Introduction
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# taz.de -- Über die Schwierigkeit, sich loszulösen: Wir trägen Netzbewohner
> Facebook nervt, Google hortet, Apple grenzt aus – und doch nutzen wir
> alle iPhones, wir suchen bei Google und pflegen unsere Facebook-Seiten.
> Warum nur?
Bild: Wir liken aus Gewohnheit.
Manchmal träume ich davon, die Kontrolle über meine Daten zurückzugewinnen.
So wie damals, als man noch eigene Websites hatte und E-Mails am Desktop
abspeicherte. Ich will mir die Kontrolle von Google, Facebook und den
ganzen anderen Kunst- und Wunderkammern des Web 2.0 zurückholen.
Vor ein paar Monaten habe ich ein Blog auf meinem eigenen Webspace
eingerichtet. Das war ein erster Schritt dazu. Das Blog ist meines, ich
kann bestimmen, was mit den Daten geschieht und wie sie dargestellt werden.
Das weiss auch der Blogger und Internet-Schlaumeier Sascha Lobo, der in
seiner [1][Spiegel-Kolumne] schreibt, man könne „auf einem Blog machen, was
man möchte.“
Aber er stellt auch fest: „Ärgerlicherweise bedeutet das auch, dass man
machen muss, was man möchte. Und dauernd möchten zu müssen ist recht
energieaufwendig“. Das habe ich gemerkt. Ein Blog einzurichten ist nicht
schwierig, aber da man mehr Kontrolle hat, muss man mehr Entscheidungen
treffen. Um gute Entscheidungen zu treffen, muss man sich informieren. Das
braucht Zeit.
Der nächste Schritt in die digitale Freiheit wäre es gewesen, statt Gmail
die E-Mail-Adresse zu verwenden, die in meinem Webhosting-Paket inkludiert
ist. Aber nach dem Aufwand mit dem Blog hatte ich darauf keine Lust mehr.
## Kritik ohne Konsequenz
Fast niemand steht den großen Internet-Firmen unkritisch gegenüber. Sie
würden zu viel Macht und Kapital anhäufen, heißt es. Es könne doch nicht
sein, dass Google und Facebook sich das Internet aufteilen; die Menge an
Daten, die sie sammeln, sei ungeheuerlich. Ebenso wie die Tatsache, dass
man bei all diesen teuren Apple-Produkte nicht mal den Akku wechseln kann.
Amazon verdränge doch die kleinen Händler von nebenan. Schweinerei, das
alles.
Trotzdem bleiben wir ihnen treu. Noch schnell vor Weihnachten ein neues
iPhone wäre schön; alle Alternativen kommen sowieso mit Googles Android.
Aus Facebook kann man doch nicht einfach so aussteigen, dort sind doch alle
Freunde. Eigentlich lehnen wir die Herrscher der digitalen Welt ab,
trotzdem lösen wir uns nicht von ihnen. Warum eigentlich?
Hält mich nur der Aufwand von einem Wechsel meiner E-Mail-Adresse ab? Ich
müsste meine E-Mails und meine Kontakte exportieren und meine Freunde
darüber informieren, dass ich jetzt unter einer anderen E-Mail-Adresse
erreichbar bin. Der Aufwand ist überschaubar. Als Gmail eingeführt wurde,
habe ich ihn auch nicht gescheut. Doch da ist noch etwas anderes: Trotz
aller Bedenken mag ich meine Social-Media-Dienste, meine Gadgets, meine
digitalen Zauberdinge und den bunten Feeenstaub des Netzes.
## Einmal liebgewonnen, immer treu
Das wird mir klar, wenn ich mir überlege, warum ich damals auf Gmail
gewechselt haben. 2005, bin ich mit Freude darauf umgestiegen. Gmail war
cool. Es bot den Komfort eines Desktop-E-Mail Programms und gleichzeitig
die Flexibilität von Webmail. Es führte neue Bedienkonzepte ein, die E-Mail
übersichtlicher machten. Ich war der erste in meinem Freundeskreis, der
dort einen Account hatte und habe mehrere meiner Freunde zum Wechseln
bewegt.
Auch Google als Suchmaschine bin ich treu geblieben. Mit Apple, Facebook
oder Amazon geht es mir ähnlich. Es ist eine Form von emotionaler Bindung,
die mich bei bestimmten Firmen hält. Die ist dadurch entstanden, dass mir
irgendwann einmal die Angebote dieser Firmen neue Möglichkeiten eröffnet
haben. Es ist eine symbiotische Beziehung. Sie haben mir geholfen, Dinge zu
tun, die gut zu meinem Selbstbild passten, dafür habe ich sie in mein
Selbstbild integriert.
Sich auf etwas Neues einzulassen ist immer auch mit schwer absehbaren
Risiken verbunden. Selbst wenn das Altbewährte sich gar nicht so gut
bewährt: Man kennt dessen Schwächen, man weiß, worauf man sich einlässt.
Begeisterung hilft, diesen Trägheitsmoment zu überwinden. Gleichwertige
Alternativen reichen nicht: So lange sie nur genauso gut sind und mir keine
Verbesserung versprechen, bin ich offenbar nicht zum Wechseln zu
motivieren.
## Im Widerspruch zu sich selbst
Markentreue nennt man das. Die Markentreue erzeugt kognitive Dissonanz. Mit
diesem Begriff bezeichnet die Psychologie dem Zustand, der eintritt, wenn
sich der Mensch in Widerspruch zu sich selbst begibt, indem er das eine
denkt, aber das andere tut. Menschen mögen keine kognitive Dissonanz und
und legen sich Rechtfertigungsstrategien zurecht, um sie aufzulösen.
Kognitive Dissonanz ist die Verbeugung des Verstandes vor dem Gefühl.
Ich bleibe bei Google, Facebook, Amazon und Apple, so lange ich mich nicht
für Alternativen begeistern kann. Mir widerstrebt es, meine Daten und mein
Geld mächtigen und undurchsichtigen Großkonzernen zu überlassen. Aber deren
Angebote funktionieren nach wie vor. Im Übrigen werde ich auch aufhören zu
rauchen, nur noch gebrauchte oder fair produzierte Kleidung kaufen und kein
Fleisch mehr essen. Irgendwann halt.
Geht es Ihnen ähnlich? Wie halten Sie's mit dem Internet und seinen
Großmächten? Finden Sie die Bedenken übertrieben oder leben auch Sie in
kognitiver Dissonanz? Oder haben Sie sich gar ein Stück digitale
Unabhängigkeit geschaffen? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns die
Geschichten erzählen, die Sie mit Facebook, Google, Apple oder Amazon
verbindet – oder die Sie von Ihnen trennt. Am 29. Dezember wird sich eine
komplette sonntaz der Frage widmen: „Wer hat die Macht im Netz?“ Danach
würden wir gern Ihre Anekdoten drucken. Kommentieren Sie also gern hier
oder schreiben Sie an [2][[email protected]]
25 Dec 2012
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/sascha-lobos-kolumne-zum-niedergang-der-…
[2] /[email protected]
## AUTOREN
Andreas Kiener
## TAGS
Google
Internet
Google
Kartellklage
Apple
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