# taz.de -- Diskriminierung: Rollstuhlfahrerin kennt keinen Schmerz | |
> Nach einem Unfall auf einem städtischen Behinderten-Parkplatz klagt eine | |
> Rollstuhlfahrerin auf Schmerzensgeld – und verliert: Der Richter | |
> verweigert Prozesskosten-Beihilfe, weil die Gelähmte keinen Schmerz | |
> spürte. | |
Bild: Ein Behinderten-Parkplatz muss behindertengerecht sein, findet Angelika M… | |
An einem trüben Novembernachmittag im Jahr 2009 stürzte Angelika Mincke | |
beim Versuch, von ihrem Auto in den Rollstuhl umzusteigen. Sie parkte auf | |
einer Fläche am Rathaus von Ratzeburg, die mit einem weißen | |
Rollstuhl-Zeichen als behindertengerecht ausgewiesen war. Bei dem Sturz | |
brach sich die 54-Jährige den Unterschenkel. Nun will sie Schmerzensgeld | |
von der Stadt – und sicherere Parkplätze. Mincke ging vor Gericht und | |
verlor gleich beim ersten Punkt: Der Richter am Lübecker Landgericht | |
verweigerte der Rentnerin die Prozesskostenhilfe. Er begründete das unter | |
anderem damit, dass die Gelähmte „keine Schmerzen empfinden konnte“ und die | |
„schmerzlose Bettruhe“ keinen Ausgleich rechtfertige. | |
„Ich gebe zu, ich hatte das selbst unterschätzt“, sagt Mincke. „Über | |
gebrochene Beine hatte ich mir nie Sorgen gemacht – ich sitze ja eh im | |
Rolli. Aber ich war extrem gehandicapt.“ Denn bei jedem Umsetzen, etwa auf | |
die Toilette, ruht das ganze Körpergewicht auf den Beinen: Das kann für die | |
gebrochenen Knochen gefährlich sein. | |
Vor allem aber bezieht sich „Schmerzensgeld“ keineswegs nur auf Schmerzen. | |
Im entsprechenden Paragraphen 253 ist von „Verletzung des Körpers, der | |
Gesundheit, der Freiheit“ die Rede. So fragte auch Minckes Rechtsanwalt | |
Stefan Kranz beim Gütetermin vor dem Landgericht, warum eine Gelähmte | |
weniger Anspruch auf Zahlung habe. Laut Bericht der Lübecker Nachrichten | |
sprach der Richter davon, falsch zitiert worden zu sein – die Formulierung | |
taucht aber in einem Dokument auf. | |
Für den Richter war die Frage nach dem Schmerzensgeld zweitrangig. Zunächst | |
müsste der Stadt Ratzeburg nachgewiesen werden, dass die Parkplätze nicht | |
behindertengerecht waren. Mincke trägt aber nach Meinung des Gerichts | |
zumindest eine Mitschuld. Das raue Kopfsteinpflaster sei „unschwer und | |
offensichtlich erkennbar. Die Gefahr warnte ausreichend vor sich selbst“, | |
heißt es auch in einem Anwaltsschreiben der Stadt, die sich wegen des | |
laufenden Verfahrens nicht weiter äußern will. | |
Auch sei nicht der Rollstuhl umgekippt – was ein Beweis für eine zu schräge | |
Fläche sein könnte – sondern nur Mincke selbst gestürzt. Zudem wird | |
bezweifelt, dass die Frau, die in einem Örtchen nahe Ratzeburg wohnt und | |
sich in einem eigenen Verein für die Rechte von Behinderten einsetzt, den | |
Parkplatz am Rathaus nicht kannte. In der Begründung des Gerichts ist von | |
„Risikobereitschaft der Antragstellerin“ die Rede, die eine mögliche | |
Pflichtverletzung der Stadt „deutlich überwiege“. | |
Mincke ist empört: Den Platz habe sie „definitiv“ nicht gekannt. Vor allem | |
reiche es nicht, dass die Stadt „einfach ein B wie behindert aufstellt und | |
dann sagt, nun sei das Soll erfüllt. Der Parkplatz muss tatsächlich | |
behindertengerecht sein“. | |
Unterstützung kommt von Dirk Mitzloff, stellvertretender Beauftragter für | |
Menschen mit Behinderungen in Schleswig-Holstein: „Kopfsteinpflaster als | |
Parkfläche für Schwerbehinderte ist kompletter Unfug.“ Genau gesetzlich | |
festgelegt ist das aber nicht, in der entsprechenden Verordnung steht nur | |
etwas über Breite und Länge. So argumentiert auch die Stadt, das Lübecker | |
Gericht bestätigt diese Rechtslage. | |
Gerade in Altstädten gibt es solche Parkflächen. „Stadtgestalter lieben | |
das“, sagt Mitzloff ironisch. Ärgerlich sei, wenn örtliche Initiativen der | |
Stadt auch noch ein Gütesiegel erteilen – angeblich ist das in Ratzeburg | |
passiert. Allerdings gelten grundsätzlich einige DIN-Normen für | |
barrierefreies Bauen, und dort ist von glattem, festem Untergrund die Rede: | |
„Und das ist Kopfsteinpflaster nun einmal nicht“, sagt Mitzloff. | |
Schwerer wiegt aber für den Behinderten-Beauftragten die | |
Schmerzensgeld-Frage: „Die Frau ist gestürzt, hat eine Weile in der | |
Dunkelheit gelegen, ohne sich selbst helfen zu können. Und sie hatte | |
Nachteile und Einschränkungen.“ Es sei unverständlich, warum diese Punkte | |
nicht zählen. | |
Mincke wird diese Argumente noch vorbringen können: Ende Februar findet der | |
nächste Gerichtstermin statt. Die Rollstuhlfahrerin wird auch ohne | |
Prozesskostenbeihilfe versuchen, den Rechtsstreit zu einem Ende zu bringen. | |
Für sie sei es trotz der Kosten eine Sache des Prinzips. Immerhin werde nun | |
in Ratzeburg darüber nachgedacht, die Behindertenparkplätze zu verlegen: | |
Auf eine glattere Fläche, die zudem näher am Rathaus liegt. Passiert sei | |
das aber noch nicht. | |
11 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Esther Geisslinger | |
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