# taz.de -- Wirtschaftsethiker über Goldman Sachs: „Beihilfe zur Überschuld… | |
> Der Wirtschaftsethiker Florian Wettstein über die Verantwortung der Bank | |
> Goldman Sachs in der Krise, die Genfer Konvention und den Schmähpreises | |
> „Public Eye“. | |
Bild: Geste eines Occupy-Demonstranten vor dem Goldman-Sachs-Gebäude in New Yo… | |
taz: Herr Wettstein, die als wirtschaftsfreundlich bekannte Universität St. | |
Gallen in der Schweiz kritisiert jetzt Unternehmen wie die Bank Goldman | |
Sachs scharf. Wie kam es dazu? | |
Florian Wettstein: Unser Institut für Wirtschaftsethik vertrat schon immer | |
kritische Positionen. Dieses Engagement passt zu unserer Mission innerhalb | |
der Universität St. Gallen. Diese besteht darin, bestimmte Haltungen in der | |
Wirtschaft zu hinterfragen. Eine Wirtschaftsuni braucht ein kritisches | |
Element. | |
Greenpeace Schweiz und die Erklärung von Bern verleihen bald wieder ihren | |
Schmähpreis an unsoziale und unökologische Konzerne. Goldman Sachs trage | |
eine Mitverantwortung für den Ruin Griechenlands und die Eurokrise, lautet | |
eine der Anschuldigungen. Halten Sie diese für zutreffend? | |
Die Recherchen zum Verhalten der einzelnen Unternehmen erhalten wir in | |
anonymer Form. Unsere Aufgabe ist es nicht, die darin genannten Fakten zu | |
überprüfen. Da wir beim Verfassen der Gutachten die dahinter stehenden | |
Firmen nicht kennen, müssen wir uns grundsätzlich darauf verlassen, dass | |
die Angaben stimmen. Dies liegt in der Verantwortung der Organisationen, | |
die den Preis verleihen. Unser Mandat besteht darin, die Politik der Firmen | |
im Rahmen der Nominationen wirtschaftsethisch zu bewerten. | |
Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? | |
Wenn die Vorwürfe gegen Goldman Sachs zutreffen, lässt sich eine | |
Mitverantwortung der Bank für die Krise in Griechenland und Europa kaum von | |
der Hand weisen. Sie hat dann wohl wissentlich Beihilfe dazu geleistet, den | |
ohnehin hohen Schuldenstand der Regierung in Athen jahrelang zu | |
verschleiern und zu perpetuieren. | |
Die Kritiker sagen, Goldman Sachs habe die miserable Finanzsituation | |
Griechenlands verborgen, indem die Bank Schuldpapiere Athens auf den | |
Finanzmärkten verkaufte. Machen so etwas nicht viele transnationale | |
Finanzinstitute? | |
Das Eingehen und gleichzeitige Herunterspielen von enormen Risiken ist bei | |
internationalen Großbanken in den vergangenen Jahren zum eigentlichen | |
„business as usual“ geworden – mit bekanntem Resultat. Goldman Sachs steht | |
damit nicht alleine. Es geht um ein systemisches Problem. Aber Goldman ist | |
eine besonders wichtige und herausgehobene Bank mit starker Verflechtung | |
zur internationalen Politik, weshalb an sie sicherlich auch höhere | |
Erwartungen in Sachen Verantwortung gestellt werden können. Deshalb ist es | |
auch gerechtfertigt, speziell auf dieses Institut hinzuweisen. | |
Dem privaten britischen Sicherheitskonzern G4S werfen die Kritiker vor, | |
israelische Gefängnisse auszustatten und für die widerrechtliche | |
Verschleppung palästinensischer Gefangener aus dem besetzten Westjordanland | |
mitverantwortlich zu sein. Wie sehen Sie das? | |
Wir gehen davon aus, dass die Fakten stimmen. Dann läge ein Verstoß gegen | |
die 4. Genfer Konvention vor, der zufolge Gefangene nicht im Besatzerstaat | |
weit entfernt von ihrer Heimat eingesperrt werden dürfen. Das Unternehmen | |
würde damit Beihilfe zu diesem Verstoß gegen internationales Recht leisten. | |
G4S wird außerdem beschuldigt, das „israelische Apartheidregime“ zu | |
unterstützen. Setzt sich Ihr Institut damit nicht dem Vorwurf aus, in | |
antisemitisches Fahrwasser zu geraten? | |
Nein, wir machen uns die Formulierungen und moralischen Bewertungen der | |
Nominationen nicht zu eigen. Im Gegenteil, wir analysieren aus neutraler | |
Perspektive den wirtschaftsethischen Gehalt der Unternehmenspolitik – viele | |
Vorwürfe werden so in unseren Gutachten auch relativiert. | |
Müssen sich internationale Unternehmen mittlerweile mehr für ihr Verhalten | |
rechtfertigen als früher? | |
Große Firmen, die ihre Produkte direkt den Verbrauchern anbieten und auf | |
ihre Reputation achten müssen, stehen unter stärkerer Beobachtung. Die | |
Öffentlichkeit ist besser informiert und kritischer geworden. Sehr viele | |
andere Firmen fliegen jedoch noch immer unter dem Radar der öffentlichen | |
Wahrnehmung hindurch. | |
Zwingen auch schärfere internationale Regularien die Wirtschaft inzwischen | |
zu partiellem Wohlverhalten? | |
Es tut sich was. Beispielsweise stellen die Verhaltensrichtlinien, die der | |
UN-Beauftragte John Ruggie entwickelt hat, eine enorme Verbesserung dar. | |
Aber auch dieses Rahmenwerk ist in letzter Konsequenz nicht rechtlich | |
verbindlich. Auch fehlen beispielsweise internationale Gerichte, vor denen | |
solche Grundsätze eingeklagt werden könnten. | |
6 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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