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# taz.de -- Afrika-Cup: Fußballschauen beim Friseur
> Im Brüsseler Viertel Matonge herrscht der Ausnahmezustand. Guineer,
> Ghanaer, Senegalesen und Togolesen fiebern mit beim Afrika-Cup.
Bild: Gelb setzt sich durch: Malis Kalilou im Duell mit Kongos Dieumerci Mbokan…
BRÜSSEL taz | Was Roger Milla, Vincent Kompany und der belgische Expremier
Yves Leterme gemeinsam haben? Einen Besuch bei Coiffeur Chorababa in seinem
sieben Quadratmeter kleinen Studio. Davon zeugen die Fotos an der Wand, auf
denen der Chef mit seinen prominenten Gästen posiert.
Am frühen Montagabend ist Miguel Chorababa, 39, stimmungsmäßig
angeschlagen. „Seit Samstag sind wir raus“, grummelt er. Nur gut, dass er
noch ein zweites Eisen im Feuer hat: „Kongo hat eine gute Equipe“. Auf dem
Sims vor dem Spiegel stehen zwischen Scheren und Kämmen zwei gekreuzte
Fahnen. Chorababas Herz schlägt für Angola und Kongo.
Dicht nebeneinander, wie die beiden Giganten auf der Landkarte Westafrikas,
sitzen an diesem Nachmittag auch die Vertreter beider Länder in Chorababas
Frisierstube in Matonge, einem Kiez im Zentrum von Brüssel. Es ist so eng,
dass die Haare der Kunden kaum den Weg auf den Boden finden. Einige haben
eine goldene Starkbierdose in der Hand, wie sie die Snackbars hier
verkaufen. Noch zwei Stunden, dann tritt das Team der Demokratischen
Republik Kongo beim Afrika-Cup gegen Mali zum entscheidenden Gruppenspiel
an.
Das Leben hat sich verschoben in Matonge, seit das Turnier in Südafrika
angepfiffen wurde. Die Bars füllen sich früher, und nicht alle finden das
gut. Der Ghanaer Jonathan Jones hadert mit den Anstoßzeiten. Wenn es am Kap
losgeht, verkauft er in seinem Eckladen noch Haarersatzteile. Super Promo
Perruque 10 Euro preist ein Plakat an, und er hofft auf Fans, die sich in
Feierlaune ein Exemplar in Gelb-Schwarz, Blau oder Rosa rauslassen. Wenn
keine Kundschaft im Laden ist, liest er alles zum Turnier, was ihm in die
Finger kommt. Prophylaktisch, denn das Match Ghanas beginnt zeitgleich mit
dem der Kongolesen um 18 Uhr.
## Die Senegalesen sind verstummt
Es ist immer das Gleiche in Matonge, wenn Afrika seinen Champion ermittelt:
Drei Wochen lang treffen sich Guineer und Ghanaer, Nigerianer und
Kameruner, Senegalesen und Togolesen zum Fußballschauen. Stressig wird das
eigentlich nie, aber es gibt natürlich Konjunkturen. Vor einigen Jahren
konnte man den Hünen Matiké noch aus den frühen 1990ern erzählen hören, als
er als Reservekeeper Senegals selbst beim Afrika-Cup war. Doch Matiké ist
weggezogen und die Senegalesen sind verstummt, ebenso wie die alte
Großmacht Kamerun.
Dafür hat die stärkste Gruppe in Matonge nun Grund zum Feiern: die
Kongolesen, die sonst meist mit Massendemonstrationen gegen Präsident
Kabila in die Öffentlichkeit treten. Alles fiebert an diesem Nachmittag dem
Anpfiff entgegen. Verkäufer Franck bei Chez Luxene Musengi, der Gemüse und
Kongo-Pop im Angebot hat und erst bei einem Finaleinzug an Sonderangebote
für die Kundschaft denken will, oder Sarah, die Betreiberin der nach ihr
benannten Snackbar. „Ziege zehn Euro“, preisen handgemalte Schilder die
Spezialität des Hauses an, und Sarah sagt, die Equipe in Hellblau und Rot
habe heute eine Pflicht zum Gewinnen.
Ein paar Ecken weiter, in derselben Galerie genannten Mall mit ihren beigen
Fußbodenkacheln, eindeutig das soziale und wirtschaftliche Zentrum
Matonges, ist man bei Coiffeur Chorababa noch immer am Philosophieren. Und
neben der Freude an den Matches ist da noch etwas anderes. „Wenn EM ist,
sitzt immer ganz Afrika vor dem Fernseher“, sagt einer der Kunden. Beim
Afrika-Cup können wir hier endlich mal afrikanischen Fußball sehen. Und die
Europäer interessieren sich langsam auch für das Turnier.“
In der Praxis bleibt da allerdings ein kleiner Haken. Als es kurz nach
Einbruch der Dunkelheit endlich losgeht, trifft die Match-Auswahl
Eurosports auf wenig Zuspruch. Bei den ersten Szenen von Ghana gegen Niger
steht der Geräuschpegel im Café Kuumba in keinem Verhältnis dazu, dass der
Laden prallvoll ist.
## Publikum mit Mantel und Hut
Das Publikum ist vor allem männlich, viele tragen Mantel und Hut, der Rest
ist leger gewandet, und alle springen auf, als auf der Leinwand neben den
Ghana-Szenen ein kongolesischer Spieler erscheint. Parallelschaltung, da
muss etwas passiert sein. Richtig, es gibt Elfmeter. Mbokani, Local Hero
vom RSC Anderlecht, trifft, dann geht es weiter mit Ghana gegen Niger.
Doch nicht mehr lange. Im hinteren Teil des Kuumba hat jemand einen Laptop
mit Livestream arrangiert. Der wandert jetzt nach vorne und landet auf
einem Stuhl. Es dauert etwas, bis die richtigen Kabel dazukommen, doch dann
hängt er am Beamer und nun ist es auf einmal, als habe jemand die Tonspur
im Kuumba eingeschaltet. Es wird laut – und gleich darauf wieder leise, als
die Favoriten aus Mali zum Ausgleich treffen.
Noch hat Matonge Hoffnung. Die zweite Halbzeit soll es richten, die
„Belgier“, die guten Bekannten aus der hiesigen Jupiler League. Apropos
Jupiler, der Hauptsponsor der Liga stellt auch Literflaschen her, und die
gehen selten in Brüssel mit solcher Frequenz über den Tresen wie hier.
Gebannt klebt man an der Leinwand, und der fliegende Händler, der, wie es
hier Sitte ist, mit allerlei leuchtendem Plastiktand das Café betritt,
bekommt nicht einmal einen Blick. Ein Tor gelingt den Kongolesen trotzdem
nicht mehr, und so strömt das Publikum unmittelbar nach dem Schlusspfiff
hinaus. Bei Chorababa werden sie sich wieder ein neues Lieblingsteam suchen
müssen.
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Afrikaner im belgischen Fußball
Seit Jahren beschäftigen die belgischen Profiligen auffällig viele
afrikanische Kicker. Aktuell sind bei den 16 Erstligaklubs 74 Afrikaner
unter Vertrag, hinzu kommen viele eingebürgerte Spieler. Im Unterschied zu
anderen europäischen Ligen gibt es keine Ausländerbegrenzung. Bis vor
wenigen Jahren war es zudem relativ leicht, einen belgischen Pass zu
bekommen. Dies machte die Jupiler League besonders attraktiv.
Der belgische Fußball wurde zu einer Art Showroom für afrikanische Talente.
Jean-Claude Lagaisse, einer der bekanntesten Spielervermittler Belgiens,
verweist auf die vielen Afrikaner, die von hier zu englischen,
französischen oder deutschen Klubs wechseln. Bekanntestes Beispiel war der
KSK Beveren, der mit einer Fußballschule aus Abidjan kooperierte. Um 2005
standen daher zeitweise elf Ivorer auf dem Platz. Unter ihnen etwa
Gervinho, der heute für Arsenal stürmt und beim derzeit laufenden
Afrika-Cup bereits zweimal getroffen hat.
Für Aufsehen sorgt zurzeit der Zweitligaklub KAS Eupen. Seit die in Katar
ansässige Aspire Foundation dort 2012 langfristig als Sponsor einstieg,
besteht der Kader zur Hälfte aus Talenten der Aspire Academy. Diese kommen
meist aus Senegal, Nigeria und Südafrika. Nachdem mehrere belgische Clubs
als Farmteams für Vereine in England, aber auch Ajax Amsterdam dienten,
zeichnen sich nun neue Kooperationsmodelle im Talenthandel ab.
Der Afrika-Cup fungiert dabei für belgische Clubs als Fachbörse. Für viele
Spieler zerschlägt sich aber der Traum von Europa bereits in Belgien.
Hilfsorganisationen berichteten von Talenten, die sich in Knebelverträgen
wiederfanden und nach Beendigung ihres Engagements durch die Clubs
mittellos auf der Straße landeten. Wessen Visum an einen Vertrag gekoppelt
war, endete gar in der Illegalität.
29 Jan 2013
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
Fußball
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