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# taz.de -- Zapatisten in Mexiko: Schweigemärsche der Maskierten
> Trotz Maya-Kalender ist die Welt nicht untergegangen. Mit der Rückkehr
> der Zapatisten in die Öffentlichkeit beginnt in Mexiko ein neuer
> politischer Zyklus.
Bild: Sie schweigen, um gehört zu werden: Zapatisten in Chiapas.
Die Zapatisten sind zurückgekehrt. Oder besser gesagt: Die indigenen
Rebellen haben unmissverständlich vor Augen geführt, dass sie immer noch da
sind. Denn wer nie gegangen ist, kann nicht zurückkehren, schrieb Luis
Hernández Navarro von der Tageszeitung La Jornada, nachdem die
Aufständischen aus dem südmexikanischen Bundesstaat Chiapas kurz vor
Weihnachten spektakulär in Erscheinung getreten waren.
Just an jenem 21. Dezember, an dem rund um den Globus Esoteriker dem
Weltuntergang entgegenfieberten und Touristen an Mexikos Maya-Pyramide
Chichén Itzá Kerzen in den karibischen Sternenhimmel streckten, gingen
wenige Hundert Kilometer weiter südlich über 40.000 Zapatisten auf die
Straße, um auf ihre Weise auf diesen Tag aufmerksam zu machen.
Es war ihr größter Aufmarsch, seit das Zapatistische Befreiungsheer EZLN im
Januar 1994 mit einem bewaffneten Aufstand erstmals öffentlich auftrat, um
Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit für die indigene Bevölkerung
einzufordern. Am frühen Morgen kamen sie aus den Dörfern des Lakandonischen
Regenwaldes und den Bergen von Chiapas nach San Cristóbal de la Casas und
in vier weitere Städte der Region. Niemand hatte zu diesem Zeitpunkt mit
ihnen gerechnet, denn die Rebellen sind aus der öffentlichen Wahrnehmung
fast verschwunden.
Seit Langem haben sie sich darauf konzentriert, in ihren Regionen autonome
Regierungen zu entwickeln, eigene Schulen und Krankenhäuser zu bauen und
ihre Dörfer gegen Angriffe zu verteidigen. Das aber ist nicht der Stoff,
aus dem Schlagzeilen gemacht werden. Nur noch einige Menschenrechtler und
enge Verbündete interessierten sich dafür, dass die Indigenen weiterhin von
paramilitärischen Gruppen terrorisiert werden.
## Schweigen, um gehört zu werden
Mit den Demonstrationen haben die Zapatisten den öffentlichen Raum nun
zurückerobert. Vermummt mit ihren schwarzen Masken, zogen zigtausende
Frauen, Männer und Kinder schweigend durch die Straßen. Keine Parolen, kein
Redebeitrag, keine Transparente. Nur eine kurze Botschaft: „Habt ihr das
gehört? Es ist der Klang eurer Welt, die zusammenbricht. Es ist der Klang
unserer Welt, der wiederkehrt“, schrieb der EZLN-Sprecher Subkommandant
Marcos in einem Kommuniqué und griff damit eine alte
Kommunikationsstrategie wieder auf: Sie verhüllen ihr Gesicht, um gesehen
zu werden, und sie schweigen, um gehört zu werden.
Ein Schweigen, das verstanden wurde: Die Sprache könne sich des Grauens der
barbarischen Verhältnisse nicht mehr annehmen, reagierte der Dichter Javier
Sicilia, Initiator der Bewegung gegen den anhaltenden Krieg in seinem Land,
und schrieb in Anlehnung an Adorno: „Es bleibt nur die Stille.“
Wie für viele andere indigene Gruppen stand der 21. Dezember für die
Zapatisten nicht für das Ende der Welt, sondern für den Beginn eines neuen
Zyklus der Maya-Kultur. Mit diesem Bezug bekräftigen sie ihren Willen,
weiter den Weg zu gehen, den sie vor langer Zeit eingeschlagen haben: Sie
orientieren sich an ihrem Kalender und ihrer Geschichte, die politische
Klasse – von links bis rechts – hat ihnen nichts zu bieten.
## Die Rückkehr des Dinosauriers PRI
Drei ausführliche Kommuniqués, mit denen die EZLN in den letzten Wochen
dann das Schweigen brach, bestätigten diese Haltung. Sie handeln unter
anderem von einem ganz weltlichen neuen Zyklus: von der Übernahme des
Präsidentenamts im Dezember durch Enrique Peña Nieto von der ehemaligen
Staatspartei PRI. Für die Zapatisten bedeutet die Rückkehr des Dinosauriers
PRI einen wichtigen Einschnitt.
Schließlich war es eine von dieser Partei gestellte Regierung, gegen die
das zapatistische Befreiungsheer 1994 bewaffnet angetreten war, und bis
heute sind es meist PRI-nahe Gruppen, die die Aufständischen angreifen.
Selbstbewusst erklärt die EZLN: „Sie haben nie abgedankt, wir aber auch
nicht!“
Auch linke Parteien stehen in der Kritik der Zapatisten: „Die schlechten
Regierungen des gesamten politischen Spektrums haben ohne Ausnahme alles
dafür getan, uns zu zerstören, uns zu kaufen und uns zum Aufgeben zu
zwingen.“
Diese Haltung brachte ihnen in den letzten Jahren den Zorn vieler
mexikanischer Oppositioneller ein. Bei den Präsidentschaftswahlen 2006
hatten sie sich gegen den Kandidaten Andrés Manuel López Obrador gestellt,
während Gewerkschafter, Stadtteilaktivisten, linke Bauernorganisationen und
Intellektuelle auf den Linkspolitiker setzten. Zu viele schlechte
Erfahrungen hatten die Zapatisten mit Obradors damaliger Partei PRD
gemacht, deren Abgeordnete einem Indigenen-Gesetz zugestimmt hatten, das
die meisten Indigenen ablehnten.
## „Wir brauchen sie nicht, um zu überleben“
Ihre konsequente Verweigerung gegenüber reformorientierter Politik führt
dazu, dass sich viele Linke von den Rebellen entfernten. Diese wiederum
konzentrierten sich im Gegenzug noch stärker auf ihre indigene Basis sowie
soziale Bewegungen. Und daran halten die Zapatisten fest. „Wir brauchen sie
nicht, um zu überleben“, schreiben sie über die parteipolitische Linke.
Trotz dieser radikalen Positionierung haben die Schweigemärsche der
Maskierten ein ungewöhnlich starkes Echo in Mexiko provoziert. Angesichts
der Rückkehr der PRI ist zu erwarten, dass außerparlamentarische Bewegungen
wieder schärfer angegriffen werden.
In ihrer 70-jährigen Regierungszeit ist die Partei immer repressiv gegen
Oppositionelle vorgegangen, die sich nicht integrieren ließen. Zudem haben
soziale Bewegungen an Bedeutung gewonnen, nachdem sich linke Parteien
weitgehend diskreditiert haben und, wie fast die gesamte politische Klasse,
im besseren Falle nur korrupt sind, im schlechteren zudem eng mit der Mafia
zusammenarbeiten. Es werden also vor allem emanzipatorische Initiativen
jenseits der Parlamente sein, die für ein Ende des Krieges, demokratische
Verhältnisse und ein würdevolles Leben für die indigene Bevölkerung
kämpfen.
„Es gibt ein breit gefächertes politisches und soziales Territorium, das
die Parteilinke nicht abdeckt“, schätzt Kommentator Hernández ein, und „d…
Zapatisten genießen eine unangezweifelte politische Autorität unter denen,
die sich in diesem Bereich bewegen.“
## Netzwerk der „Räte der guten Regierungen“
Optimistisch ist auch Pablo González Casanova, einst Rektor der Nationalen
Autonomen Universität von Mexiko (Unam) und immer noch ein angesehener
Intellektueller. „Revolution oder Sozialismus“ will er nur auf der
Grundlage einer tiefgreifenden Demokratie denken, und gerade deshalb seien
die Zapatisten mit ihrem Prinzip des „gehorchenden Regierens“ weiterhin
wegweisend. Nach diesem Konzept organisieren die Aufständischen ihre „Räte
der guten Regierungen“. Trotz vieler Fehler sei ihre andere Art, Politik zu
machen, schon Wirklichkeit, sind sie selbst überzeugt.
„Die der PRI nahestehenden Indigenen kommen in unsere Krankenhäuser,
Kliniken und Laboratorien, weil es in denen der Regierung keine Arznei,
keine Apparate, keine Ärzte und kein qualifiziertes Personal gibt.“
Zweifellos können die Zapatisten selbstbewusst auf ihre Errungenschaften
blicken. Während viele ländliche Regionen von der Mafia kontrolliert
werden, können sie sich der Kriminellen erwehren. Mittlerweile ist in den
Gemeinden eine neue Generation von Zapatisten herangewachsen.
Viele, die am 21. Dezember 2012 auf die Straße gingen, waren zu Zeiten des
Aufstands noch Kinder. „Ohne Eile, aber auch ohne Pause ist der Zapatismus
von innen gewachsen, hat neue Generationen mit anderen Vorstellungen von
Gerechtigkeit und Würde hervorgebracht“, skizziert Gustavo Ogarrio diese
Entwicklung in der Jornada.
## „Nie mehr ein Mexiko ohne uns!“
Fernab der tagespolitischen Agenda haben die Indigenen ihre Glaubwürdigkeit
also stärken können. Sie haben bewiesen, dass sie es ernst meinen: „Nie
mehr ein Mexiko ohne uns!“ Ihre stoische Kontinuität, ihr kohärentes
Handeln, ihr unnachgiebiger Einsatz für die Würde und Rechte der Indigenen
hat sie auch in Zeiten durchhalten lassen, in denen der linke Mainstream
sich distanzierte.
Wohl deshalb klingt in ihren Äußerungen immer auch etwas Trotz durch. „Sie
fühlen sich nicht besiegt, aber verraten“, analysiert Jenaro Villamil in
der Wochenzeitung proceso. In einer Gesellschaft, die das politische
Spektakel suche, sei es schwierig, die Signale einer Bewegung wie der EZLN
zu verstehen. „Gerade deshalb verweist ihre Fähigkeit, die Aufmerksamkeit
wieder auf sich zu lenken, auf den Beginn eines neuen Zyklus“, ist auch
Villamil überzeugt.
Das haben offenbar auch Mexikos regierende Politiker verstanden. Präsident
Peña Nieto fühle sich der indigenen Bevölkerung verpflichtet, ließ der neue
Innenminister Miguel Osorio Chong nach den Schweigemärschen wissen und hat
die Zapatisten um Geduld gebeten. Diesen Gefallen werden die Aufständischen
der Regierung ganz sicher nicht tun.
22 Jan 2013
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
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