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# taz.de -- Der Weltuntergang der Maya: Er kam und kam nicht
> Wir sind heute besser denn je in der Lage, die Welt zu zerstören. Deshalb
> halten wir uns lieber an die Maya und den großen Knall.
Bild: Die Esoterik ist ein schlecht sortierter Trödelladen. Darin gibt es auch…
„Wir haben sämtliche Wahrheiten gegen uns. Aber wir setzen unser Leben
fort, weil wir sie einfach hinnehmen und uns weigern, die nötigen Schlüsse
zu ziehen.“
E. M. Cioran, „Lehre von Zerfall“
Die Esoterik ist ein schlecht sortierter Trödelladen, in dem Trottel von
Gaunern bedient werden und deshalb beide bekommen, was sie suchen. Das Ende
der Welt? Oh, da hätten wir eine große Auswahl. Exotische Antiquitäten.
Armageddon, Apokalypse, Kataklysmus, Ekpyrosis, Parusie, Ragnarök, Muspilli
… gestern haben wir noch ein aktuelles Angebot reinbekommen, ein abstraktes
Produkt aus mesoamerikanischer Fertigung, fair gehandelt, präkolumbianisch,
von einem Volk, das schon untergegangen ist. Die kannten sich also aus. Wer
auch immer bei den Maya für das Zählen aller Tage verantwortlich war, der
hat angeblich am 21. 12. 2012 einen folgenreichen Punkt gemacht.
Täglich gehen Welten unter, überall. Eine Welt ohne Untergang ist nicht
vorstellbar. Sie wäre nicht einmal wünschenswert. Alles hat ein Ende. Also
auch die Welt als „alles, was der Fall ist“. Die Endlichkeit jedweder
Systeme ist eine naturwissenschaftliche Tatsache, formuliert im zweiten
Hauptsatz der Thermodynamik. Älter noch als Rudolf Clausius und sein
Begriff der „Entropie“ sind die dunklen Ahnungen früherer Hochkulturen, die
ihre eigenen Ordnungen, da bedingt, immer auch als prekär empfinden
mussten.
Wer einen Schöpfungsmythos hat, hat in der Regel auch eine ähnlich
fantasievolle Vorstellung vom Ende der Schöpfung. In den abrahamitischen
Religionen münden altägyptische und altpersische Ideen von einem finalen
Weltgericht in eine vergleichsweise heitere Vision, wie sie in der
Offenbarung des Johannes dargelegt ist. Der Herr wird kommen und richten
über die Lebenden und die Toten, wobei die Toten aufgeweckt und die
Lebenden „verwandelt“ werden.
Das Ende der Welt erscheint hier als tröstlicher Erlösungshorizont, hinter
dem sich ein vom Bösen gereinigtes „Reich Gottes“ erstreckt – was das
Eingeständnis beinhaltet, dass die bestehende Welt vom Bösen verunreinigt
und daher zu verwerfen ist. Die Rückkehr Jesu, die dem liederlichen
Pantheon der antiken Welt ein Ende machen würde, wurde von seinen Anhängern
quasi stündlich erwartet.
## Das Weltende kam und kam nicht
Aber er kam und kam bis heute nicht, desgleichen das Ende der Welt. Die
frühen Christen, ungeduldig und ratlos über so viel messianische
Saumseligkeit, verfielen auf den naheliegenden Gedanken, der hohe Gast
müsse aufgehalten worden sein. Tatsächlich ist im 2. Brief des Paulus an
die Thessalonicher von einem Aufhalter („Katechon“) die Rede, der Christus
absichtlich den Weg versperrt. Und das „bald“, mit dem Christus selbst
seine Ankunft in Aussicht stellt, wird bald bevorzugt mit „plötzlich“
übersetzt: „Siehe, ich komme wie ein Dieb“ (Offenbarung 16,15).
Um das Jahr 1000 ranken sich viele Legenden über die Angstlust der
Christenheit, über Plünderer und einen zitternden Papst Silvester II. –
dabei dürften die Menschen damals von Jahreszahlen kaum einen Schimmer
gehabt haben.
Seit dieser ersten Apokalypse mit Ankündigung haben zahllose
Zahlenmystiker, Astrologen, Theologen, Künstler oder Dorfpfarrer immer
wieder aller Tage Abend verkündet.
## Wie weit die Angst reicht
Martin Luther sagte es gleich dreimal voraus, für 1532, für 1538 und für
1541. Wegen geringer Reichweite der Propheten beschränkte sich die Angst in
vormedialen Zeiten aber meistens auf ihr eingeschränktes
Verbreitungsgebiet.
Inzwischen können wir unseren Bedarf an Weltuntergängen mit Bordmitteln
decken: Plagen oder Fluten verursachen und Feuer vom Himmel regnen lassen.
Eine Apokalypse ist nicht eben unwahrscheinlicher geworden. Die Sorge vor
natürlichen Phänomenen wie Kometen, Epidemien, Vulkanausbrüchen oder
Außerirdischen wächst. Religiöse Vorstellungen sind an den Rand gedrängt,
wo sie hingehören und Sektenführer ihres Amtes walten.
## Waffen, Wasserfiltern und Tütensuppen
Kurios: Je mehr eine Gruppe von Menschen an einen bevorstehenden
Weltuntergang glaubt, umso mehr glaubt sie auch, mit dem Leben
davonzukommen. Das gilt für die frühen Christen ebenso wie die weltweite
Szene der „Prepper“ von heute, die sich dank Waffen, Wasserfiltern und
Tütensuppen „prepared“ wähnt für die Zeit „danach“. Es ist am Ende w…
dem ganz privaten Tod – den sterben auch immer nur die anderen. Was unserer
Welt unterdessen von Meeresbiologen, Klimaforschern, Ökonomen oder
Soziologen vorausgesagt wird, steht offenbar auf einem anderen, für den
hysterischen Hausgebrauch allzu langweiligen Blatt. „Auf diese Art geht die
Welt zugrunde“, schrieb der Dichter T. S. Eliot: „Nicht mit einem Knall,
sondern mit Gewimmer.“ Also nehmen wir die Maya.
Gerne! Gute Wahl. Ich pack’s Ihnen gleich ein. Ach, wissen Sie was? Wenn
Sie die Maya nehmen, bekommen sie von mir kostenlos noch einen modernen
Weltuntergang dazu, einen Asteroiden, einen Gammablitz, einen
Vulkanausbruch, eine Polverschiebung und obendrein ein havarierendes
französisches Atomkraftwerk bei Westwind. Schließlich leben wir in
aufgeklärten Zeiten, nicht wahr?
21 Dec 2012
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Maya-Kalender
Weltuntergang
Esoterik
Zapatisten
Zivilschutz
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