Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 50 Jahre Deutsche Kinemathek: Für Sammler und Connaisseure
> Schon Kinemathek-Gründer Gerhard Lamprecht hatte gegen viele Widerstände
> zu kämpfen. Und auch heute steht nicht alles zum Besten.
Bild: Ort der Filmgeschichte: Die Deutsche Kinemathek gibt es seit 50 Jahren.
Am 25. Mai 1963 fand in der Westberliner Akademie der Künste eine
Veranstaltung von filmpädagogisch und filmpolitisch historischem Interesse
statt. In einem vierstündigen Programm wurde Paul Lenis Stummfilmklassiker
„Das Wachsfigurenkabinett“ zusammen mit Kurzfilmen von Alexander Kluge,
Haro Senft, Walter Krüttner, Edgar Reitz und anderen Unterzeichnern des
Oberhausener Manifests aufgeführt. Der alte und der neue deutsche Film
fanden in friedlicher Eintracht zueinander, obwohl die Jungen das Ende von
„Opas Kino“ ausgerufen hatten.
Das Programm erwies sich als voller Erfolg, die Akademie war bis auf den
letzten Platz ausverkauft. Der Andrang überraschte nicht: Mit der
Veranstaltung stellte sich die sechs Wochen zuvor gegründete Deutsche
Kinemathek erstmals der Öffentlichkeit vor.
Das Programm hatte der Förderverein Freunde der Deutschen Kinemathek
kuratiert, der mit der inhaltlichen Arbeit an der Filmsammlung betraut war.
Die Akademie der Künste, die Deutsche Kinemathek und die Freunde der
Deutschen Kinemathek (die sieben Jahre später in der Welserstraße das Kino
Arsenal eröffnen sollten): Diese ungewöhnliche Konstellation von drei
Institutionen mit sehr unterschiedlichen Kulturaufträgen lässt die
schwierigen Umstände erahnen, mit denen das Projekt „Deutsche Kinemathek“
von Beginn an zu kämpfen hatte.
Am Donnerstag feiert die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und
Fernsehen (so der offizielle Name heute) ihren 50. Geburtstag. Man muss
sich aus diesem Anlass die komplizierte Gründungsgeschichte noch einmal in
Erinnerung rufen. Denn der gegenwärtige, unbefriedigende Zustand der
Kinemathek und des föderalen deutschen Filmarchivnetzwerks haben ihre
Ursachen auch in den Ereignissen der Jahre 1960 bis 1962.
## Erschwerte Bedingungen bei der Gründung
Seit 1978 gibt es in Deutschland den sogenannten Kinemathekenverbund, einen
Zusammenschluss von elf Institutionen (darunter das Bundesfilmarchiv, das
Deutsche Filminstitut in Frankfurt und die Kinemathek), die aufgrund
unzureichender Finanzierungsmittel im Vergleich zu anderen nationalen
Filminstituten und -museen in England, Dänemark, Frankreich oder Österreich
kaum mehr handlungsfähig sind.
So existiert bis heute nicht einmal eine gemeinsame Datenbank. Diese
Situation ist eigentlich eine politische Bankrotterklärung. Dass die
Filmmuseen in Berlin, Potsdam, Frankfurt und München dennoch so
verdienstvolle Arbeit leisten, grenzt an ein Wunder.
Große Pläne für eine Deutsche Kinemathek gab es früh. Schon Ende der
fünfziger Jahre hatte der Berliner Regisseur Gerhard Lamprecht („Emil und
die Detektive“) vergeblich versucht, sein umfangreiches Privatarchiv, das
bis in die Anfangstage des Kinos zurückreicht, in die Gesellschaftsform
einer öffentlichen Stiftung zu überführen, die den Grundstein für eine
Deutsche Kinemathek legen sollte.
Etwa zeitgleich verfolgte die Kultusministerkonferenz den sinnvollen Plan,
alle Filmsammlungen in einem zentralen Archiv zusammenzuführen, und zwar in
Wiesbaden, wo sich das der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft
angegliederte Deutsche Institut für Filmkunde (DIF) befand. Lamprecht aber
wollte seine Filme unbedingt in Berlin halten.
## Willy Brandt holte die Kinemathek nach Berlin
Auch der Regierende Bürgermeister Willy Brandt hatte Pläne geschmiedet. Er
träumte nach der Teilung Berlins von einem neuen europäischen
Kulturzentrum, zu dem neben der Akademie der Künste, der Deutschen Oper,
der Staatsbibliothek und der Philharmonie auch eine Kinemathek gehören
sollte.
Im Juli 1962 stimmte der Senat dem Kauf der Sammlung Lamprecht zu und
übertrug dem Trägerverein Deutsche Kinemathek e. V. die Verantwortung für
das Material. Die Frage der Räumlichkeiten blieb weiter ungeklärt. Viel
gravierender aber war, dass mit diesem politischen Beschluss die Gründung
eines zentralen deutschen Filmarchivs in weite Ferne rückte.
Nun stellt sich die Frage, was es für die Geschichtsschreibung bedeutet,
wenn die Grundlagen einer systematischen Filmforschung nicht angemessen
gefördert werden und zudem in alle Winde verstreut sind. Rolf Aurich kommt
in seinem Buch „Mosaikarbeit“ über die Geschichte der Sammlung Lamprecht
und der deutschen Filmarchive, das die Kinemathek zu ihrem Jubiläum mit
zwei weiteren Bänden über Gerhard Lamprecht herausbringt, zu einem nicht
minder resignativen Urteil: Eine „umfassende Geschichte des Films in
Deutschland“ fehle bislang.
Zwar existiert seit 1989 der Verein Cinegraph, gibt es Gero Ganderts
Standardwerk „Der Film der Weimarer Republik – 1929“ (bislang der einzige
Jahrgang zum Weimarer Kino) und die von Wolfgang Jacobsen, Hans Helmut
Prinzler und Anton Kaes herausgegebene Anthologie „Die Geschichte des
deutschen Films“ – aber ein Gesamtbild liegt nicht vor. Jacobsen, Prinzler
und Kaes konstatierten 1993: „Das Schreiben über die deutsche
Filmgeschichte ist Arbeit an einer Baustelle.“
## Pionierarbeit in der Erforschung des Films
Die Deutsche Kinemathek hat mit ihren zahlreichen filmhistorischen
Publikationen und Retrospektiven dennoch unschätzbare Pionierarbeit für die
Erforschung des deutschen Films geleistet. So förderte Gero Ganderts
jahrelange Spurensuche in den USA einen beinah vergessenen Strang deutscher
Filmgeschichte, das Exilkino, zutage: Briefwechsel, Drehbücher, Kostüme,
Rechnungen, Verträge, Fotografien von Hollywood-Stars wie dem Produzenten
Paul Kohner, Gründer des European Filmfund, den Regisseuren William
Dieterle und Billy Wilder oder den Schauspielern Curtis Bernhardt und Dolly
Haas. Gero Gandert hat viele von ihnen noch persönlich kennengelernt und zu
jedem mindestens eine Anekdote zu erzählen.
Die Gesamtheit der 430 Exil-Nachlässe, die seit den späten siebziger Jahren
durch Schenkungen und Ankäufe in den Bestand der Kinemathek übergegangen
sind, schärfte auch das Bewusstsein dafür, dass die jüdischen
Filmschaffenden, die das Land 1933 verlassen mussten, eine schmerzvolle
Leere in der deutschen Filmgeschichte hinterließen. Wie aber verhält sich
diese Leerstelle zur offiziellen deutschen Filmgeschichte? Und kann man den
deutschen Film überhaupt bewerten, ohne das Exilkino zu berücksichtigen?
Die diesjährige Berlinale-Retrospektive mit dem Titel „The Weimar Touch“,
die die Spuren des Exilkinos nach 1933 verfolgt, greift diese Frage
indirekt wieder auf. Wie der Filmhistoriker Jan-Christopher Horak in seinem
Beitrag zu „Die Geschichte des deutschen Films“ schreibt, muss das deutsche
Exilkino „als ein parallel zum Film des ’Dritten Reichs‘ verlaufendes
Kapitel der deutschen Filmgeschichte gelesen werden“: eine „Fortführung der
demokratischen Traditionen des deutschen Kulturlebens“. Die Retrospektive
ist beispielhaft für den offenen Blick der Kinemathek auf die
Filmgeschichte, die immer von Brüchen, Sprüngen und Verschiebungen
gezeichnet war.
## Vom Weimarer Kino zum Neuen Deutschen Film
Man kann in dem Filmprogramm vom 25. Mai 1963 also schon einen
programmatischen Ansatz erkennen: den Brückenschlag vom Weimarer Kino –
auch wenn Regisseur Paul Leni streng genommen kein Exilant war – zum Neuen
Deutschen Film, der sich ja aus Protest gegen die Generation der Nazi-Väter
formiert hatte.
Das fünfzigjährige Bestehen der Deutschen Kinemathek verdeutlicht auch noch
einmal, dass die Filmgeschichtsschreibung eine Domäne von Sammlern und
Connaisseuren gewesen ist. Viele renommierte Filmarchive – die Sammlung des
EYE Filminstitut in Holland, die Cinémathèque Française, die Cinémathèque
Royale in Brüssel, das George Eastman House in Rochester – existieren dank
der Akribie und Initiative privater Sammler. Auch daran erinnern die drei
Jubiläumspublikationen über Gerhard Lamprecht.
Lamprecht allerdings stellte im internationalen Archiv-Verbund noch einen
Sonderfall dar. Er hatte den Blick des Connaisseurs und des
Filmschaffenden. Früher als die meisten seiner Kollegen verstand er die
Komplexität der archivarischen Tätigkeit: angefangen bei den
Produktionsprozessen bis hin zur Bewahrung und Vermittlung des Filmerbes.
Fünfzig Jahre später scheint diese Erkenntnis noch immer nicht in das
kulturpolitische Bewusstsein gesickert zu sein.
24 Jan 2013
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Film
Kino
Willy Brandt
Edgar Reitz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Filmstart „Die andere Heimat“: Geschundenes Deutschland
Mit seinem Filmepos „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ schaut
Edgar Reitz auf die triste, ärmliche deutsche Provinz im 19. Jahrhundert.
Retrospektive Berlinale: Eine Schutzgemeinschaft im Film
„The Weimar Touch“: Über das Filmschaffen der Exilanten, die vor den Nazis
ins Ausland flüchten mussten. 31 berühmte, aber auch unbekannte Werke.
Retrospektive der Berlinale: Die Schau der Dinosaurier
Das Gedächtnis des Kinos: Die Entscheidung, die diesjährige Retrospektive
dem legendären 70-mm-Breitwandkino zu widmen, hat weltweit für Begeisterung
gesorgt.
Verschollener Stummfilm: Josef von Sternbergs Erbe
Von "The Case of Lena Smith", Josef von Sternbergs berühmtem Stummfilm,
existieren nur noch wenige Minuten. Eine Publikation geht ihrer Spur nach.
Fassbinder-Erbe: "Wünschenswert ist Transparenz"
Um den Nachlass Fassbinders ist ein heftiger Streit entbrannt. Rainer
Rother, Direktor des Berliner Filmmuseums, über den Umgang mit dem Erbe des
Kinos.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.