# taz.de -- Bundestagspetition eingereicht: Nicht nur Blinde brauchen Hunde | |
> Krankenkassen zahlen bisher nur für Blindenhunde – nicht aber für einen | |
> Behindertenbegleithund. Der seien kein anerkanntes „Hilfsmittel“. | |
Bild: Nur Blindenhunde gelten als anerkannte Hilfsmittel. | |
BERLIN taz | An die neue Waschmaschine muss sich Shacky erst noch gewöhnen. | |
Der Golden Retriever kann die Wäsche wie gewohnt mit dem Maul einräumen, | |
aber die Luke macht ihm Probleme. Sie öffnet sich nämlich nach links, nicht | |
nach rechts, wie er es kennt. Also setzt sich Hedwig Menge vor jedem | |
Waschgang neben die Maschine, schließt die Luke selbst, steht wieder auf | |
und drückt erst dann den Startknopf. | |
Menge ist contergangeschädigt. Ihre Hände befinden sich direkt an den | |
Schultern, bücken kann sie sich kaum. Seit 2004 hält sie Shacky. Der Rüde | |
ist dafür ausgebildet, ihr im Alltag zu helfen. Wenn ihr Kugelschreiber auf | |
den Boden fällt, hebt er ihn auf. Wenn draußen jemand klingelt, öffnet er | |
die Tür. Und wenn Menge einen allergischen Schock erleidet und bewusstlos | |
auf dem Boden liegt, alarmiert er per Notruf den Rettungsdienst. Dreimal | |
ist das bisher passiert. „Shacky hat mir das Leben gerettet“, sagt Menge. | |
Ihr Problem: Shacky ist zehn Jahre alt und kann seinen Job nicht mehr lange | |
machen. Ein neuer Behindertenbegleithund kostet inklusive Ausbildung rund | |
20.000 Euro. Die Krankenkassen wollen nicht zahlen. | |
Sie kommen nur für anerkannte „Hilfsmittel“ auf, „die Auswirkungen der | |
Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigen oder mildern.“ So | |
formuliert es der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen. | |
Auf einen Blindenhund treffe diese Definition zu: Dass Herrchen oder | |
Frauchen nicht sehen kann, gleiche der Hund im gesamten Alltag aus. | |
Ein Behindertenbegleithund dagegen könne „die Betroffenen zwar sicherlich | |
in einzelnen Alltagssituationen unterstützen“. Aber das sei eben nicht | |
genug, um als „Hilfsmittel“ anerkannt zu werden. | |
## 50.000 Unterschriften bis zum Mittwoch | |
„Ich fühle mich durch diese Regelung fast schon diskriminiert“, sagt Menge. | |
Ende Januar hat sie deshalb eine Bundestagspetition eingereicht. Darin | |
fordert sie, alle Assistenzhunde als Hilfsmittel anzuerkennen. Betroffen | |
wären zum Beispiel auch Signalhunde, die ihre gehörlosen Besitzer | |
alarmieren, wenn der Wecker oder die Türklingel läutet. Neben einer Reihe | |
weiterer Vorschläge fordert Menge in der Petition auch, Assistenzhunde nach | |
einheitlichen Standards auszubilden. | |
„Die Forderungen sind nachvollziehbar“, sagt Gabriele Molitor, Expertin für | |
Behindertenpolitik in der FDP-Bundestagsfraktion. Bevor Gesetze | |
möglicherweise geändert würden, wünsche sie sich aber mehr Informationen. | |
Wo Assistenzhunde überall helfen können, das habe sie erst von Menge | |
erfahren. Ilja Seifert, behindertenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, | |
sagt dagegen: „Ich unterstütze die Petition aus vollem Herzen.“ Er habe das | |
Thema schon mehrmals in den Bundestag eingebracht. | |
Rund 1.200 Menschen haben Menges Petition bisher unterzeichnet. Wenn es bis | |
Mittwoch 50.000 werden, darf sie ihr Anliegen persönlich im | |
Petitionsausschuss vortragen – eine ehrgeizige Marke. | |
Menges ganz persönliche Hoffnung heißt derweil Bobby. Er könnte Shacky | |
einmal nachfolgen. Seine Ausbildung bezahlt sie aus eigener Tasche. Ob er | |
sich als Assistenzhund eignet, wird sich aber erst noch zeigen. Ganz ohne | |
Hund wäre Menge auf menschliche Helfer angewiesen. Recht wäre ihr das aber | |
nicht: „Ich möchte mein Leben meistern, wie ich es mir vorstelle: mit | |
möglichst viel Privatsphäre.“ | |
19 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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