Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pflegezeit gefloppt: Gesetz jenseits der Wirklichkeit
> Das Familienpflegegesetz soll Berufstätigen erleichtern, Angehörige zu
> pflegen. Doch wenige nehmen es in Anspruch - die Vorgaben schrecken ab.
Bild: Familienpflege funktioniert nicht. Pflegebedürftige müssen sich um sich…
BERLIN taz | Wilfried Brandebusemeyer war ein Hoffnungsträger. 58 Jahre alt
und Werkzeugmechaniker im Stahlwerk Georgsmarienhütte, pflegt er nach dem
Tod seiner Frau seine alte Mutter zuhause und hat extra deswegen die neue
„Familienpflegezeit“ in Anspruch genommen. „Ein Mann der ersten Stunde“,
lobte das Familienministerium vor Monaten – nur ist Brandebusemeyer eine
Ausnahme geblieben.
Seit Anfang 2012 können Beschäftigte ihre Arbeitszeit im Rahmen des neuen
Gesetzes zur „Familienpflegezeit“ vorübergehend reduzieren, um Angehörige
zu pflegen. Dabei erhalten die Pflegenden etwa für eine halbierte
wöchentliche Arbeitszeit trotzdem 75 Prozent des Lohns, müssen aber nach
zwei Jahren wieder auf die volle Stelle wechseln und kriegen dann für zwei
Jahre auch nur 75 Prozent des Gehalts. Sie finanzieren die
Familienpflegezeit sozusagen selbst.
Nach knapp einem Jahr steht nun fest: Kaum jemand hat die neue
„Familienpflegezeit“ in Anspruch genommen. Nach Fallzahlen aus dem
Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, über die die
Süddeutsche Zeitung berichtete, haben bundesweit nicht mehr als 200
ArbeitnehmerInnen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Der Sprecher von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU),
Christoph Steegmans, warnte zwar am Freitag davor, aus den Zahlen des
Bundesamtes „falsche Rückschlüsse“ zu ziehen. Denn im Bundesamt werden nur
jene Fälle erfasst, in denen Betriebe für die Familienpflegezeit einen
staatlich geförderten zinslosen Kredit beantragen oder Versicherungen gegen
die Ausfallrisiken abschließen. Doch eine Unternehmensumfrage der taz
zeigt: Die Bilanz fällt tatsächlich mager aus.
Im Stahlwerk Georgsmarienhütte mit 1.200 Beschäftigten ist Brandebusemeyer
der Einzige geblieben, der eine Familienpflegezeit in Anspruch nahm, sagte
Unternehmenssprecherin Iris-Kathrin Wilkens. Bei dem Stahlhersteller
arbeiten in der Mehrzahl Männer. Doch auch bei der Deutschen Post mit
110.000 Beschäftigten, darunter vielen Frauen, gingen nur 3
ArbeitnehmerInnen in Familienpflegezeit, so eine Unternehmenssprecherin.
Dabei gibt es bei der Post betriebsintern sogar einen Rechtsanspruch, die
Auszeit in Anspruch zu nehmen, um Angehörige zu pflegen. Bei der Deutschen
Telekom mit 121.000 Beschäftigten, davon 14.500 in Teilzeit, sind nur 4
MitarbeiterInnen in Familienpflegezeit gegangen, sagte Sprecher Dennis
Dennert.
Selbst Kritiker hätten eine solch magere Bilanz nicht erwartet, schließlich
gibt es nach Angaben der Deutschen Hospiz-Stiftung in Deutschland rund 1,2
Millionen pflegende Angehörige, davon sind 800.000 im erwerbsfähigen Alter.
Das von Familienministerin Schröder „hochgejubelte Gesetz“ sei nur ein
„Schaufenstergesetz“, rügte der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch.
Ein Problem ist die im Gesetz vorgesehene Pflegedauer von zwei Jahren. Wie
lange eine Pflege dauert, kann man bei Altersverwirrten und Gebrechlichen
nicht vorhersehen. Dementiell Erkrankte sind laut Statistik im Schnitt
zwischen sechs und acht Jahre lang pflegebedürftig. Bärbel Schönhof,
stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft,
erklärte, dass die Familienpflegezeit daher unter Umständen nicht
ausreiche.
Auch stünden Angehörige vor dem Problem, dass eine häusliche Pflege trotz
Teilzeittätigkeit womöglich „nicht zu leisten ist“. Hinzu käme die Frage
nach der Finanzierung, wenn auch das Einkommen des pflegenden Angehörigen
durch die Familienpflegezeit reduziert ist.
28 Dec 2012
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
Barbara Dribbusch
## TAGS
Pflege
Manuela Schwesig
Bundesverfassungsgericht
Studie
Pflege
## ARTIKEL ZUM THEMA
Reform zur Familienpflege: „Mischung aus Herz und Verstand“
Rückkehrgarantie zum Job, Kredit vom Bund und Lohnersatz im akuten Fall
gibt es künftig für Menschen, die Verwandten helfen.
BVerfG-Beschluss zu häuslicher Pflege: Familienangehörige helfen billiger
Die Pflege durch Angehörige wird vom Staat schlechter honoriert als die von
professionellen Kräften. Das ist in Ordnung, urteilt das
Bundesverfassungsgericht.
Neue Studie des Instituts AGP: Auffangstation Kinderhospiz
Nur wenige schwerkranke Kinder kommen ins Hospiz, um dort zu sterben.
Eltern nutzen Einrichtungen für „Auszeit“ von der Pflege zu Hause.
Pflegereport der Bertelsmann Stiftung: Mehr Pflege durch Bürokratie?
In Zukunft wird es mehr Menschen geben, die gepflegt werden müssen und
nicht genügend Pflegende. Die Bundesländer suchen nach Wegen, das zu
ändern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.