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# taz.de -- Retrospektive Berlinale: Eine Schutzgemeinschaft im Film
> „The Weimar Touch“: Über das Filmschaffen der Exilanten, die vor den
> Nazis ins Ausland flüchten mussten. 31 berühmte, aber auch unbekannte
> Werke.
Bild: In „Casablanca“ spielen Schauspieler im Exil Menschen auf der Flucht …
Den Diskurs über das deutsche Exilkino dominierte jahrzehntelang eine
Rhetorik des Verlusts – ein Verlust wohlgemerkt für die einheimische
Filmproduktion nach 1945, die nach der Massenflucht jüdischer
Filmschaffender im Dritten Reich in einer künstlerischen und geistigen
Schockstarre verharrte.
Die Gleichschaltung der Filmindustrie – von Propagandaminister Josef
Goebbels am 28. März 1933 mit dem Ausschluss der jüdischen Mitglieder aus
dem Branchenverband Dacho, der Dachorganisation der filmschaffenden
Künstler Deutschlands, de facto besiegelt – sollte sich bis in die
Filmproduktion der Bundesrepublik hinein bemerkbar machen.
Dieser Makel haftete nach dem Krieg gerade Regisseuren wie Helmut Käutner
und Georg Wilhelm Pabst an, die in Nazi-Deutschland weitergearbeitet
hatten. Gegen das allzu vertraute Lamento, dass die Nationalsozialisten den
deutschen Film um seine kreativsten und klügsten Köpfe brachten, könnte man
allerdings auch positivistisch einwenden, dass die jüdischen Exilanten in
den dreißiger und vierziger Jahren die Kinematografien ihrer Gastländer
nachhaltig bereicherten. In diesem Sinne wäre das Exilkino nicht als
historischer Bruch in der deutschen Filmgeschichte zu verstehen, sondern
vielmehr als Kontinuum.
Die diesjährige Retrospektive hat sich unter dem Themenschwerpunkt „The
Weimar Touch“ dieser Kontinuität verschrieben. Die Auswahl, bestehend aus
31 Filmen aus neun Ländern, nimmt die Spuren auf, die das Weimarer Kino ab
1933 in Europa und den USA hinterließ. Eine Schlüsselrolle spielten dabei
natürlich die jüdischen Filmschaffenden, die sich nach ihrer Flucht im
Ausland eine zweite Karriere aufbauen mussten.
## Spuren in den USA
Neben den rein biografischen Verlaufslinien dieser Migrationsbewegung
versucht das Programm aber auch die Tradierung filmischer Formen sichtbar
zu machen, die noch einmal den internationalen Stellenwert des deutschen
Kinos vor 1933 unterstreichen. Regiegrößen wie Ernst Lubitsch und Wilhelm
Dieterle, die hier mit „To Be or Not to Be“ („Sein oder Nichtsein“) und…
Midsummer Night’s Dream“ vertreten sind, waren schon in den zwanziger
Jahren dem Ruf von Hollywood gefolgt und hatten damit der nächsten Welle
von (unfreiwilligen) Emigranten den Weg bereitet.
Ein anderer bedeutender Emigrant, Friedrich Wilhelm Murnau, der 1926 für
die Fox „Sunrise“ gedreht hatte, wirft hingegen nur einen mächtigen
Schatten über die Retrospektive. Murnau starb 1931, zu früh, um persönlich
den Geist des Weimarer Kinos in die Welt zu tragen, aber sein Einfluss auf
das US-Melodram der dreißiger Jahre war unverkennbar. Anstelle seiner ist
nun John Ford mit dem melancholisch gefärbten Bergarbeiterdrama „How Green
was my Valley“ (in gewisser Hinsicht ebenfalls eine Emigrationsgeschichte)
zu sehen.
Dessen Lichtgebung und delikate Naturverbundenheit waren deutlich von
„Sunrise“ inspiriert. Die beiden Regisseure hatten sich während ihrer
gemeinsamen Zeit bei der Fox noch kennengelernt, und so führte Ford mit
„How Green was my Valley“ gewissermaßen die Murnau-Tradition des Studios
fort.
## Exilkino in Europa
Ein Programm wie „The Weimar Touch“, das das sensible Thema des Exilkinos
mehr als nur streift, ist anfällig für ungebührliche Verklärungen. Max
Ophüls selbst schrieb in seinen Memoiren über seine Flucht nach Paris, dass
„die Emigration keine Härte, sondern eine Reise“ gewesen sei. Die
Geschichte des deutschen Exilkinos ist mit unvorstellbaren menschlichen
Tragödien verbunden. Kurt Gerron steht nur stellvertretend für viele andere
wie Hans Behrendt, Rudolf Bamberger, Fritz Grünbaum oder Max Ehrlich, die
gegen Kriegsende in den Konzentrationslagern umgebracht wurden.
In den Niederlanden wurde Gerron zunächst jedoch – bis zur deutschen
Besetzung 1940 – zu einer Schlüsselfigur der einheimischen Filmproduktion.
Sein launiger Krimi „Het mysterie van de Mondscheinsonate („Das Geheimnis
der Mondscheinsonate“, 1935) ist im Programm als eines von zwei Beispielen
für die kurze Blütezeit des niederländischen Films vertreten. (Der andere
ist Max Ophüls scharfzüngige Finanzsatire „Komedie op het Geld“, die 1936
als „Krönung der niederländischen Filmindustrie“ angekündigt wurde).
Die Niederlande waren als Anrainerstaat von der jüdischen
Auswanderungswelle besonders betroffen. Gleichzeitig entwickelte sich ab
1934 mit Unterstützung der Exilanten aber eine florierende Filmwirtschaft.
Von den 31 Filmen, die hier bis 1940 entstanden, zählt der Filmhistoriker
Jan Christoph Horak 23 zum Exilkino.
Ein anderes seltenes Beispiel für das europäische Exilkino jener Jahre ist
der portugiesische Torero-Western „Gado Bravo“ (1934) mit Olly Gebauer und
dem Komiker Siegfried Arno. Portugal war aufgrund seiner Entfernung zu
Deutschland zunächst beliebter Fluchtpunkt innerhalb Europas. Auch hier
hatten die jüdischen Exilanten maßgeblichen Anteil am Aufschwung der
Filmindustrie. „Gado Bravo“ war seinerzeit ein Meilenstein nicht nur des
Exilkinos, rückblickend gilt er gar als Geburtsstunde des portugiesischen
Tonfilms.
## Solidarität mit den Exilierten
Der international renommierte Schauspieler Arturo Duarte, der Ende der
zwanziger Jahre unter anderem für die Ufa gearbeitet hatte, stellte die
Verbindung nach Berlin her. Seinem Einsatz war es zu verdanken, dass
Gebauer, Arno, der Regisseur Arnold Lippschitz, der Setdesigner Herbert
Lippschitz, der Komponist Hans May und der Kameramann Heinrich Gärtner für
„Gado Bravo“ engagiert wurden. Solidarität sicherte vielen Flüchtlingen
während der beschwerlichen Exiljahre die Existenz.
In Hollywood kümmerten sich besonders die Produzenten Paul Kohner und
Seymour Nebenzal um die Neuankömmlinge aus Deutschland. Denn das
europäische Ausland sollte sich für viele nur als Durchgangsstation
erweisen. Spätestens ab Kriegsanfang 1939 konnte sich kein jüdischer
Filmschaffender in Europa mehr sicher fühlen. So machen die in den USA
produzierten Filme knapp die Hälfte von „The Weimar Touch“ aus.
Neben den Klassikern „Some Like it Hot“ („Manche mögen’s heiß“) von…
Wilder, Orson Welles’ „Touch of Evil“ (mit Marlene Dietrich in ihrer best…
Hollywood-Rolle), Fritz Langs „Fury“, „To Be Or Not To Be und „Casablan…
befinden sich unter den ausgewählten Filmen auch seltene Exemplare wie
Douglas Sirks Hollywood-Debüt „Hitler’s Madman“ über das Heydrich-Atten…
ein schönes Komplementärstück zu Langs „Hangmen also Die!) und die fiktive
NS-Aufsteiger-Kolportage „None shall Escape“ des B-Movie-Veteranen Andre de
Toth. Anti-Nazi-Filme öffneten vielen Exilanten die Tür nach Hollywood.
## Casablanca
Die Programmauswahl stellt jedoch weniger die nationalen Kinematografien in
den Vordergrund, auch wenn sich an den jeweiligen Produktionsbedingungen
die Kontinuitäten des Weimarer Kinos sehr anschaulich aufzeigen lassen. Mit
Themenschwerpunkten wie „Rhythm and Laughter“, „Unheimlich – The Dark
Side“, „Light and Shadow“ und „Know our Enemy“ versucht die Retrospek…
die Genealogien des Weimarer Kinos vor allem motivisch zu verfolgen.
So stellt sich Herman Kosterlitz’ in Österreich entstandene
Verwechslungskomödie „Peter“ als das lange Zeit fehlende Bindeglied
zwischen der deutschen Tonfilmoperette und den Musikfilmen, die Kosterlitz
später unter dem Namen Henry Koster in Hollywood drehte, heraus. Der Film
Noir hingegen ist das wohl bekannteste Beispiel dafür, wie die Regisseure
des Weimarer Kinos eine genuin amerikanische Ästhetik prägten. Von Robert
Siodmak ist im Rahmen der Retrospektive der französische Thriller „Pièges“
(1939) zu sehen, in dem sich die „schwarze Serie“ bereits ankündigte.
Ein besonderes Licht fällt diesem Zusammenhang auf Michael Curtiz’ gut
erforschten „Casablanca“, dessen Rolle innerhalb des Exilkinos aber weithin
verkannt wird. Denn die politische Geschichte des Films spiegelte die
Situation vieler Mitwirkender wider. Curtiz besetzte seinen Film neben den
Stars Paul Heinreid, Conrad Veidt, Peter Lorre und Curt Boisbis in den
Nebenrollen mit Exilanten.
Unter diesem Gesichtspunkt ist die berühmte Barszene, in der die
französischen Gäste die „Marseillaise“ gegen die „Wacht am Rhein“ der
Wehrmacht-Soldaten anstimmen, einer der ergreifendsten Momente der
Retrospektive. In „Casablanca“, einem Film über Menschen in der Fremde,
bildeten die Verstoßenen eine Art Schutzgemeinschaft. Viele von ihnen
mussten sich erst an den Gedanken gewöhnen, dass es für sie vielleicht
keine Rückkehr geben würde.
7 Feb 2013
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Spielfilm
Filmgeschichte
Matt Damon
Film
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