# taz.de -- Fassbinder-Erbe: "Wünschenswert ist Transparenz" | |
> Um den Nachlass Fassbinders ist ein heftiger Streit entbrannt. Rainer | |
> Rother, Direktor des Berliner Filmmuseums, über den Umgang mit dem Erbe | |
> des Kinos. | |
Bild: Rainer Werner Fassbinder, bei Dreharbeiten in München, 1980 | |
taz: Herr Rother, im Zuge der Debatte um die Pflege des | |
Fassbinder-Nachlasses sind auch die Deutsche Kinemathek und das ihr | |
angegliederte Film- und Fernsehmuseums ins Spiel gebracht worden. Kaum | |
läuft etwas schief im privaten Sektor, wird der Ruf nach der öffentlichen | |
Hand laut. Ein typisch deutscher Affekt? | |
Rainer Rother: Die Erklärung der 25 Unterzeichner, den Fassbinder-Nachlass | |
in die Obhut der Deutschen Kinemathek zu übergeben, hat uns selbst | |
überrascht und auch gefreut, weil uns damit natürlich ein Vertrauen in | |
unsere Arbeit ausgesprochen wurde. | |
Bisher haben die kulturpolitischen Organe herzlich wenig für den Erhalt des | |
deutschen Films getan. Ist das Filmerbe nicht vielleicht doch besser in | |
privater Hand aufgehoben? | |
Ich will nicht klagen. Natürlich hätten wir gerne mehr Mittel, aber ich | |
muss auch sagen, dass es für die fehlenden Mittel in der Vergangenheit oft | |
eine Art Kompensation gegeben hat in Form öffentlicher Unterstützung beim | |
Ankauf bedeutender Nachlässe wie denen von Marlene Dietrich, Hildegard Knef | |
oder G. W. Pabst. Leider wird das immer schwieriger und es ist zu hoffen, | |
dass sich die öffentliche Hand bei der Unterstützung des Ankaufs großer, | |
relevanter Sammlungen auch in Zukunft nicht verweigert. | |
Die niederländische Regierung hat gerade 140 Millionen Euro für die | |
Konservierung der gesamten audiovisuellen Bestände in den nationalen | |
Archiven bewilligt. Da müssen dem Leiter einer finanziell schwach | |
ausgestatteten Kinemathek, noch dazu von Weltruf, doch die Tränen in die | |
Augen steigen. Die Fassbinder Foundation brüstet sich damit, dass "Berlin | |
Alexanderplatz" erst die zweite Filmrestaurierung ist, die von der | |
Kulturstiftung des Bundes gefördert wurde. Was läuft falsch in Deutschland? | |
Die Kulturstiftung des Bundes fördert per se nur einzelne Projekte. Sie ist | |
laut Statuten auch gar nicht dazu ausgestattet, die alltäglichen Aufgaben | |
der Kulturpflege zu unterstützen. Gerade Filmarchive befinden sich da in | |
einer sehr schwierigen Lage, weil vielerorts die "Altlasten" enorm sind, | |
bedenkt man nur einmal die Menge an hochempfindlichem Nitrofilmmaterial, | |
das in den Archiven dem Verfall preisgegeben ist. Die politische | |
Aufmerksamkeit für diese laufenden Probleme ist in Deutschland in der Tat | |
sehr gering, obwohl sich das gerade zu ändern scheint. Der Bundespräsident | |
hat sich kürzlich erstmals öffentlich für die Pflege des audiovisuellen | |
Erbes eingesetzt. Das ist ein sehr deutliches politisches Signal. Damit | |
einher geht natürlich die Verantwortung der Archive, das öffentliche | |
Bewusstsein zu stärken, dass das Kulturgut Film stark gefährdet ist. Da | |
müssen wir noch viel offensiver werden. | |
In Amerika gibt es eine prominente Figur wie Martin Scorsese, der immer | |
wieder die Aufmerksamkeit auf die Rettung des Filmerbes lenkt. Fehlt so | |
jemand in Deutschland? | |
Scorsese hat in Cannes seine Kampagne gerade zu einer weltweiten Initiative | |
erweitert, und ich fand es ganz großartig, dass Fatih Akin sofort | |
beigetreten ist und sich für diese Sache starkmacht. Das zeigt mir, dass es | |
auch in der neuen Regisseur-Generation ein starkes Bewusstsein dafür gibt, | |
dass sie nicht nur im Hier und Heute Filme machen, sondern gleichermaßen | |
von der Filmgeschichte abhängig sind. | |
Wie definieren Sie die Aufgaben der Deutschen Kinemathek, und was können | |
Sie hinsichtlich der Pflege des deutschen Filmerbes gewährleisten, was eine | |
kommerzielle Entität - die Fassbinder Foundation ist ja nur nominell eine | |
Stiftung - nicht leisten kann? | |
Das Entscheidende ist, dass wir unparteiisch sind. Wir nehmen alles, was | |
wir haben, gleich ernst. Und im Rahmen unserer Möglichkeiten ist unser | |
Kriterium nicht primär, ob der Film historisch besonders wertvoll ist, | |
sondern: Ist er besonders bedroht? Wenn etwas bedroht ist, genießt es bei | |
uns automatisch Priorität. Das Wichtigste ist natürlich, dass wir, sofern | |
es nach konservatorischen Gesichtspunkten vertretbar ist, jedem | |
Interessierten freien Zugang gewährleisten. | |
Das Problem liegt doch aber darin, dass es in Deutschland immer noch kein | |
wirkliches Bewusstsein für das Kulturgut Film gibt, wie es im Denkmalschutz | |
oder der Kunst längst der Fall ist. Dem Filmmuseum Düsseldorf sind gerade | |
wieder Mittel gekürzt worden, in München kocht man, trotz hervorragender | |
Arbeit, auf kleinster Flamme. Wie viel Mittel aus öffentlicher Hand | |
erhalten Sie? | |
Unser Budget für das Filmarchiv beträgt 60.000 Euro, die für die Erstellung | |
von Sicherheitskopien und Restaurierungen zur Verfügung stehen. Damit kommt | |
man natürlich nicht weit. Ein etwa ebenso großes Budget steht uns für den | |
Ankauf von Sammlungen zur Verfügung. Darum sind wir für die Akquirierungen | |
von Nachlässen wie denen von Hildegard Knef oder Georg Wilhelm Pabst stark | |
auf Drittmittel angewiesen. | |
Finden Sie es nicht kritisch, dass die Pflege von nationalen Kulturgütern | |
privaten Körperschaften überlassen wird? | |
Man muss in solchen Fällen natürlich sehr genau die Interessenlage abwägen. | |
Aber so schlimm sehe ich die Situation in Deutschland derzeit noch nicht. | |
Uns bietet bislang noch kein Privatier größere Geldsummen für eine | |
Filmrestaurierung. | |
Eine Konsequenz ist, dass im kommerziellen Sektor oft sehr viel mehr für | |
den Film als Kulturgut getan wird, weil man Film dort schlicht als | |
wirtschaftliches Kapital begreift. In Amerika funktioniert das ganz | |
hervorragend. Sony zum Beispiel investiert jährlich Millionen und leistet | |
unter konservatorischen Aspekten hochwertige Arbeit. Müsste im Idealfall | |
eine Kinemathek nicht als Mittler zwischen Politik, Filmindustrie, | |
Filmschaffenden und privaten Trägern wie der Fassbinder Foundation | |
fungieren? | |
Man sollte da die Rolle der Kinematheken nicht überschätzen. Wir sind | |
zunächst mal für die Vergangenheit zuständig | |
aber die Vergangenheit beginnt in diesem Augenblick. Das genau ist doch der | |
Denkfehler, der in Deutschland so weit verbreitet ist. | |
Das ist vollkommen richtig, und es ist tatsächlich so, dass die Archive | |
davon profitieren, wenn es dem deutschen Film an sich besser geht. Sobald | |
im deutschen Film etwas passiert, er also in einem gesunden kulturellen | |
Umfeld existiert, verändert sich auch die Wahrnehmung von Film als | |
Kulturgut. Das ist allerdings ein langwieriger Prozess. Der ist nun, auch | |
dank der Initiative von Bernd Neumann, zumindest angestoßen. | |
Ihnen fehlt aber immer noch das politische Mandat. Das fängt schon damit | |
an, dass in Deutschland - im Gegensatz zu Frankreich zum Beispiel - die | |
Pflichtdeponierung von Kopien einer jeden aktuellen Filmproduktion im | |
staatlichen Archiv - sei es im Bundesarchiv oder eben der Kinemathek - | |
gesetzlich bisher nicht geregelt ist. | |
Aus Archivsicht ist das ganz sicher ein notwendiger Schritt, um unsere | |
Position zu stärken. Da haben sich in den letzten Jahren aber bereits | |
kleinere Veränderungen vollzogen. Inzwischen ist es zum Beispiel gesetzlich | |
vorgeschrieben, dass jeweils eine Kopie der von den Film- und | |
Landesförderungsanstalten geförderten Filme an ein Archiv des | |
Kinemathekenverbundes abgegeben werden muss. Das ist noch keine | |
Pflichtabgabe, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Ich glaube auch, | |
dass die Produktionsfirmen langsam zu verstehen beginnen, wie aufwändig die | |
Lagerung und langfristige Konservierung ihrer Filme ist, und dass dies in | |
den Archiven einfach am besten gewährleistet ist. | |
Peinlich wird es, wenn eine so teure und prestigeträchtige Restaurierung | |
wie die von "Berlin Alexanderplatz" derart unprofessionell durchgeführt | |
wird. Die Aufhellung des Films ist ja nur der bekannteste Vorwurf. Hat eine | |
Kinemathek nicht die größere Expertise im Umgang mit Archivmaterialien und | |
eine fundiertere konservatorische Ethik? | |
Da kann ich bezüglich "Berlin Alexanderplatz" nur sehr wenig sagen, weil | |
wir in das Projekt nicht involviert waren und mir persönlich auch über den | |
Zustand der Ausgangsmaterialien nichts bekannt ist. Aber ich stimme Ihnen | |
zu, dass im Fall von Restaurierungen die Expertise von Archiven gefragt | |
sein sollte. Es gibt in Deutschland außerhalb von Filmarchiven bislang | |
leider wenig Verständnis dafür, was Restaurierung genau bedeutet. Wie dem | |
aber auch sei, hat der Rechteinhaber in jedem Fall das letzte Wort. Was | |
wünschenswert wäre, ist, eine Transparenz zu schaffen, die Arbeitsmethoden | |
und Restaurierungsprinzipien offenzulegen. Es herrschte zum Beispiel lange | |
Zeit die Ansicht vor, Filme, die auf 35 mm überliefert sind, nicht digital | |
zu restaurieren. Heute sehen wir, dass digitale Restaurierungen, auch | |
aufgrund der fortgeschrittenen Technik, in bestimmten Fällen gewisse | |
Vorteile bieten. | |
Offenbart sich in der Debatte um den Fassbinder-Nachlass ein strukturelles | |
Problem im Umgang mit dem nationalen Filmerbe? | |
Ich glaube, dass der Streit um den Fassbinder-Nachlass ganz entscheidend | |
dem Wesen und der Arbeitsweise der Fassbinder-Community geschuldet ist. | |
Daran können wir von außen nicht rühren. Ich denke aber, dass Prinzipien | |
der Restaurierung und des Umgangs mit dem Filmerbe zukünftig auf ganz | |
anderer Ebene diskutiert werden müssten. "Berlin Alexanderplatz" ist da nur | |
ein Mosaiksteinchen, ein wichtiges allerdings. Die Archive müssen hier in | |
Zukunft eine ganz entscheidende Rolle einnehmen. Das kann aber nur mit der | |
nötigen politischen Unterstützung funktionieren. | |
11 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Andreas Busche | |
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