# taz.de -- Hamburger Theaterszene: Der Klüngel lebt | |
> Die Symbiose des Schauspielhauses mit den Größen der Hamburger Subkultur | |
> geht künstlerisch meist daneben. Jüngster Fall: die Adaption des Romans | |
> "Sowas von da". | |
Bild: Angekommen: Tino Hanekamps Theater-Alter-Ego Oskar Wrobel im Schauspielha… | |
HAMBURG taz | Das Schöne am Alter ist, dass sich die Menschen das eine oder | |
andere Blatt nicht mehr vor den Mund nehmen. Bei der Premiere des | |
Theaterstücks „Sowas von da“ zum Beispiel: Die Aufführung geht dem Ende | |
entgegen, seit zwei Stunden wird von einer wilden Partynacht erzählt, die | |
ein 23-jähriger Clubbetreiber in Hamburg erlebt. „Ich will nicht, dass es | |
vorbei ist“, ist der Text einer jungen Frau auf der Bühne. „Ich schon“, | |
sagt eine grauhaarige Frau in der dritten Reihe zu ihrem glatzköpfigen | |
Partner. | |
Nachdem es dann endlich geschafft ist, nachdem der Club im Chaos versunken | |
und das Mädchen der Wahl erobert ist, kommt einer beim Schlussapplaus mit | |
auf die Bühne. Im dunklen Zweireiher steht er da, wirft eine Haarsträhne | |
nach hinten und schaut trotzig ins Publikum. Dieser junge Mann will | |
gefeiert werden, aber nicht von diesem Publikum. Er heißt Tino Hanekamp, | |
ist 33 und hat das Buch geschrieben, das an diesem Abend für’s Theater | |
adaptiert wurde. | |
## Fest für Lokalpatrioten | |
Abgesehen vom Premieren-Applaus klappt das mit dem Gefeiert-Werden schon | |
ganz gut. Dem Hamburger Abendblatt ist das Stück zwei Kultur-Aufmacher | |
hintereinander wert: Am Samstag die Ankündigung, am Montag die Kritik. Das | |
Theater selbst verzeichnet eine enorme Anfrage, auch die Vorstellung nach | |
dem Premieren-Abend ist bereits voll besetzt mit Journalisten, Freunden, | |
VIPs. Anders klingt nur die Hamburger Morgenpost: Sie stutzt den Hype unter | |
der Überschrift „Theaterspaß für Lokalpatrioten“ auf ein angemessenes Ma… | |
zurück. | |
„Sowas von da“ erzählt von der letzten Party in einem Kiez-Club, der | |
anderntags abgerissen werden soll. Unschwer ist zu erkennen, dass es es | |
sich dabei um die „Weltbühne“ handelt, die Autor Hanekamp vor einigen | |
Jahren auf und groß machte – und wieder zu: Das Gebäude, in dem sie sich | |
befand, wurde abgerissen. Danach gründete Hanekamp den Club „Übel und | |
Gefährlich“ mit, inzwischen auch eine große Szene-Nummer. So groß, dass | |
sein Ruf bis nach Osterholz-Scharmbeck und Leckerhölken gedrungen ist. | |
Entsprechend durchmischt ist mittlerweile das Publikum. Aber wer zum | |
engeren Kreis gehört, darf Backstage feiern – mit den wirklich coolen | |
Leuten wie Hanekamp. | |
Hanekamps Roman ist nun nicht nur die Würdigung eines vergangenen Clubs, er | |
ist auch die Würdigung seiner Betreiber und damit eine offensive | |
Selbstdarstellung. Die sieht so aus: Ein verpeilter Hipster namens Oskar | |
Wrobel erlebt in weniger als 24 Stunden das ganze Leben. Von Sex über | |
Kriminalität, Drogen, Tod, Freundschaft, Liebe und Musik ist alles dabei, | |
und zwar eingebettet in ein zünftiges Kiez-Szenario: Da ist der Zuhälter | |
namens Kiez-Kalle, der von Wrobel Geld fordert; die Kiez-Tanke, wo Wrobel | |
für die Party einkauft; die Innensenatorin, die mal cool war und scheiße | |
geworden ist. Die Zeit, die drängt: Wrobel muss die letzte große Party | |
vorbereiten und weil er so verpeilt ist und schräge Gespräche führt, ist es | |
eine unterhaltsame Geschichte. | |
## Erfolgreiches Debüt | |
30.000 Mal hat sich „Sowas von da“ verkauft, für das Debüt eines jungen | |
Autors ist das beachtlich. Das hat sich auch das Hamburger Schauspielhaus | |
gedacht und Regisseurin Jorinde Dröse, 37, mit der Theateradaption | |
beauftragt. Dröse ist eigentlich Hausregisseurin am Berliner Maxim | |
Gorki-Theater und inszeniert das Hamburger Lokalkolorit so, wie es | |
vermutlich auch Til Schweiger gemacht hätte: freundlich, aber an der Grenze | |
zur Karikatur. Kiez-Kalle trägt Pilotenbrille, Rockstar Rocky Lederjacke | |
und Nietengürtel, Clubbetreiber Wrobel dandyesken Zweireiher – so wie | |
Hanekamp selbst im wirklichen Leben. | |
Die Inszenierung bleibt eng an der Vorlage: Die Schauspieler versuchen, | |
möglichst glaubwürdig die Figuren aus dem Roman zu verkörpern. Die Dialoge | |
werden größtenteils eins zu eins übernommen, die leere Bühne geht gut als | |
Tanzfläche durch. Ab und zu gibt es Videoeinspielungen in Schwarz-Weiß, sie | |
zeigen Wrobels Erinnerungen an seine verlorene Liebe. Es werden viele | |
Bühnen-Zigaretten geraucht und die Band 1.000 Robota macht live sehr | |
professionelle Theatermusik. | |
Die Inszenierung zeigt, dass auch noch so spritzige Dialoge auf der Bühne | |
scheitern können, wenn die Charaktere flach bleiben. Und wie schwierig es | |
ist, auf der Bühne Ironie herzustellen: Im Roman macht sie viele altkluge | |
Lebensweisheiten erträglich. Auf der Bühne dann wird es dann bitter bei | |
Sätzen wie: „Ich glaube, der Tod ist gar nicht so schlimm, wenn man richtig | |
gelebt hat.“ Oder: „Sie war schon immer schöner als alle anderen schönen | |
Mädchen, weil sie sich ihrer Schönheit nicht bewusst ist. Das ist ja die | |
wahre Schönheit.“ | |
Die Inszenierung legt frei, was der Roman kaschieren konnte: Es handelt | |
sich eigentlich um ein Jugendbuch. Verblüffend ist der Auftritt einer | |
fiktiven Hamburger Innensenatorin: Sie sagt, Wrobel werde „in ein paar | |
Jahren in einem unserer Theater arbeiten“. Das steht wörtlich so im Buch. | |
## Geben und Nehmen | |
Insofern hat sich Hanekamps Prophezeiung selbst erfüllt. Es ist ja auch | |
naheliegend, in Hamburg, am Schauspielhaus: Dort laufen immer wieder Stücke | |
oder Bearbeitungen von Texten lokaler, ehemaliger Subkultur-Akteure. Studio | |
Braun sind regelmäßig zu Gast, sei es, um Rocko Schamonis „Dorfpunks“ oder | |
Heinz Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“ zu verwursten, oder um mit „Rust… | |
gleich ganz eigenen Theaterstoff auf die Bühne zu bringen. | |
Das Ergebnis ist in der Regel schräger Boulevard, bei dem die Frage im Raum | |
steht, ob dafür nicht eines der Privattheater an der Reeperbahn der bessere | |
Ort wäre. | |
Die Strategie ist ein Geben und Nehmen: Das Schauspielhaus kann auf | |
Verbundenheit mit der örtlichen Szene verweisen, im Gegenzug wird der Laden | |
voll. Die Szene schafft den Sprung in die Hochkultur und kommt ran an die | |
dazugehörigen Honorartöpfe. Auch verblasste Bands wie 1.000 Robota werden | |
das zu schätzen wissen. | |
Eine Folge ist, dass die örtliche Szene wie in der Politik ihre | |
Seilschaften bedient. Wer ins Schauspielhaus einzieht, zieht manche mit und | |
lässt andere zurück. Man kann das Klüngel nennen. In Hamburg ist er sowas | |
von da. | |
15 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
Klaus Irler | |
## TAGS | |
St. Pauli | |
Hamburg | |
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