückenschmerzen ansehen kann, | |
und überlege, wofür ich die Jeans eigentlich anziehen soll. Hat auch was: | |
im Schlafanzug durch die Schweiz. | |
Guede Morge!, steht drüben auf dem Schild vorm Imbiss, Spiegelei und Speck, | |
7,90. Drunter steht: Chef. Was heißt das? Wen soll das ansprechen? | |
Der Alex hat die rechte Hand am Lenkrad und die linke an der Pall Mall. | |
Das Abenteuer ist schon der Reiz am Ganzen. Er ascht aus dem Fensterspalt. | |
So vom Fahren her und von der Freiheit her. Zwischen mir und meinem Lkw | |
herrscht eine Beziehung, sagt er, das merkt auch mein Chef, ich will, dass | |
es bei mir immer sauber ist, alles picobello. Wenn die Leute kommen und | |
sagen: Ist aber sauber bei dir, bin ich da stolz drauf. | |
Ich mach dir ’n Kaffee, der Alex steht auf, greift hoch in die Ablage zur | |
Senseo-Maschine, daneben die Mikrowelle, die Küchenrolle, die | |
Nikolausmütze, der Topfkuchen, in Alufolie gewickelt, das Bauernbrot, | |
geschnitten, für mich die bunte, für ihn die Diddl-Tasse, Bin immer für | |
dich da. | |
Willst du Milch? | |
Wir rollen wieder, die Verkehrsschilder sind schon grün, Gotthard 140 km, | |
Luzern 50 km, vor uns Autos aller Farben, so groß wie Käfer im Vergleich, | |
Opel, Audi, Fiat, BMW, Itschitunnel I, Itschitunnel II, die Häuser hier | |
haben Giebel, die Fensterläden sind oft braun. | |
Er öffnet, die Linke jetzt am am Lenkrad, die Tür zwischen Fahrersitz und | |
Beifahrersitz, zieht einen Korb heraus, darin die Alpenmilch, | |
Weihenstephan, 3,5 Prozent, Emmi Griess Töpfli, Milram Frühlingsquark, | |
Hofdammer Schnittkäse. | |
Nimm dir. | |
Der Alex klappt ein Brett aus dem Armaturenbrett, Messer und Löffel hat er | |
schon. | |
Darauf kannst vespern. | |
Wenn ich Lkw fahr, sagt er, wir fahren durch den Gotthardtunnel – Länge: | |
16.942 Meter, die Straße: nass, die Leitpfosten: leuchten, die | |
Geschwindigkeitsschilder: leuchten 80, Notrufsäulen, Notausgänge, bis zu | |
3.500 Lkw pro Tag – fühl ich mich wie ’ne Mutti. Da hab ich alles dabei. | |
Als Nächstes klappt der Alex den Laptop auf, er steht zwischen | |
Armaturenbrett und Tacho, zwischen dem Teddy links und dem Teddy rechts vor | |
der Scheibe, unter den beiden Flaggen, die an der Scheibe kleben, GERMANY, | |
ITALY, und über den Schaltern, Spiegelheizung, Dieselheizung, | |
Innenbeleuchtung, Liftachse, Antriebsschlupfregelung, Tempomat, | |
Motorwagenniveauregulierung. | |
## Kurz vor Italien – ist Weihnachten wichtig? | |
Er klickt auf die Wiedergabeliste, Windows Media Player, den gibt es also | |
auch noch. | |
Used to say: I like Chopin. Love me now and again. Ohohohoh. | |
Die Achtziger, hey, sagt er. So ein geiles Jahrzehnt für Musik. | |
Rainy days never say goodbye. | |
Die Neunziger aber auch, sagt er. | |
Rainy days growing in your eyes. | |
Und so Aktuelles mag ich aber schon auch. | |
Alex, ist dir Weihnachten wichtig? | |
Vier Spuren, Strommasten im Schnee, Milano, Lugano geradeaus. | |
Der Alex sagt, dieses Jahr haben sie gesammelt für die Weihnachtsfeier im | |
Betrieb, die Jungs und er. Blumen für die Frau Wehle, eine Filmdose für den | |
Chef, ein Kino- und ein Essensgutschein darin. Dem Herrn Wehle liegt daran, | |
dass der Betrieb klein bleibt, zehn Fahrer, zehn Trucks. | |
## Neue Bettwäsche für den Lkw | |
Die Frau Wehle macht ja jedem ein Geschenk, also kein Kruscht, weißt. Zeug, | |
das man braucht. Neue Bettwäsche für den Lkw. Oder mal neue Pullis für die | |
Fahrer. | |
Und zu Hause? | |
Zu Hause will der Bruder, glaub ich, Schaschlik machen. | |
Der Steffen ruft an. Lkw-Fahrer, innerdeutsch. | |
Die fahren einen Scheiß zusammen heute. Was gibt’s, Schnitzel? Spaghetti | |
Bolognese! Jawohl. Bin ich auch immer für zu haben, Bolognese. | |
Milano 87 km, Chiasso 38 km, sieben Grad, Tunnel, Funkloch. | |
Der Alex, die Pall Mall im Mundwinkel, steckt das Duftspray in die | |
Steckdose, das macht er so, wenn er raucht. | |
Meine Kumpel sagen immer: Bei dir riecht’s wie im Puff. Aber ich mag’s. | |
Wonach riecht das? | |
Orchidee/Vanille. Ist ’ne Kombination. | |
Stört es deine Freunde nicht, dass du nie da bist? | |
Nö, sagt der Alex, meine Kumpel sagen: Ich kann mir gar nicht vorstellen, | |
dass du mal was anderes schaffst. Du bist so ein geborener Fahrer, in der | |
Industriehalle würdest du eingehen. Da wärst du eingesperrt. | |
Woher weißt du überhaupt, wohin du musst? | |
Wenn ich ausgeladen hab, schreib ich dem Chef eine SMS: Auto leer. Dann | |
gibt’s einen neuen Auftrag und der Chef schreibt: Okay, fahr Robbio. Da | |
muss ich auch wahrscheinlich hin. | |
Komm Alex, wir hören Cyndi Lauper. | |
Lying in my bed I hear the clock tick and think of you. | |
Bellinzona, Lugano, Chiasso. | |
Suitcase of memories, Time after – | |
Zollpapiere, Frachtpapiere, Fahrzeugschein, ciao, grazie, ciao, Agip, Esso, | |
Autogrill, dreispurig, vierspurig, McDonald’s, Berge, Regen, Italien im | |
Dunst, Sonne, Palmen, Angeberland, die Häuser sind jetzt flach, die | |
Fensterläden oft grün. | |
Como, zehn Grad. Die Landschaft liegt im Licht. | |
Guck, sagt der Alex, der Comer See. | |
Meine Oma sagt immer Cromer See, sage ich. Mit r. | |
Der Alex raucht. | |
Wohnt am Cromer See nicht George Clooney?, frage ich. Mit irgendeiner | |
Alibifreundin? Warum gibt der nicht mal zu, dass er schwul ist? | |
Vielleicht, weil er so lässig ist, sagt der Alex. | |
Daniel Craig ist lässig. | |
Wer? | |
James Bond. | |
Ach, der. | |
James Bond ist bestimmt auch schwul. | |
Beton. Brücken. | |
Pfeile. Pfeiler. | |
Stopp, 80, 100, 50, Boney M., Bonnie Tyler, Joe Cocker, DJ Bobo, Rihanna, | |
Lady Gaga, wo sind wir?, wie viel Uhr?, schläfrig, wach, A9, A4, E35, | |
Turate, Saronno, Origgio, da heißt eine Stadt echt Magenta, wie machen die | |
Italiener das?, Varese, can’t read my, no you can’t read my Pokerface, | |
schläfrig, wach, A7 Genova, A1 Bologna, GERMANY, ITALY, who cares, es | |
passiert nichts, passiert mal was?, Po-Po-Po-Pokerface, bitte | |
einhundertachtzig Kilometer der Straße folgen. | |
Einhundertachtzig? Ich schlafe! | |
Als ich aufwache, 18 Uhr in Carignano, lädt der Alex die Traktoren aus, er | |
fährt sie über die Rampe zur Lagerhalle, wendig und schnell, vorwärts, | |
rückwärts. Der Sound der Autobahn und des Fahrtwinds kommt mir sanft vor, | |
jetzt, wo die Traktoren heulen. | |
Der Alex schreibt dem Chef: Auto leer. Der Chef schreibt dem Alex: Okay, | |
fahr Robbio. | |
Was gibt es in Robbio, Alex? | |
In Robbio, das sind noch anderthalb Stunden, da gibt es Küchengeräte, sagt | |
der Alex. Kennst die Spülschwämme mit der grünen und rauen Fläche oben und | |
der gelben und weichen unten? | |
Ja. | |
Wir holen die gelben und weichen. | |
Wir rollen wieder durch die Nacht, die Italiener haben ihre Dörfer mit | |
Lichtern geschmückt, der Alex packt den Marmorkuchen aus der Alufolie. | |
## Kuchen vor der Tür | |
Omis guter Kuchen, sagt er, und dass die Omi gar nicht seine Omi ist, | |
sondern seine Nachbarin, 76 Jahre alt, die hat ’ne Figur! Wie ein junges | |
Weib. 53 Kilo. Isst den ganzen Tag nichts, raucht wie ein Schlot. | |
Die legt mir den Kuchen immer vor die Tür, sagt der Alex, und schreibt | |
einen Zettel dazu, Hi Baby. | |
Wie findet ein Trucker eigentlich sein Baby?, frage ich. | |
Das ist schon so ’ne Sache, da bleibt einem nicht viel, sagt er. Ich war | |
mal bei der Singlebörse im Internet, aber das ist mir jetzt zu blöd, das | |
Ganze. Ich war jetzt so in zwei, drei Beziehungen, immer so maximal für ein | |
Jahr. Ich bin halt auch so’n, ich sag mal, so’n wilder Typ. Also, ich mach | |
mich nicht abhängig. Am Anfang ist immer alles gut und dann nach ’ner Weile | |
heißt es: Ja, dein Beruf. Ich sag mir: Entweder du kommst damit klar oder | |
du kommst nicht damit klar. | |
Vom Kuchen kriegt der Alex Hunger, wir laufen durch das leere Robbio und | |
treffen einen Mann mit Hund, der Hund schicker als der Mann, er sagt uns, | |
dass die Restaurants hier um 21 Uhr schließen. Das dolce vita war auch | |
schon mal dolcer. | |
Wir finden die Trattoria Moderno, die von außen aussieht wie ein türkischer | |
Kulturverein in Berlin und innen sehr hell ist, keine Gäste, und eine Bar, | |
die vom Ristorante mit einem Paravent abgetrennt werden soll, der nichts | |
abtrennt. Die Mamma bringt Weißwein, Rotwein, Blutwurst, Thunfisch, Salami, | |
dann Pasta und Bistecca, dann Ananas und, bitte, zwei Grappa an der Theke | |
wenigstens noch, draußen ist es kalt. | |
Der Alex und ich putzen uns wie gestern auf der Straße die Zähne und | |
schauen dann Tatort auf seinem Laptop, eine Folge aus Münster, Jan Josef | |
Liefers ist gerade in ein offenes Grab gefallen. | |
In der Nacht redet der Alex nicht im Schlaf und ich erlebe keine | |
Erstickungsanfälle, muss wohl am Grappa liegen. | |
Am Morgen sind der Alex und ich etwas stiller als bisher, muss wohl am | |
Grappa liegen. Wir schauen den Tatort zu Ende, während ein Mann mit einem | |
Gabelstapler gelbe und weiche Rollen in die Anhänger stellt, 17.665 Euro | |
Schwammkosten. | |
## Nichts zu verzollen | |
Der Steffen ruft an, wir sind auf der Landstraße, Kühe, Bäche, | |
Kirchturmspitzen, unterwegs zur Autostrada und zum Grau. Na du, hast schon | |
was zwischen die Kiefer gebracht? | |
Wir singen Wir sind Helden, die Piaf und die Beatles. Der Alex singt auch | |
Bocelli und Romina Power. | |
Como, neun Grad. | |
Zollpapiere, Frachtpapiere, Fahrzeugschein. | |
Ciao, Mario. | |
Mario vom Zollbüro sitzt an der Schreibmaschine und füllt die Papiere der | |
Trucker aus, auf der Toilette hängt ein Schild, vietato fumare, und es | |
riecht nach Rauch. Zufällig trifft der Alex hier auch den Heinz, ewig schon | |
Fahrer bei der Spedition Wehle, er fährt heute Puffreis, und den Fabian, | |
den Sohn vom Chef. | |
Der Heinz, Ende fünfzig vielleicht, sagt, was dir so passiert in Italien, | |
ist echt unmöglich. | |
Um 4 Uhr ist der Heinz aufgewacht, weil er pinkeln musste. Der Heinz sagt | |
dazu seichen. Er ist also raus aus dem Truck, in Unterhemd und Unterhose, | |
und hat durch einen Zaun gepinkelt. | |
Kommt die Carabinieri ums Eck, sagt der Heinz, mit Blaulicht und allem. Was | |
mir einfallen tut! Dass ich da jetzt hinschiff. Sag ich, Capo, sag ich: | |
Soll ich in den Wagen seichen, oder was? Sagt der andere, der noch im Auto | |
sitzt: So können Sie in Italien nicht rumlaufen. Ziehen Sie sich was an! | |
Der Junge, der Fabian, lacht. In Italien, ausgerechnet. Die interessiert | |
doch sonst nix. | |
Einmal stand ich da in Unterhose, sagt der Heinz. Da ist die Tür hinter mir | |
zugefallen und der Schlüssel war drin, hat sich verdreht oder was, dann | |
ging die Tür nicht mehr auf. In Luzern stand ich da, auf der Raststätte, da | |
sind doch hinterm Klo so Mülleimer, weißt, und Bäume. | |
Der Alex nickt. | |
Hab ich mich auf den Mülleimer gestellt in Unterhose, sagt der Heinz, und | |
hab was vom Baum abgemacht und mit einem Zweig die Tür aufgemacht. | |
Der Heinz fragt den Mario, ob er nicht bald mal Mittagspause hat, dann | |
steigen er und der Fabian und der Alex wieder in ihre Trucks. | |
Der Fabian fährt vor uns, er hat heute die andere Seite von den | |
Spülschwämmen im Hänger, die grünen und rauen. Beide Seiten müssen nach | |
Wald-Michelbach in Hessen, dort werden sie erst erwärmt, sagt der Alex, | |
dann aufeinandergepresst und dann geschnitten. | |
Es wird so sein, als fahre er uns durch die Jahreszeiten, vom Herbst zurück | |
in den Winter. | |
Da, guck, sagt der Alex. | |
Was?, frage ich. | |
Guck, was da steht, sagt der Alex. | |
Wo?, frage ich. | |
Beim Fabian hinten drauf. Überm Kennzeichen, sagt der Alex. La strada mia | |
casa. | |
22 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Annabelle Seubert | |
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Fall. |