Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Eisbaden: "Ich mags zweimal und dafür kurz"
> Ursula Kawohl gilt vielen als Extremsportlerin. Die Vorsitzende der
> Berliner "Seehunde" geht schwimmen, wenn der See zugefroren ist.
Bild: Eisbadende im Orankesee
taz: Frau Kawohl, der Winter war okay bisher, oder?
Ursula Kawohl: Ja, zweimal hatten wir schon Eis auf dem Orankesee. Dann
hacken wir erst mal das entsprechende Loch, sodass wir reinklettern können.
Wir haben eine Schwimmfläche von etwa drei mal drei Metern, die wir vom Eis
befreien. Und wir klettern über eine Leiter rein.
Sie stehen dann mit der Axt auf dem Eis und hacken Löcher?
Ja, das habe ich auch schon getan. Aber eigentlich machen das bei uns im
Verein die Männer. Mit der Axt, mit der Eissäge oder mit dem Bohrer. In
diesem Jahr war das Eis nur fünf Zentimeter dick, aber manchmal sind es ja
auch 15 Zentimeter.
Wann geht Ihre Winterbadesaison los?
Unsere Saison beginnt, wenn die Freibäder schließen, also im September. Und
wir beenden die Saison mit dem Abbaden, wenn die Freibäder wieder öffnen,
gegen Ende April. Jeden Sonntag um 10 Uhr treffen wir uns am Orankesee in
Hohenschönhausen. Das ist unser Trainingstag.
Wie war das letzte Training?
Gut! Wir hatten zwei Grad Wassertemperatur, und Eis war auch drauf.
Sind Sie Extremsportlerin?
Viele sehen es als Extremsport. Aber man gewöhnt sich ja an die kälteren
Wassertemperaturen – ich selbst würde mich deshalb nicht als
Extremsportlerin bezeichnen. Man sollte es auch nicht übertreiben, man darf
nicht zu lange drinbleiben. Die meisten gehen einmal ins Wasser – ich mag’s
lieber, zweimal reinzugehen und dafür kurz.
Was heißt kurz?
So zwei Minuten.
Wie lange ist es üblich?
Die meisten gehen einmal hinein, und dann fünf bis sieben Minuten.
Wie muss man sich den Ablauf am Trainingstag vorstellen?
Wir treffen uns kurz vor zehn. Dann mach’ ich meistens noch eine Ansage an
die Vereinsmitglieder, welche Terminen anstehen oder ob jemand Geburtstag
hat. Manche gehen vorher ein bisschen joggen oder walken, manche machen
Gymnastik, manche machen gar nichts. Jeder nach seiner Fasson. Und um Punkt
zehn geht’s ins Wasser. Wir betreiben keinen Leistungssport, wir machen
Freizeitsport, der Spaß machen soll.
Wie alt sind Ihre Mitglieder im Schnitt?
Wir liegen so zwischen 40 und 70 Jahren. Wir sind überwiegend ältere
Semester.
Würden Sie denn gern jüngeren Nachwuchs für Ihren Verein rekrutieren?
Gerne, ja. Aber das Interesse muss schon da sein. Man sollte schon sonntags
um zehn zum Training erscheinen. Das ist für viele junge Leute ja noch
mitten in der Nacht.
Zur Katerbekämpfung eignet sich das Eisbaden nicht?
Ob das dann so gut ist, weiß ich nicht. Aber im Ernst, wir hätten wirklich
gern jüngere Mitglieder. Viele von uns sind noch Gründungsmitglieder aus
den frühen 80er Jahren.
Baden Ihre Mitglieder immer nackt?
In der Regel schon. Außer an Weihnachten, an Neujahr und bei unserem Fest
Mitte Januar, weil an den Terminen meist viele zuschauen. Wer es nicht mag,
muss natürlich nicht nackt gehen. Wir tragen nur Badeschuhe und die Männer
zum Teil Mütze, wenn sie nicht mehr so viele Haare auf dem Kopf haben.
Handschuhe tragen auch manche, weil die äußeren Extremitäten am längsten
brauchen, um wieder warm zu werden.
Und zu Ihrem Fest am 12. Januar kommen Eisbader aus ganz Europa?
Ja, aber am meisten aus den neuen Bundesländern, weil es da Tradition hat.
War das in der früheren DDR auch Teil der dortigen Freikörperkultur?
Nein, es war eigentlich von der Kinderzeitschrift Die Trommel ins Leben
gerufen worden, das war die Pionierzeitschrift. Denen ging es um Abhärtung
– und irgendwann fing es in Stralsund und Lubmin bei Greifswald an, dass
die Leute gemeinsam winterbaden gingen.
Haben Sie auch mehr Mitglieder aus den Ostbundesländern?
Ja, viele betreiben das aus Tradition, die sind schon ewig dabei. Und viele
wohnen in der Nähe des Orankesees.
Eisbaden gilt als sehr gesund und wohltuend. Wie viel gesünder sind Sie
denn als wir Nichteisbader?
Eisbaden fördert die Durchblutung und ist gut für den Kreislauf. Nach dem
Kältereiz durch das Wasser merkt man, wie es einen warm durchströmt, sobald
man rauskommt. Eisbaden stärkt das Immunsystem. Klar, vor einem bösen Virus
sind auch wir nicht gefeit, aber eine Erkältung ist bei uns meistens
schneller vorbei und weniger schlimm. Dazu gibt es ja auch genug
Forschungen. Medizinstudenten haben uns auch schon mal getestet. Eisbaden
ist wohl auch gut gegen freie Radikale, die die Zellen schädigen. Geschadet
hat’s jedenfalls noch keinem.
Dennoch gibt es Gefahren beim Eisbaden, oder?
Ja, wenn man mitten in der Saison anfängt, ist das nicht gut. Man sollte
schon im September oder Oktober damit beginnen. Ein absolutes No-go ist es,
den Kopf unter Wasser zu halten. Wir wollen auch nicht, dass die Leute zu
lange im Wasser bleiben oder, wenn kein Eis auf dem See ist, zu weit
rausschwimmen. Und wer zum Beispiel herzkrank ist, sollte sich natürlich
vorher untersuchen lassen.
Was sagt Ihr Arzt oder Ihre Ärztin?
Meine Ärztin kennt mein Hobby und findet das völlig in Ordnung.
Dennoch gibt es wahrscheinlich Leute, die Sie als verrückt bezeichnen.
Ja. Eisbaden wird oft als verrücktes Hobby dargestellt. Aber es macht
einfach Spaß.
Und Wettkämpfe gibt es auch?
Ja, Weltmeisterschaften im Kaltwasserschwimmen gibt es auch. Das sind
relativ kurze Distanzen, die man da absolviert. Da haben auch schon
Mitglieder von uns Preise gewonnen.
Aber in Berlin gibt’s keine Turniere?
Nein, hier machen wir das nur aus Spaß an der Freude.
Berlin scheint dennoch eine große Eisbadergemeinde zu haben.
Ja, unser Verein gehört zu den größten in Deutschland. Zu den
Veranstaltungen kommen oft mehrere Hundert Leute. Und unser Weihnachtsbaden
war via YouTube weltweit zu sehen. Am ersten Weihnachtstag singen wir vor
dem Baden immer Weihnachtslieder zusammen. Das ist Tradition bei den
„Seehunden“.
Temperaturgrenzen nach unten gibt es nicht?
Nee, das Wasser bleibt bei etwa 0,5 Grad. Das ist ja Physik.
Und es ist auch egal, wie dick das Eis und wie eiskalt es draußen ist?
Ja, ich habe auch schon bei minus 17 Grad Außentemperatur gebadet. Hat auch
Spaß gemacht. War schön, die Sonne schien.
Gibt es nach dem Bad eine Belohnung? Oder Rituale?
Nein, in der Regel fährt jeder nach Hause.
Kein „Après-Swim“? Keinen Glühwein?
Wenn jemand Geburtstag hat, bringt der schon ’ne Runde mit. Ansonsten
unternehmen wir im Herbst immer eine gemeinsame Wanderung und im Frühjahr
eine Wochenendfahrt, da geht es geselliger zu.
Sie haben mit Karl dem Großen und Goethe zwei prominente Vorgänger in
Sachen Eisbaden. Wissen Sie da Näheres?
Von den beiden ist mir das neu. Ich kenne die Tradition nur von wandernden
Indianerstämmen und weiß, dass es in Sibirien üblich war oder ist.
Ich glaube, Goethe hat auch nichts über das Eisbaden geschrieben.
Vielleicht waren ihm seine Frauengeschichten wichtiger.
Was ist mit weiteren Vorläufern? Ist Ihr Hobby hier in Deutschland aus der
Kneipp-Kur hervorgegangen?
Das kann schon sein. Da hat man wohl erkannt, dass Abhärtung gut ist.
Kann jedeR EisbaderIn werden?
Im Prinzip schon. Unser ältestes Mitglied war ein 98-Jähriger.
Herzlichen Dank für das Gespräch. Ich habe noch gute Nachrichten für Sie:
Es soll wieder ein bisschen kühler werden.
Schön. Dann bleibt das Eis auf dem See.
30 Dec 2012
## AUTOREN
Jens Uthoff
Jens Uthoff
## TAGS
Schwimmen
Rudern
Dinner
Eis
## ARTIKEL ZUM THEMA
Alternativen zur Fußball-WM: Kein Blues
Für Katar-Boykoteur:innen probiert die taz Alternativen aus. Dieses Mal:
Winterschwimmen im Nordlondoner Park Hampstead Heath.
Ruderin über Atlantiküberquerung: „Das Meer sieht aus wie die Alpen“
5.000 Kilometer, 42 Tage, 1 Boot: Meike Ramuschkat ist mit Freundinnen über
den Atlantik gerudert, als schnellstes Frauenteam der Atlantic Challenge.
Die Wochenvorschau für Berlin: „The same procedure as every year“
Berlin guckt „Dinner for One“ und feiert Silvester, steigt zu Neujahr wie
immer ins eiskalte Wasser, fährt Elektro-Bus und soll Wintervögel zählen.
Eisbaderin über Kälte: „Das ist reine Kopfsache“
Zu Weihnachten, Silvester und Neujahr wird in Heringsdorf auf Usedom
traditionell gebadet. Seit acht Jahren mit dabei: Steffi Pohlmann, 55.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.